Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe: Konventionsflüchtlinge, Anspruch auf uneingeschränkte Sozialhilfe. uneingeschränkte – für Konventionsflüchtlinge. völkervertragsfreundliche Auslegung einfachen Bundesrechts. lex posterior derogat legi priori (hier: innerstaatliches Recht und Völkervertragsrecht). lex posterior generalis non derogat legi priori speciali. Aufenthaltsbefugnis, räumlich unbeschränkte – für Konventionsflüchtlinge Völkervertragsrecht, Verhältnis zu sonstigem innerstaatlichen Recht (hier: Genfer Flüchtlingskonvention – BSHG)
Leitsatz (amtlich)
§ 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG findet auf Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention keine Anwendung.
Normenkette
BSHG § 120 Abs. 5 S. 2; AsylVfG §§ 3, 70; Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 Art. 23, 26; Europäisches Fürsorgeabkommen vom 11. Dezember 1953 Art. 1, 16; Zusatzprotokoll zu dem Europäischen Fürsorgeabkommen Art. 1-2; AuslG §§ 5, 12 Abs. 1 S. 2, §§ 30, 51 Abs. 1; WoZuG § 3 a
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Entscheidung vom 28.10.1998; Aktenzeichen 4 L 1264/98) |
VG Hannover (Entscheidung vom 23.09.1997; Aktenzeichen 3 A 5112/96) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 28. Oktober 1998 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
I.
Der Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger, begehrt für die Zeit vom 1. bis zum 5. September 1996 die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Anwendung der in § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG geregelten Einschränkungen.
Der Kläger ist als anerkannter Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention seit dem 11. Februar 1992 im Besitz einer räumlich nicht beschränkten, jeweils befristeten Aufenthaltsbefugnis, zuerst erteilt vom Landkreis B. (Baden-Württemberg). Am 1. Februar 1995 verzog er in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten im Land Niedersachsen und erhielt dort ab dem 8. Februar 1995 zunächst Sozialhilfe als laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Am 27. Juni 1996 erteilte ihm die Beklagte eine befristete Aufenthaltsbefugnis und stellte mit Bescheid vom 10. Juli 1996 die Sozialhilfeleistungen mit Wirkung vom 31. August 1996 ein. Zur Begründung führte sie aus, dem Kläger sei die erste Aufenthaltsbefugnis außerhalb des Landes Niedersachsen erteilt worden. Deshalb könne ihm nur die unabweisbar gebotene Hilfe gewährt werden. Über den 31. August 1996 hinaus sei angesichts des schon länger andauernden Hilfebezugs eine Gewährung von Sozialhilfe nicht möglich.
Auf die nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 4. September 1996) erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, dem Kläger in der Zeit vom 1. bis zum 5. September 1996 uneingeschränkt Sozialhilfe in Form laufender Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren. Die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht – jeweils selbständig tragend – als unbegründet zurückgewiesen, weil § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG nicht auf Konventionsflüchtlinge anwendbar sei und darüber hinaus bei der Anwendung dieser Vorschrift nicht auf die erstmals erteilte Aufenthaltsbefugnis, sondern auf die aktuell gültige Aufenthaltsbefugnis abzustellen sei. Das sich aus der Gesetzesbegründung ergebende Ziel, eine Verlagerung der Sozialhilfelasten durch Binnenwanderung zu verhindern, sei in § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG nicht in der Weise zum Ausdruck gekommen, daß entgegen dem Wortlaut der Vorschrift nur die erstmalige Erteilung der Aufenthaltsbefugnis maßgebend sei. Zudem schlössen Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) und die Art. 1 und 2 des Zusatzprotokolls zu diesem Abkommen die Anwendung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG auf Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), zu denen auch der Kläger gehöre, aus. Auch als Inhaber einer Aufenthaltsbefugnis nach § 70 AsylVfG halte sich der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland „erlaubt” auf i.S. des Art. 1 und des Anhangs III EFA. Denn es könne nicht angenommen werden, daß mit der Schaffung des § 70 AsylVfG beabsichtigt gewesen wäre, die Gruppe der nach dem Europäischen Fürsorgeabkommen begünstigten Ausländer wesentlich zu ändern.
