Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinzuziehung, zu einem Verfahren. Beteiligter (§ 13 VwVfG). Nicht-Beteiligter (§ 44 a Satz 2 VwGO). Verdrängung, von Landesrecht durch späteres Bundesrecht. Landesrecht, Verdrängung von – durch späteres Bundesrecht. Bundesrecht, Verdrängung von Landesrecht durch späteres –. Altlastenverfahren. Verantwortlichkeit, ordnungsrechtliche – für Altlasten. Bodenrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG). Gesamtrechtsnachfolger
Leitsatz (amtlich)
1. Der von der Behörde zu einem Verfahren gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG Hinzugezogene kann die Aufhebung der Hinzuziehung verlangen, wenn deren Voraussetzungen offensichtlich nicht (mehr) vorliegen.
2. Durch § 4 Abs. 3 Bundes-Bodenschutzgesetz ist die ordnungsrechtliche Verantwortlichkeit für schädliche Bodenveränderungen oder Altlasten abschließend geregelt worden. Früheres Landesrecht (hier: Hessisches Altlastengesetz) ist dadurch verdrängt worden.
Normenkette
BBodSchG § 4 Abs. 3, §§ 11, 21 Abs. 1; GG Art. 31, 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 18, Art. 100 Abs. 1 S. 2; VwGO § 44a; VwVfG § 13 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Hessischer VGH (Entscheidung vom 09.09.1999; Aktenzeichen 8 UE 656/95) |
VG Darmstadt (Entscheidung vom 20.10.1994; Aktenzeichen 8 E 1551/93) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. September 1999 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger wendet sich gegen seine in den Jahren 1992/1993 erfolgte Hinzuziehung (§ 13 Abs. 2 Satz 1 des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes – HessVwVfG –) zu einem Altlastenverfahren. Dieses ist zunächst auf der Grundlage des Hessischen Abfallwirtschafts- und Altlastengesetzes und sodann des Hessischen Altlastengesetzes – HAltlastG (1994) – durchgeführt worden und betrifft ein Gelände in Langen („Monza-Park”). Das Gelände wurde im Jahre 1992 gegenüber den heutigen Eigentümern durch Bescheid zu einer Altlast erklärt, weil dort Verunreinigungen des Grundwassers und der Bodenluft als Folge von zwischen 1939 und 1949 erfolgten Ablagerungen von Zinkschlämmen durch eine Firma Z.-W. festgestellt worden waren. Nachdem diese Firma das Grundstück 1971 veräußert (und den Betrieb an einen anderen Standort verlegt) hatte, erwarb sie der Kläger im Jahre 1974 und ließ sie im Jahre 1991 im Handelsregister löschen.
Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage gegen die Hinzuziehung wurde mit der Begründung abgewiesen, die Möglichkeit einer Berührung der rechtlichen Interessen des Klägers durch den Ausgang des Altlastenverfahrens sei nicht auszuschließen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat der Klage gegen den Hinzuziehungsbescheid stattgegeben. Zur Begründung hat er ausgeführt:
Die Hinzuziehung des Klägers zu dem Altlastenfeststellungsverfahren sei jedenfalls zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung nicht mehr gerechtfertigt. Allein maßgeblich sei das Gesetz zum Schutz vor schädlichen Bodenveränderungen und zur Sanierung von Altlasten (Bundes-Bodenschutzgesetz – BBodSchG – vom 17. März 1998 ≪BGBl I S. 502≫). Der Kläger gehöre nicht zu dem Personenkreis, der nach der abschließenden Regelung des § 4 BBodSchG als sanierungspflichtig herangezogen werden könne. Hessisches Altlastenrecht werde durch diese Vorschrift verdrängt. Der Kläger sei nicht als Gesamtrechtsnachfolger haftbar, namentlich greife § 25 Abs. 1 HGB nicht ein. Der Begriff des Gesamtrechtsnachfolgers in § 4 Abs. 3 BBodSchG beziehe sich nur auf den Verursacher und damit nur auf natürliche und juristische Personen und nicht etwa auf einzelne Sachen oder Sachgesamtheiten, hinsichtlich deren man von Gesamtrechtsnachfolge sprechen möge. Werde ein Handelsgeschäft erworben, trete der Erwerber die Rechtsnachfolge nur hinsichtlich des Erworbenen und nicht etwa aller Rechte und Pflichten des früheren Inhabers an. Deshalb liege hier ein Fall der Einzelrechtsnachfolge, nicht aber einer Gesamtrechtsnachfolge vor, die auch durch § 25 Abs. 1 HGB nicht fingiert werde.