Halte sich aber der Kläger erlaubt i.S. des Art. 1 EFA in der Bundesrepublik Deutschland auf, sei ihm mit Ausnahme der §§ 30, 72 BSHG uneingeschränkt Sozialhilfe wie Deutschen zu gewähren, die vergleichbaren Einschränkungen, wie sie § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG enthalte, nicht unterlägen. Dem Anspruch des Klägers stehe auch nicht § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG entgegen. Die Vorschrift sei einschränkend auszulegen und auf die vom Europäischen Fürsorgeabkommen mit seinem Zusatzprotokoll erfaßten Ansprüche nicht anwendbar. Diese Regelungen gingen dem § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG als speziellere Gesetze vor, denn sie gälten nicht für alle Ausländer, sondern nur für eine Gruppe dieses Personenkreises. § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG habe den Anwendungsbereich des Europäischen Fürsorgeabkommens auch nicht als das „jüngere Gesetz” verändern wollen. Denn innerstaatliche Gesetze seien im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auszulegen, und es sei nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet habe, von einem völkerrechtlichen Vertrag abweichen wolle. Dem im Zuge der Reform des Ausländerrechts zum 1. Januar 1991 in Kraft gesetzten § 120 Abs. 4 Satz 2 (jetzt Abs. 5 Satz 2) BSHG ließen sich gegenteilige Anhaltspunkte nicht entnehmen. Ausweislich des Gesetzentwurfs der Bundesregierung hätten die ausländerrechtlichen Regelungen sogar sicherstellen sollen, daß entsprechende völkerrechtliche Verpflichtungen eingehalten werden könnten. Der Zweck der Neuregelung, eine Verlagerung von Sozialhilfelasten durch Binnenwanderung zu verhindern, erfordere es nicht, Ansprüche nach Art. 1 EFA zu schmälern.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Sie rügt eine Verletzung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG. Art. 1 EFA fordere die einschränkende Auslegung des § 120 Abs. 5 BSHG nicht; denn er sehe lediglich die Verpflichtung vor, dem betroffenen Personenkreis in gleicher Weise wie eigenen Staatsangehörigen und unter gleichen Bedingungen Fürsorgeleistungen zu gewähren. Die bloße Beschränkung der möglichen Bezugsorte für eine Sozialleistung stelle jedoch keine in diesem Sinne weitergehende und damit unzulässige Bedingung dar. Auch sei nicht davon auszugehen, daß mit dem Zusatzprotokoll zum Europäischen Fürsorgeabkommen mehr Rechte für Flüchtlinge begründet werden sollten als mit der Genfer Flüchtlingskonvention selbst. Art. 26 GFK aber ermögliche es, durch allgemein für Ausländer geltende Bestimmungen die Freizügigkeit zu beschränken. § 120 Abs. 5 BSHG sei eine solche Regelung, da sie sich nicht gegen die Freizügigkeit als solche wende. Auch bleibe fraglich, ob Ausländer mit Aufenthaltsbefugnissen nach § 70 AsylVfG überhaupt Rechte aus Art. 1 EFA herleiten könnten, da solche Aufenthaltsbefugnisse im Anhang III EFA nicht genannt würden. Schließlich sei sowohl nach dem Wortlaut als auch nach dem Sinn und Zweck des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG davon auszugehen, daß mit dem Ort der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis allein der Ort ihrer ersten Erteilung gemeint sein könne.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt die Rechtsauffassung der Beklagten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten ist unbegründet, so daß sie zurückzuweisen ist (§ 144 Abs. 2 VwGO). Zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, daß § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG auf Flüchtlinge i.S. der Genfer Flüchtlingskonvention, zu denen auch der Kläger gehört, nicht anzuwenden ist, weil Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) vom 11. Dezember 1953 (BGBl II 1956 S. 564) i.V.m. Art. 1 und 2 des Zusatzprotokolls zu diesem Abkommen vom 11. Dezember 1953 (BGBl II 1956 S. 578) als Spezialvorschriften dies ausschließen.
1. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 14. März 1985 entschieden hat, ist durch das Zustimmungsgesetz vom 15. Mai 1956 (BGBl II 1956 S. 563) das Europäische Fürsorgeabkommen in innerstaatlich anwendbares, Rechte und Pflichten des einzelnen begründendes Recht transformiert worden (BVerwGE 71, 139 ≪142≫), weil der Zweck des Vertrages, den Angehörigen der Vertragsstaaten auf den Gebieten der sozialen und der Gesundheitsfürsorge Gleichbehandlung mit den Inländern einzuräumen, nur erreicht werden kann, wenn diese die Gleichbehandlung mit den Inländern nach Maßgabe der im Anhang I des Abkommens genannten nationalen Gesetze unmittelbar geltend machen können. Das Gleiche trifft auf das Zusatzprotokoll zu dem Europäischen Fürsorgeabkommen zu, dessen Zweck es ist, den Kreis derjenigen, die Inländergleichbehandlung beanspruchen können, auf Flüchtlinge i.S. der Genfer Flüchtlingskonvention auszudehnen.
Nach Art. 2 des Zusatzprotokolls finden die Vorschriften des Teils I des Fürsorgeabkommens (und damit auch Art. 1 EFA) auf die Flüchtlinge i.S. des Art. 1 des Genfer Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl II 1953 S. 559) – s. Art. 1 Zusatzprotokoll – „unter den gleichen Voraussetzungen Anwendung wie auf die Staatsangehörigen der Vertragschließenden” („under the same conditions as they apply to the nationals of the Contracting Parties thereto”, „dans les conditions prèvues pour les ressortissants des Parties à cet accord”). Art. 2 des Zusatzprotokolls beruht auf dem Wunsch der Vertragsstaaten, die Bestimmungen des Europäischen Fürsorgeabkommens auf Flüchtlinge im Sinne des Genfer Abkommens auszudehnen (so die Präambel) und sie damit in die Inländergleichbehandlungsregelung des Art. 1 EFA einzubeziehen.
Der Kläger ist Flüchtling in diesem Sinne (vgl. § 3 AsylVfG und BVerwGE 104, 254 ≪256≫). Denn nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und deshalb für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Kläger seit dem 11. Februar 1992 im Besitz einer räumlich nicht beschränkten Aufenthaltsbefugnis, da bei ihm festgestellt wurde, daß die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen und er Flüchtling im Sinne des Genfer Abkommens ist (Berufungsurteil S. 2).
2. In Art. 1 EFA hat sich jeder der Vertragschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind. Zu diesen Leistungen gehört die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach den §§ 11 ff. BSHG (vgl. Art. 2 Abs. a und b EFA i.V.m. Buchst. a des Anhangs I zum Europäischen Fürsorgeabkommen samt Protokoll in der seit dem 1. Februar 1991 gültigen Fassung ≪BGBl II S. 686≫); einen Vorbehalt hat die Bundesrepublik Deutschland insoweit nicht gemacht (s. Anhang II zum Europäischen Fürsorgeabkommen samt Protokoll in der seit dem 1. Februar 1991 gültigen Fassung ≪BGBl II S. 686≫).
Überzeugend hat das Oberverwaltungsgericht dargelegt, daß sich der Kläger als Inhaber einer Aufenthaltsbefugnis nach § 70 AsylVfG im streitgegenständlichen Zeitraum „erlaubt” i.S. des Art. 1 EFA im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat. Nach Art. 11 Abs. a Satz 1 EFA gilt der Aufenthalt eines Ausländers im Gebiet eines der Vertragschließenden solange als erlaubt im Sinne dieses Abkommens, als der Beteiligte im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder einer anderen in den Rechtsvorschriften des betreffenden Staates vorgesehenen Erlaubnis ist, aufgrund welcher ihm der Aufenthalt in diesem Gebiet gestattet ist. Die Vertragschließenden haben sich in Anhang III, der Bestandteil des Europäischen Fürsorgeabkommens ist (Art. 19 EFA), auf ein Verzeichnis der Urkunden geeinigt, die als Nachweis des Aufenthalts i.S. des Art. 11 EFA anerkannt werden. Diesem Anhang kommt nach der Rechtsprechung des Senats (BVerwGE 71, 139 ≪144≫) rechtsbegründender Charakter in der Weise zu, daß mit den dort aufgeführten Urkunden die Erlaubnistatbestände abschließend genannt sind, aufgrund deren der Aufenthalt des ausländischen Staatsangehörigen i.S. des Abkommens erlaubt ist. Dort ist in der seit dem 1. Februar 1991 gültigen Fassung (BGBl II S. 686) benannt die „Aufenthaltsgenehmigung nach § 5 des Ausländergesetzes vom 9. Juli 1990, auf besonderem Blatt erteilt oder im Ausweis eingetragen”. Die Aufenthaltsgenehmigung nach § 5 AuslG wird u.a. als Aufenthaltsbefugnis erteilt (§ 5 Nr. 4 i.V.m. § 30 AuslG). Nach § 30 Abs. 5 Satz 1 AuslG in der zur Zeit der Veröffentlichung des derzeit gültigen Anhangs III zum Europäischen Fürsorgeabkommen geltenden Fassung vom 9. Juli 1990 (BGBl I S. 1354) ist einem Ausländer, bei dem das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge unanfechtbar die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt hat, eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen, wenn seine Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Eine solche Aufenthaltsbefugnis hat der Kläger erhalten.
Zu dem Zeitpunkt, zu dem der Kläger erstmals eine Aufenthaltsbefugnis erhielt (11. Februar 1992), galt noch § 30 Abs. 5 Satz 1 AuslG 1990. Die Vorschrift wurde durch § 70 AsylVfG vom 26. Juni 1992 (BGBl I S. 1126) erst mit Wirkung zum 1. Juli 1992 abgelöst. In Ermangelung anderslautender Übergangsvorschriften galt die dem Kläger nach § 5 Nr. 4 i.V.m. § 30 Abs. 5 Satz 1 AuslG 1990 erteilte Aufenthaltsbefugnis demnach über das Inkrafttreten des Asylverfahrensgesetzes hinaus fort. Die nach Ablauf der Befristung jeweils erforderlichen zeitlichen Verlängerungen erfolgten ohnehin nach § 12 Abs. 2 Satz 1 und § 30 AuslG, da § 70 AsylVfG als lex specialis keine eigenen Regelungen über Geltungsdauer und Verlängerung der Aufenthaltsbefugnis enthält.