Die Revision vertritt die Auffassung, durch § 4 Abs. 3 BBodSchG seien die Bestimmungen in § 12 HAltlastG nicht verdrängt worden; namentlich könne eine Verantwortlichkeit des Klägers unverändert auf § 12 Abs. 1 Nrn. 1 und 4 HAltlastG gestützt werden. Das Ziel des Bundes-Bodenschutzgesetzes sei die bundeseinheitliche Regelung des Gegenstandes „Boden” und seiner Beziehung zu Mensch und Umwelt. Die Frage, welche Personen im Sinne einer Polizeipflichtigkeit in Anspruch zu nehmen seien, gehöre nicht zu diesem Themenkomplex. Auch § 21 Abs. 1 BBodSchG, der lediglich klarstellende, keine normative Bedeutung habe, stehe einer ergänzenden Heranziehung des Landesrechts im vorliegenden Zusammenhang nicht entgegen. Die in § 12 HAltlastG geregelte Polizeipflichtigkeit laufe den Zielen von § 4 Abs. 3 BBodSchG nicht zuwider, sondern füge sich in die dortigen Regelungen ein, zumal § 4 Abs. 3 BBodSchG hinsichtlich der Handlungshaftung unvollständig sei, weil z.B. eine Haftung für Verrichtungsgehilfen fehle und sich auch die Inanspruchnahme des Nicht-Störers weiterhin nach Landespolizeirecht richten müsse.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das angefochtene Urteil verletzt mit seiner entscheidungstragenden Begründung, die Hinzuziehung des Klägers könne keinen rechtlichen Bestand (mehr) haben, weil rechtliche Interessen des Klägers durch den Ausgang des laufenden Verfahrens (Altlastenverfahren) nicht berührt werden könnten, kein Bundesrecht im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO.
1. Zu Recht hat das Berufungsgericht ein Sachurteil erlassen.
a) Dem Kläger kann nicht die Befugnis abgesprochen werden, sich gegen die Hinzuziehung mit Widerspruch und Klage zur Wehr zu setzen.
Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 VwVfG (des Bundes) bzw. HessVwVfG kann die Behörde nicht nur auf Antrag, sondern von Amts wegen diejenigen als Beteiligte hinzuziehen, deren rechtliche Interessen durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden können. Auch wenn daran festzuhalten ist, daß Verfahrensbeteiligungen im Sinne des § 13 Abs. 2 Satz 1 VwVfG keinen Selbstzweck erfüllen, sondern Schutz allein im Hinblick auf die bestmögliche Verwirklichung einer materiellrechtlichen Rechtsposition gewähren (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1997 – BVerwG 11 C 1.97 – Buchholz 442.40 § 6 Luftverkehrsgesetz Nr. 27 m.w.N.), gibt diese Vorschrift mit der Möglichkeit, von Amts wegen hinzuzuziehen, zu erkennen, daß solche Hinzuziehungen nicht ausschließlich im Interesse der Hinzuzuziehenden, sondern auch im Allgemeininteresse zulässig sollen erfolgen können.
Der Hinzugezogene hat die Hinzuziehung und die damit unter Umständen verbundenen Belastungen unter der Voraussetzung hinzunehmen, daß seine rechtlichen Interessen durch den Ausgang des Verfahrens berührt werden können. Kommt hingegen eine solche Interessenberührung offensichtlich nicht in Betracht, kann er die Aufhebung einer nicht voraussetzungsgemäß erfolgten und damit Art. 2 Abs. 1 GG beeinträchtigenden (vgl. BVerfG, Beschluß vom 8. Januar 1959 – 1 BvR 425/52 – BVerfGE 9, 83 ≪88≫ stRspr) Hinzuziehung verlangen. In einem solchen Fall steht der Zulässigkeit seiner Rechtsbehelfe auch nicht die Vorschrift des § 44 a Satz 1 VwGO entgegen; der offensichtlich zu Unrecht Hinzugezogene behält von Rechts wegen die Stellung des Nicht-Beteiligten (§ 44 a Satz 2 VwGO).