Auch wenn man in der Verlängerung einer Aufenthaltsbefugnis materiellrechtlich eine Neuerteilung sieht, ist die „Erlaubtheit” des Aufenthalts des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland nicht anders zu beurteilen. Denn trotz der Auswechselung der Rechtsgrundlage für die erteilte Aufenthaltsbefugnis ist diese eine „Aufenthaltsgenehmigung nach § 5 AuslG” geblieben. Das zeigt schon die Rechtstatsache, daß das Ausländergesetz, soweit nicht § 70 AsylVfG als Spezialgesetz vorgeht, auch für die Aufenthaltsbefugnis des § 70 AsylVfG Geltung beansprucht und sie genauso behandelt wie eine nach § 30 AuslG erteilte. Auch hat der Bundesgesetzgeber die Herausnahme dieses Aufenthaltserlaubnistatbestandes aus § 30 Abs. 5 AuslG 1990 und seine Überführung in § 70 AsylVfG von Anfang an nicht als materielle („sachliche”) Änderung verstanden, sondern lediglich als „rein redaktionelle” Änderung im Interesse einer Zusammenführung bereits vorhandener Regelungen über einen bestimmten Personenkreis von Ausländern in einem bereichsspezifischen Gesetz (Begründung eines Gesetzes zur Neuregelung des Asylverfahrens, BTDrucks 12/2062 S. 43 zu Nr. 2; vgl. weiter S. 39 zu § 68 ≪= § 70 AsylVfG≫: „Absatz 1 übernimmt die Vorschrift des § 30 Abs. 5 Satz 1 AuslG in das AsylVfG mit der Klarstellung, daß die Abschiebung nicht nur vorübergehend unmöglich sein muß.”). Daß die Überführung der Aufenthaltsbefugnis von § 30 Abs. 5 Satz 1 AuslG in § 70 AsylVfG als rein redaktioneller Etikettenwechsel ohne materielle Änderung des Aufenthaltserlaubnistatbestandes verstanden worden ist, bestätigt auch das völkervertragliche Verhalten der Bundesrepublik Deutschland nach Erlaß des Asylverfahrensgesetzes 1992. Denn sie hat den Generalsekretär des Europarates von dieser Änderung ihrer Gesetzgebung nicht unterrichtet. Hierzu wäre sie aber nach Art. 16 Abs. a EFA verpflichtet gewesen, wenn sie der Auffassung gewesen wäre, daß diese Änderung den Inhalt des Anhangs III berührt hat (vgl. auch Oberverwaltungsgericht Münster, Urteil vom 13. Dezember 1999 – OVG 16 A 5587/97 – ≪Urteilsabdruck S. 12 f.≫; OVG Lüneburg, Beschluß vom 28. Mai 1998 – OVG 4 M 2534/98 – ≪NVwZ-Beilage 12/1998, 116/117≫).
3. Hält sich aber der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland als Vertragsstaat des Europäischen Fürsorgeabkommens erlaubt auf, sind ihm als Bedürftigem die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 11, 12 BSHG) nach Art. 1 EFA in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen zu gewähren wie den eigenen Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland. „In gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen” („equally with its own nationals and on the same conditions”, „à l'égal de ses propres ressortissants et aux mêmes conditions”) meint nach der gewöhnlichen Bedeutung dieser Bestimmungen in ihrem Zusammenhang sowie deren Ziel und Zweck (Art. 31 Abs. 1 des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens – WVÜ – ≪BGBl 1985 II S. 926≫) nicht nur die Garantie gleicher Fürsorgeleistungen nach Art und Höhe (so aber wohl OVG Hamburg, Beschluß vom 30. März 1994 – BS IV 56/94 – ≪FEVS Bd. 45/1995, 209/213≫; OVG Berlin, Beschluß vom 25. Oktober 1996 – 6 S 347/96 – ≪NVwZ-Beilage 7/1997, 54/55≫), sondern auch, daß diese Leistungen durch den Vertragsstaat den vom Europäischen Fürsorgeabkommen in Schutz genommenen Personen auch unter den gleichen Bedingungen erbracht werden wie den eigenen Staatsangehörigen. Denn das Europäische Fürsorgeabkommen zielt nach seinem in der Präambel zum Ausdruck gebrachten Zweck auf die „Festlegung des Grundsatzes der Gleichbehandlung” („establishing the principle of equal treatment”, „établissant le principe de l'égalité”) der Staatsangehörigen der Vertragsstaaten auf dem Gebiet der Fürsorgegesetzgebung (s. bereits BVerwGE 71, 142).
Nichts anderes gilt im übrigen für Art. 23 GFK, der die Vertragsstaaten verpflichtet, den Flüchtlingen, die sich rechtmäßig in ihrem Staatsgebiet aufhalten, auf dem Gebiet der öffentlichen Fürsorge und sonstigen Hilfeleistungen „die gleiche Behandlung wie ihren eigenen Staatsangehörigen” („the same treatment … as is accorded to their nationals”, „le même traitement … qu'à leurs nationaux”) zu gewähren. Denn auch die „gleiche Behandlung” ist ein weit gefaßter Ausdruck, der nicht nur die gleichen Leistungen nach Art und Höhe einschließt (darauf möchte der Oberbundesanwalt den Aussagegehalt des Art. 23 GFK beschränkt wissen), sondern auch voraussetzt, daß in vergleichbaren Situationen mit Flüchtlingen nicht anders umgegangen wird als mit den eigenen Staatsangehörigen (vgl. Deiseroth, DVBl 1998, 116 ≪118≫; ders., ZAR 2000, 7 ≪14≫).
Die Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland aber unterliegen keinerlei Einschränkungen der Hilfegewährung, die an den tatsächlichen Aufenthaltsort des Hilfebedürftigen anknüpfen. Lediglich für einen begrenzten Personenkreis, den der Spätaussiedler, hat der Bundesgesetzgeber seit 1996 denen des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG vergleichbare Beschränkungen für die Dauer von zwei Jahren nach Aufnahme des Spätaussiedlers vorgesehen, wenn dieser an einem anderen als dem ihm zugewiesenen vorläufigen Wohnort ständigen Aufenthalt nimmt (§ 3 a des Gesetzes über die Festlegung eines vorläufigen Wohnortes für Spätaussiedler in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Februar 1996 ≪BGBl I S. 225≫), um einer Überlastung von Ländern, Trägern der Sozialhilfe sowie von Gemeinden durch eine angemessene Verteilung entgegenzuwirken (§ 1 Abs. 1 des Gesetzes). Diese Beschränkungen aber sind eine bereichsspezifische Sonderregelung und prägen nicht die allgemeine sozialhilferechtliche Rechtsstellung der Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland.
4. Eine völkervertraglich wirksame Einschränkung der Inländergleichbehandlungsgewährleistung des Europäischen Fürsorgeabkommens ist durch die Einführung der Regelung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG (als § 120 Abs. 4 Satz 2 BSHG durch Art. 7 Nr. 2 des Gesetzes zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 ≪BGBl I S. 1354≫) nicht erfolgt. Zwar ist im Anhang I zum Europäischen Fürsorgeabkommen samt Protokoll in der seit dem 1. Februar 1991 gültigen Fassung (BGBl II S. 686) als Fürsorgegesetz im Sinne des Art. 1 EFA das „Bundessozialhilfegesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Januar 1987 (BGBl I S. 401, 494), zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 9. Juli 1990 (BGBl I S. 1354)”, genannt. Daraus folgt aber keine Einschränkung der völkervertragsrechtlichen Fürsorgegewährleistung (so aber wohl OVG Berlin, Beschluß vom 28. Januar 1998 – 6 S 162/97 – ≪NVwZ-Beilage 4/1998, 34/35≫). Denn eine solche Mitteilung nach Art. 16 EFA, sinngemäß anzuwenden nach Art. 4 EFA-Zusatzprotokoll, hat nur klarstellende Bedeutung, um die übrigen Vertragsstaaten über den Stand der Fürsorgegesetzgebung im mitteilenden Vertragsstaat zu informieren (vgl. Denkschrift zum Europäischen Fürsorgeabkommen und dem Zusatzprotokoll, BTDrucks II/1882 S. 23). Will der mitteilende Vertragsstaat, daß sich eine spätere Änderung seiner Fürsorgegesetzgebung auf die Staatsangehörigen der übrigen Vertragsstaaten und die durch das Zusatzprotokoll begünstigten Flüchtlinge nicht in der gleichen Weise auswirken soll wie auf seine eigenen Staatsangehörigen, muß er seine Mitteilung an den Generalsekretär des Europarats mit einem entsprechenden Vorbehalt verbinden (vgl. Art. 16 Abs. b Satz 2 EFA und die Denkschrift ≪a.a.O.≫). Einen weitergehenden Vorbehalt als den nach Einführung des Bundessozialhilfegesetzes abgegebenen, sich nicht zur Gewährung von sozialhilferechtlichen Hilfen zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage und von Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten zu verpflichten, hat aber die Bundesrepublik Deutschland nicht abgegeben (s. Anhang II in der seit dem 1. Dezember 1982 gültigen Fassung ≪BGBl 1983 II S. 338≫ und – gleichlautend – in der seit dem 1. Februar 1991 gültigen Fassung ≪BGBl II S. 687≫).
Sie hätte einen solchen Vorbehalt nach Art. 16 Abs. b Satz 2 EFA ohnehin nur bei neuen, im Anhang II noch nicht aufgeführten Rechtsvorschriften machen können, zu denen das Bundessozialhilfegesetz als bereits in der Anhangsfassung 1982 aufgenommenes Fürsorgegesetz nicht gehört. Denn Art. 16 Abs. b Satz 2 EFA soll den Vertragsstaaten nur die Vorbehalte offenhalten, die sie bei Vertragsschluß noch nicht machen konnten, weil es ein entsprechendes Fürsorgegesetz noch nicht gab, nicht aber den Vertragsstaaten erlauben, sich aus bereits vorbehaltlos eingegangenen Verpflichtungen nachträglich einseitig zu lösen. Eine nachträgliche Absenkung des gesetzlichen Fürsorgestandards für den vom Europäischen Fürsorgeabkommen geschützten Ausländerkreis ist demnach unter der Geltung des Europäischen Fürsorgeabkommens nur durch Absenkung des Fürsorgestandards für Inländer möglich (vgl. Denkschrift ≪a.a.O.≫).