b) Das Berufungsgericht hat nicht dadurch gegen Art. 100 Abs. 1 Satz 2 GG i.V.m. § 80 BVerfGG verstoßen, daß es der Sache nach das Hessische Altlastengesetz vom 20. Dezember 1994 (GVBl I S. 764) in seiner derzeit gültigen Fassung – HAltlastG – als durch Bundesrecht zumindest in weiten Teilen verdrängt und damit ungültig beurteilt hat, ohne das Verfahren dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Auch der erkennende Senat kann zu einer solchen Beurteilung gelangen, ohne i.S.d. Art. 100 Abs. 1 GG das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob das genannte Landesgesetz mit Bundesrecht unvereinbar ist.
In dem hier in Rede stehenden Fall, in dem es darum geht, ob ein Landesgesetz mit einemspäter erlassenen Bundesgesetz vereinbar ist, wirft ein Gericht, das wegen Art. 31 GG i.V.m. Art. 72 Abs. 1 GG die Gültigkeit eines Landesgesetzes verneint, dem Landesgesetzgeber nicht vor, er habe bei Schaffung seines Gesetzes übergeordnetes Bundesrecht nicht beachtet; es stellt vielmehr lediglich fest, daß das – ursprünglich insoweit einwandfreie – Landesgesetz mit einem später erlassenen Bundesgesetz, das dieselbe Materie regelt, nicht mehr vereinbar und mithin außer Wirksamkeit getreten ist. Dies ist eine Frage, die ein Fachgericht nach der Regel, daß früheres durch widersprechendes späteres Recht aufgehoben wird, selbst entscheiden kann (vgl. BVerfG, Beschluß vom 6. Oktober 1959 – 1 BvL 13/58 – BVerfGE 10, 124 ≪128≫ m.w.N., stRspr).
2. Die Annahme des Berufungsgerichts, eine weitere Hinzuziehung des Klägers im Sinne des § 13 Abs. 2 Satz 1 VwVfG sei nicht zu rechtfertigen, weil seine rechtlichen Interessen durch das Verfahren nicht berührt würden, ist nicht zu beanstanden.
a) Wegen der gesetzlichen Besonderheiten und des dargelegten Zweckes eines Hinzuziehungsverfahrens hat das Berufungsgericht zutreffend den Schluß der mündlichen Verhandlung am 9. September 1999 als maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der rechtlichen Betroffenheit des Klägers behandelt.
Ob dieses Ergebnis daraus folgt, daß die Hinzuziehung als Dauerverwaltungsakt im Sinne der Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1993 – BVerwG 11 C 35.92 – BVerwGE 92, 32 m.w.N.) zu beurteilen ist, wie das Berufungsgericht annimmt, kann offenbleiben. Da das Altlastenverfahren, zu dem der Kläger hinzugezogen werden sollte, zum vorgenannten Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen war und die Frage der Rechtmäßigkeit der Hinzuziehung entscheidend von den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten dieses Verfahrens abhing, ist es allein sachgerecht, auch solche Veränderungen dieses Verfahrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu berücksichtigen, die sich nach dem Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids (1993) ereigneten. So könnte etwa eine objektive Erledigung des Hinzuziehungsverfahrens bzw. -bescheids dadurch eintreten, daß das Verfahren zu dem hinzugezogen wurde, inzwischen beendet ist oder der Hinzugezogene in derselben Sache durch den Erlaß eines Heranziehungsbescheids zum Beteiligten im Sinne des § 13 Abs. 1 VwVfG geworden ist; in aller Regel werden im zuletzt genannten Fall die Verfahrensbeteiligten ihren Streit ausschließlich im Heranziehungsverfahren fortsetzen dürfen.