5. Ebenfalls nicht zu folgen vermag der Senat auch dem Argument des OVG Berlin (a.a.O., S. 35), § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG sei u.a. deshalb mit dem Sinn und Zweck des Europäischen Fürsorgeabkommens vereinbar, weil dieses die nach nationalem Recht möglichen räumlichen Beschränkungen der in Anlage III genannten Aufenthaltstitel unberührt lasse. Ob die Grundannahme des OVG Berlin zutrifft, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn selbst wenn räumliche Beschränkungen einer Aufenthaltsbefugnis i.S. des § 12 Abs. 1 Satz 2 AuslG nach dem Europäischen Fürsorgeabkommen zulässig sein sollten, so sind sie weder Gegenstand des vorliegenden Verfahrens noch der Regelung des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG. Denn diese Vorschrift knüpft gerade nicht an räumliche Beschränkungen der Aufenthaltsbefugnis und deren Zulässigkeit an, sondern an den Ort der Erteilung der Aufenthaltsbefugnis. Sie versucht lediglich ein wirkungsähnliches Ergebnis dadurch zu erzielen, daß sie durch Verweigerung der Fürsorgeleistungen außerhalb des Bundeslandes, dessen Behörde die Aufenthaltsbefugnis erteilt hat, den Ausländer zwingen will, dieses Bundesland entweder nicht zu verlassen oder umgehend in dieses zurückzukehren. Eine derartige Vorschrift ist an der völkervertragsrechtlichen Gewährleistung zu messen, in die sie unmittelbar eingreift, also an Art. 1 EFA. Diese Gewährleistung aber läßt keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennen, daß es den Vertragsstaaten erlaubt sein sollte, die Gewährung von Fürsorgeleistungen auf ein bestimmtes räumliches Gebiet zu beschränken und damit den auf Sozialhilfe angewiesenen Staatsangehörigen anderer Vertragsstaaten und den Konventionsflüchtlingen fürsorgerechtlich begründete Residenzverpflichtungen aufzuerlegen. Vielmehr spricht gerade die Betonung, daß der sich „in irgendeinem Teil” („in any part”, „toute partie”) des Hoheitsgebietes des Vertragsstaates aufhaltende fürsorgebedürftige Ausländer zu begünstigen sei, dafür, daß Art. 1 EFA mit seinem Gebot der Inländergleichbehandlung auch die Inländern nicht zugemuteten räumlichen Differenzierungen der Fürsorgegewährleistung ausschließen will (so überzeugend OVG Münster, Urteil vom 13. Dezember 1999 – OVG 16 A 5587/97 – ≪Urteilsabdruck S. 15≫; ähnlich VGH München, Beschluß vom 1. Juli 1997 – 12 CE 96.2856 – ≪NVwZ-Beilage 1/1998, 5≫).
6. Etwas anderes ergibt sich auch nicht dann, wenn man mit der Beklagten davon ausgehen wollte, daß mit dem Zusatzprotokoll zum Europäischen Fürsorgeabkommen nicht mehr Rechte für Flüchtlinge begründet werden sollten als mit der Genfer Flüchtlingskonvention selbst und sich deshalb der Kläger den der Freizügigkeitsgewährleistung in Art. 26 GFK beigegebenen Vorbehalt entgegenhalten lassen müßte (so auch OVG Berlin, Beschluß vom 28. Januar 1998 – 6 S 162.97 – ≪FEVS 48/1998, 454/456≫). Denn § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG gehört bereits nicht zu den „Bestimmungen, die allgemein auf Ausländer unter den gleichen Umständen Anwendung finden” („regulations applicable to aliens generally in the same circumstances”, „réglementation applicable aux étrangers en général dans les mêmes circonstances”). Er findet nämlich nicht auf alle Ausländer Anwendung, die sich – wie es Art. 26 GFK formuliert – rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten (vgl. Art. 6 GFK), sondern nur auf solche mit einer räumlich nicht beschränkten Aufenthaltsbefugnis (nur auf diese Gruppe will OVG Berlin, Beschluß vom 25. Oktober 1996 ≪a.a.O., S. 55≫ abstellen; wie hier dagegen OVG Lüneburg, Beschluß vom 28. Mai 1998 – 4 M 2534/98 – ≪NVwZ-Beilage 11/1998, 116/118≫). Die gegenteilige Auffassung der Beklagten und des Oberbundesanwalts stützt sich auf einen Wortlaut („allgemeine Vorschriften”), der der Begrifflichkeit in Art. 5 Abs. 2 GG („allgemeine Gesetze”) ähnelt, aber in den Text des Genfer Flüchtlingsabkommens keinen Eingang gefunden hat.
Darüber hinaus widerspräche es der Systematik und dem Schutzzweck des Europäischen Fürsorgeabkommens ebenso wie dem der Genfer Flüchtlingskonvention, Schranken unbeschränkt gewährleisteter Ansprüche aus Vorbehalten von Gewährleistungstatbeständen herzuleiten, die von einer vertragsstaatlichen Maßnahme nur faktisch und allenfalls mittelbar betroffen werden. Völkerrechtliche Verträge, die darauf angelegt sind, einen bestimmten Personenkreis in Schutz zu nehmen und ihm über die vertragsstaatliche Gesetzgebung durchsetzbare Ansprüche zu vermitteln, sind in besonderem Maße den Prinzipien der Vertragsklarheit und der Vorhersehbarkeit verpflichtet. Dies schließt die Annahme aus, die Vertragsstaaten könnten sich gleichsam verdeckte Einschränkungen der Fürsorgegewährleistung im Freizügigkeitstatbestand vorbehalten haben. Darüber hinaus trifft es nicht zu, daß in Art. 26 GFK die Schaffung faktischer Hindernisse für die Wahrnehmung des Rechts auf Freizügigkeit vorbehalten ist (so aber OVG Münster, Beschluß vom 10. Juni 1997 – 24 B 3003/96 – ≪Beschlußabdruck S. 5≫). Vielmehr stellt Art. 26 GFK das Recht auf Freizügigkeit unter den Vorbehalt von „Bestimmungen” („regulations”, „réglementation”), also rechtseinschränkend wirkenden rechtlichen Regelungen (so zutreffend Deiseroth, DVBl 1998, 116 ≪119≫, und ZAR 2000, 7 ≪14≫). Als rechtliche Regelung aber schränkt § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG nicht die Freizügigkeit, sondern das Recht auf Fürsorge ein und ist deshalb an den insoweit spezielleren Gewährleistungen der Art. 23 GFK und Art. 1 EFA zu messen.
Selbst wenn es richtig sein sollte, daß das in Art. 23 GFK und Art. 1 EFA gewährleistete Recht auf Fürsorge nicht das Recht auf freie Wahl des Aufenthaltsorts einschließt mit der Folge, den Ort der Fürsorgeleistung bestimmen zu dürfen, vielmehr insoweit allein Art. 26 GFK maßgebend ist (so BVerwGE 100, 335 ≪346≫ zu den mit den Art. 23, 26 GFK inhaltsgleichen Art. 23, 26 StlÜbK, dem allerdings die Bundesrepublik Deutschland den Vorbehalt beigefügt hat, daß Art. 23 StlÜbK uneingeschränkt nur auf Staatenlose angewandt werde, die zugleich Flüchtlinge i.S. der Genfer Flüchtlingskonvention sind, i.ü. jedoch nur in einem nach Maßgabe innerstaatlicher Gesetze eingeschränkten Umfange ≪Art. 1 Nr. 1 Zustimmungsgesetz vom 12. April 1976, BGBl II S. 473≫), so folgte daraus allein, daß sich der Ausländer gegen Freizügigkeitsbeschränkungen nach Art. 26 GFK nicht mit der Berufung auf Art. 23 GFK und Art. 1 EFA zur Wehr setzen könnte, nicht aber, daß er sich räumliche Einschränkungen des Fürsorgerechts gefallen lassen müßte, die sich nicht lediglich als Folge einer räumlichen Beschränkung der erteilten Aufenthaltsgenehmigung nach Art. 26 GFK darstellen (so lag der Fall in BVerwGE 100, 335 ≪346≫).
7. § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG geht auch nicht als späteres Recht dem Art. 1 EFA vor (ebenso OVG Lüneburg, Beschluß vom 28. Mai 1998 ≪a.a.O., S. 118≫; VGH München, Beschluß vom 1. Juli 1997 – 12 CE 96.2856 – ≪NVwZ-Beilage 1/1998, 5/6≫; VGH Kassel, Beschluß vom 12. Februar 1999 – 1 TG 404/99 – ≪NVwZ-Beilage I 6/1999, 53≫; ähnlich VGH Mannheim, Beschluß vom 18. Dezember 1996 – 7 S 2948/96 – ≪NDV-RD 1997, 135/137≫ zu Art. 23 GK; a.A. OVG Hamburg, Beschluß vom 30. März 1994 ≪a.a.O., S. 212≫). Der aus dem rechtsstaatlichen Postulat der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung abgeleitete ungeschriebene, aber gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtssatz „lex posterior derogat legi priori” (vgl. BVerwGE 85, 289 ≪292 f.≫; BSG, Urteil vom 21. März 1991 – 4/1 RA 51/89 – ≪SozR 3-2200 § 1259 RVO Nr. 5 = NZA 1991, 830≫) gilt zwar auch im Verhältnis von einfachem Bundesgesetzesrecht zu völkerrechtlichem Vertragsrecht, das nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in innerstaatliches Recht mit dem Range einfachen Bundesrechts transformiert worden ist (vgl. BGHZ 26, 200 ≪202≫; OVG Hamburg, Urteil vom 21. März 1995 – OVG Bf VI 31/91 – ≪MDR 1995, 971≫; Rojahn, in: von Münch/Kunig, GG, 3. Aufl. 1995, Art. 59 Rn. 37; R. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 2. Aufl. 1994, S. 177; ebenso auch Oberster Gerichtshof Wien, Entscheidung vom 4. Oktober 1994 – 4 Ob 88/94 – ≪GRUR Int. 1995, 714/715≫). Er beansprucht aber nur Geltung für die Lösung temporaler Kollisionen tatbestandsidentischer Normen und nur für den Fall, daß sich dem jüngeren Gesetz im Wege der Auslegung keine Aussage über das Schicksal des älteren Rechts entnehmen läßt (vgl. Quaritsch, Das parlamentslose Parlamentsgesetz, 2. Aufl. 1961, S. 20 f.; Renck, JZ 1970, 770). Keine dieser Voraussetzungen liegt hier vor.
Zutreffend hat das Berufungsgericht dargelegt, daß Art. 1 EFA und Art. 2 des Zusatzprotokolls als Inländergleichbehandlungsnormen von ihrem Tatbestand her nur Ausschnitte des Personenkreises erfassen, für den § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG die dort umschriebene Rechtsfolge anordnet. Decken sich aber die Tatbestände ranggleicher Normen unterschiedlichen Alters nur teilweise, können sie – ohne mit dem Postulat der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung in Konflikt zu geraten – mit der Setzung unterschiedlicher Rechtsfolgen nebeneinander Geltung beanspruchen, wenn und weil die jüngere generelle Norm ihren Geltungsanspruch nicht auf den Überschneidungsbereich mit der älteren speziellen erstreckt. Dann gilt: „lex posterior generalis non derogat legi priori speciali” (BFHE 169, 564 ≪569≫; Renck, JZ 1970, 770). Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung der lex posterior zu klären.