b) Mit Bundesrecht vereinbar ist vor dem vorstehend dargelegten Hintergrund die entscheidungstragende Annahme, das Hessische Altlastengesetz sei (zumindest in seinen Kernaussagen sowie namentlich hinsichtlich seiner Regelungen zur Verantwortlichkeit) vom Bundes-Bodenschutzgesetz verdrängt worden. Dabei kann hier als entscheidungsunerheblich offenbleiben, ob einzelne Bestimmungen dieses Landesgesetzes als Folge von § 11 BBodSchG wirksam bleiben oder als ergänzende Verfahrensregelungen im Sinne des § 21 Abs. 1 BBodSchG verstanden werden können oder wegen sonstiger Regelungen dieser Vorschrift als weiterhin gültiges Recht angewendet werden dürfen.
aa) Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits im Beschluß vom 21. Dezember 1998 – BVerwG 7 B 211.98 – (Buchholz 451.222 § 2 BBodSchG Nr. 1) dargelegt, daß das am 1. März 1999 in Kraft getretene Gesetz zum Schutz vor schädlichen Bodenveränderungen und zur Sanierung von Altlasten vom 17. März 1998 (BGBl I S. 502) – BBodSchG – nunmehr bundeseinheitlich Fragen der ordnungsrechtlichen Verantwortlichkeit für Bodenverunreinigungen regelt, so daß es insoweit keines Rückgriffs mehr auf allgemeines Landesordnungsrecht oder das Abfallrecht bedarf. Es hat eine – auch im Streitfall in Rede stehende – Verunreinigung des Erdreichs mit schadstoffhaltigen Chemikalien als schädliche Bodenveränderung im Sinne von § 2 Abs. 3 BBodSchG beurteilt, deren Sanierung (nur) nach Maßgabe dieses Gesetzes zu erfolgen hat, soweit keine Vorschrift des Bundesrechts, namentlich keine der in § 3 Abs. 1 BBodSchG aufgeführten Vorschriften, in einer das Bundes-Bodenschutzgesetz verdrängenden Weise „Einwirkungen auf den Boden” regeln. Weiter hat es ausgeführt, daß neben dem Verursacher und dem Inhaber der tatsächlichen Gewalt über ein Grundstück auch der Grundstückseigentümer verantwortlich für die Sanierung einer schädlichen Bodenveränderung sein kann (§ 4 Abs. 2 und 3 BBodSchG); das Bundes-Bodenschutzgesetz kenne mithin eine Zustandsverantwortlichkeit des Eigentümers, die sich auch auf die Tragung der Kosten erstrecken könne.
Hieran ist festzuhalten, und zwar auch im Hinblick auf die im Beschluß vom 21. Dezember 1998 nicht ausdrücklich behandelten Fragen des Verhältnisses zwischen dem hessischen Altlastenrecht und dem Bundes-Bodenschutzgesetz allgemein sowie speziell im Hinblick auf die Haftung als Gesamtrechtsnachfolger:
bb) Steht dem Bund eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz im Sinne des Art. 72 GG zu, so behält allerdings der Landesgesetzgeber seine Befugnis, soweit nicht der Bund von der ihm verliehenen Zuständigkeit Gebrauch gemacht hat. Entsprechendes gilt für die hier entscheidungserhebliche Frage, ob ein früher erlassenes Landesgesetz ganz oder teilweise trotz eines später erlassenen Bundesgesetzes rechtlichen Bestand behält.
EinGebrauchmachen im Sinne dieser Vorschrift kann – über den selbstverständlichen Fall der ausdrücklichen Regelung hinaus – auch in dem absichtsvollen Unterlassen einer Regelung liegen, was mit der gleichen Sperrwirkung für die Länder wie in den Fällen der ausdrücklichen Regelung verbunden ist. Mithin darf sich ein Landesgesetzgeber zu einem erkennbar gewordenen Willen des Bundesgesetzgebers, zusätzliche Regelungen auszuschließen, selbst dann nicht durch den Erlaß landesrechtlicher Regeln oder durch ein Festhalten an solchen in Widerspruch setzen, wenn er das Bundesgesetz wegen des Fehlens einer entsprechenden Regelung für – beispielsweise gemessen an höherrangigen Grundrechtsverbürgungen – unzureichend hält.
Freilich kann die Frage,ob und inwieweit der Bund im vorstehenden Verständnis von einer Zuständigkeit Gebrauch gemacht hat, im einzelnen schwer zu entscheiden sein. Die Antwort ergibt sich in erster Linie aus dem Bundesgesetz selbst, in zweiter Linie aus dem hinter dem Gesetz stehenden Regelungszweck, ferner aus der Gesetzgebungsgeschichte und den Gesetzesmaterialien. Das gilt auch, soweit ein absichtsvoller Regelungsverzicht in Rede steht, der in dem Gesetzestext naturgemäß regelmäßig keinen unmittelbaren Ausdruck findet.
Ob der Gebrauch, den der Bund von einer Kompetenz gemacht hat,abschließend ist, muß nach allem aufgrund einer Gesamtwürdigung des betreffenden Normenkomplexes festgestellt werden, wobei eine Sperrwirkung für die Länder in jedem Falle voraussetzt, daß der Gebrauch der Kompetenz durch den Bund hinreichend erkennbar ist (vgl. zum gesamten Vorstehenden: BVerfG, Urteil vom 27. Oktober 1998 – 1 BvR 2306/96 u.a. – BVerfGE 98, 265 ≪300 f.≫ m.w.N.).
cc) Auch zwischen den Beteiligten ist zu Recht nicht umstritten, daß der Bund beim Erlaß des Bundes-Bodenschutzgesetzes die Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG („Bodenrecht”) in Anspruch nehmen durfte.
Zur Materie „Bodenrecht” gehören (nur) solche Vorschriften, die den Grund und Boden unmittelbar zum Gegenstand haben, also die rechtlichen Beziehungen des Menschen zum Grund und Boden regeln, wobei – was im Streitfall indessen ohne Auswirkungen bleibt – die anderen Teilgebiete der Nr. 18 für die Materie Bodenrecht nicht in Betracht zu ziehen sind (vgl. BVerfG, Rechtsgutachten vom 16. Juni 1954 – 1 PBvV 2/52 – BVerfGE 3, 407, 413 f., 424, 428; stRspr).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend offensichtlich erfüllt, soweit es darum geht, wer dafür verantwortlich ist, wenn Boden verunreinigt ist, und in welchem Verfahren diese Verantwortlichkeit konkretisiert wird. Die geregelte Gesamtmaterie läßt sich sowohl dem „Recht der Bodenerfassung” wie dem „Recht der Bodenerhaltung” als auch dem „Recht der Bodenveränderung” zuordnen, also denjenigen Teilbereichen, die zum Recht der Bodenbeschaffenheit und damit zur Gesamtmaterie Bodenrecht gehören (vgl. Pestalozza, in: v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, 3. Aufl., Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 Rnrn. 1229 ff.).
dd) Läßt sich mithin das Bundes-Bodenschutzgesetz eindeutig dem Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG zuordnen – und kann daher offenbleiben, ob auch andere Kompetenztitel (ergänzend) vom Bund in Anspruch genommen werden können –, so bezweifelt die Revision zu Unrecht, daß der Bund im Hinblick auf die hier allein maßgebliche Frage des Kreises der bodenrechtlich Verantwortlichen durch § 4 BBodSchG mit landesrechtliche Regelungen verdrängender Wirkung abschließend von seiner Kompetenz Gebrauch gemacht hat.
Die Revision meint, eine Heranziehung des Klägers komme unverändert auf der Grundlage von § 12 Abs. 1 Nr. 1 sowie Nr. 4 HAltlastG in Betracht. Verpflichtet zur Durchführung der Sanierung sind hiernach Betreiber sowie ehemalige Betreiber und deren Rechtsnachfolger von Anlagen auf Altlasten, soweit die Verunreinigungen durch diese Anlagen verursacht worden sind (Nr. 1), sowie Personen, die aufgrund anderer Rechtsvorschriften eine Verantwortung für die Verunreinigungen oder für hiervon ausgehende Beeinträchtigungen des Wohles der Allgemeinheit trifft (Nr. 4).
Indessen bestimmt § 4 Abs. 3 Satz 1 BBodSchG, daß der Verursacher einer schädlichen Bodenveränderung oder Altlast sowie dessen Gesamtrechtsnachfolger, der Grundstückseigentümer und der Inhaber der tatsächlichen Gewalt über ein Grundstück verpflichtet sind, den Boden und Altlasten so zu sanieren, daß dauerhaft keine Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für den einzelnen oder die Allgemeinheit entstehen.
Es liegt offen zutage, daß diese bundesrechtliche Regelung hinsichtlich ihres Regelungsprogramms der landesrechtlichen weitestgehend entspricht und bei der Festlegung der konkreten rechtlichen Zuordnungen überwiegend gleiche oder vergleichbare Anknüpfungspunkte für eine Sanierungsverpflichtung vorsieht. Dabei bedarf es keiner Beurteilung im einzelnen, ob die bundesgesetzliche Regelung – etwa durch das Abstellen auf den Gesamtrechtsnachfolger statt auf den Rechtsnachfolger – strenger oder weniger streng ist. Im hier interessierenden Zusammenhang genügt die Feststellung, daß der Bundesgesetzgeber, sei es durch ausdrückliche Regelung, sei es durch bewußte Nicht-Regelung, den hier in Rede stehenden Fragenkreis abschließend – und damit die landesrechtliche Regelung verdrängend – geregelt hat.
Namentlich gilt dies auch im Hinblick auf § 4 Abs. 3 Satz 4 BBodSchG, wonach zur Sanierung auch verpflichtet ist, wer aus handelsrechtlichem oder gesellschaftsrechtlichem Rechtsgrund für eine juristische Person einzustehen hat, der ein Grundstück gehört, das mit einer schädlichen Bodenveränderung oder einer Altlast belastet ist. Es liegt auf der Hand, daß – wie diese Vorschrift auch immer anzuwenden und auszulegen sein mag (vgl. Becker, DVBl 1999, 134 ff.) – neben dieser Bestimmung (i.V.m. Satz 1) die auf die Verpflichtung „aufgrund anderer Rechtsvorschriften” abstellende Regelung in § 12 Abs. 1 Nr. 4 HAltlastG keine Geltung mehr beanspruchen kann.
Ebenfalls nicht zu überzeugen vermag die These der Revision, die Vorschrift des § 21 Abs. 1 BBodSchG habe „keine normative Bedeutung”. Auch mit Blick auf § 11 BBodSchG ist § 21 Abs. 1 BBodSchG, wonach die Länder zur Ausführung des Zweiten und Dritten Teils des Gesetzes (und damit auch zu § 4) „ergänzende Verfahrensregelungen erlassen” können, als Bestätigung des abschließenden Charakters von § 4 BBodSchG hinsichtlich dessen materieller Regelungen zu verstehen.
Soweit die Revision im übrigen darlegt, daß in § 4 Abs. 3 BBodSchG die Haftung des Nicht-Störers und die Haftung für Verrichtungsgehilfen nicht geregelt seien (und daher ergänzend Landesrecht herangezogen werden könne), wird – von allem anderen abgesehen – bereits nicht deutlich, daß und inwieweit diese Gesichtspunkte im Streitverfahren Bedeutung erlangen könnten.
c) Ist mithin die von der Revision allein geltend gemachte Herleitung einer Verantwortlichkeit des Klägers aus den Bestimmungen in § 12 Abs. 1 Nrn. 1 und 4 HAltlastG wegen deren Verdrängung von vornherein nicht in Betracht zu ziehen, so sieht der erkennende Senat in Ansehung des Umstands, daß die Revision eine Verpflichtung des Klägers aus § 4 BBodSchG weder behauptet noch deren Voraussetzungen substantiiert dargelegt hat, keine Veranlassung zu entsprechenden eigenen Beurteilungen. Es bleibt daher offen, ob die zu § 25 HGB (vgl. zum Zweck dieser Vorschrift: BGH, Urteil vom 25. April 1996 – 1 ZR 58/94 – BGHR § 25 Abs. 1 HGB Vertragsstrafeversprechen 1) entwickelten Rechtssätze des Berufungsgerichts einer durch einen anderen Sach- und Streitstand veranlaßten revisionsgerichtlichen Beurteilung standhalten würden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Borgs-Maciejewski, Kimmel, Dr. Brunn
Fundstellen
NVwZ 2000, 1179 |
ZfIR 2000, 894 |
DÖV 2000, 1054 |
NuR 2000, 689 |
DVBl. 2000, 1353 |