Zu Recht ist hierbei das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 58, 1 ≪34≫; 59, 63 ≪89≫; 74, 358 ≪370≫) davon ausgegangen, daß § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG als einfaches Bundesgesetz im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auszulegen und anzuwenden ist und hierbei der Tatsache, daß die Vorschrift später erlassen worden ist als das völkerrechtlich geltende Europäische Fürsorgeabkommen, keine ausschlaggebende Bedeutung zukommt. Denn es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will (BVerfGE 74, 358 ≪370≫). Der Vorrang des späteren Gesetzes kann deshalb nur dann eingreifen, wenn der Gesetzgeber seinen Willen zur Derogation des transformierten völkervertraglichen Rechts mit aller Deutlichkeit herausgestellt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1999 – BVerwG 4 CN 9.98 – ≪ZfBR 2000, 188/189≫). Zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, daß dies weder dem Wortlaut noch dem Zweck des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG noch seiner Entstehungsgeschichte entnommen werden kann.
Wortlaut und Zweck der Vorschrift zwingen nicht zu der Annahme, der Gesetzgeber habe mit seiner generell formulierten Regelung auch spezielles älteres Völkervertragsrecht innerstaatlich außer Geltung setzen wollen, sondern lassen auch die Auslegung zu, vorgefundene anderslautende völkervertragsrechtliche Regelungen hätten als leges speciales unberührt bleiben sollen. Denn der Zweck des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG, eine unverhältnismäßige Belastung einzelner Teile des Bundesgebietes, insbesondere der Ballungszentren, mit Sozialhilfekosten durch Binnenwanderung aufenthaltsbefugter Ausländer zu verhindern (vgl. BTDrucks 11/6321 S. 90 zu Artikel 7), wird in dem der Vorschrift verbleibenden weiten Anwendungsbereich uneingeschränkt erreicht (vgl. Deiseroth, DVBl 1998, 116 ≪123≫). Ebensowenig ist erkennbar, daß die Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung einer unverhältnismäßigen Belastung einzelner Teile ihres Gebietes und zur Erreichung eines in diesem Sinne gerechten innerstaatlichen Lastenausgleichs unabdingbar auf den in § 120 Abs. 5 BSHG vorgezeichneten Weg angewiesen ist und deshalb Art. 1 EFA aus Gründen einer souveränitätsschonenden Auslegung (vgl. BVerwGE 66, 29 ≪35≫; 71, 139 ≪144≫; 80, 249 ≪253≫) nicht als älteres Spezialrecht verstanden werden kann. Denn der Bundesrepublik Deutschland steht mit dem Institut des interkorporativen Erstattungsanspruchs (vgl. § 107 BSHG) ein gesetzgeberisches Mittel zur Verfügung, mit dem sie einen von ihr für erforderlich gehaltenen innerstaatlichen Lastenausgleich bewirken kann, ohne mit ihren völkervertragsrechtlichen Pflichten in Konflikt zu geraten.
Auch der Entstehungsgeschichte läßt sich ein entsprechender Derogationswille des Bundesgesetzgebers gegenüber den älteren Regelungen des Europäischen Fürsorgeabkommens nicht entnehmen. Im Gegenteil stellt der Allgemeine Teil der Begründung zum Entwurf für ein Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts deutlich den Willen heraus, durch seine Regelungen sicherzustellen, daß eingegangene völkervertragsrechtliche Verpflichtungen uneingeschränkt eingehalten werden können (BTDrucks 11/6321 S. 43 zu III. 3.). Im übrigen war § 120 Abs. 5 BSHG in seiner heutigen Fassung als § 120 Abs. 4 BSHG bereits konzipiert (vgl. BTDrucks 11/6321 S. 37), als an eine dem heutigen § 70 AsylVfG entsprechende Vorschrift noch gar nicht gedacht war. Denn § 30 Abs. 5 AuslG 1990 ist erst auf Vorschlag des Bundesrates in das Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts aufgenommen worden, ohne daß dabei deutlich geworden wäre, die Gesetzgebungsorgane hätten über eine für notwendig erachtete Ergänzung des § 30 AuslG im Hinblick auf die Regelungen des Asylverfahrensgesetzes über Nachfluchtgründe und anderweitige Sicherheit vor Verfolgung (so BTDrucks 11/6541 S. 3 und 11 zu Nr. 11) hinaus auch an eine Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG gedacht. Dies zeigt, daß § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG seiner gesetzgeberischen Konzeption nach gar nicht auf Konventionsflüchtlinge zugeschnitten war und ist (vgl. VG Berlin, Beschluß vom 24. November 1995 – 17 A 322/95 – ≪NVwZ-Beilage 6/1996, 48≫; VGH Mannheim, Beschluß vom 18. Dezember 1996 ≪a.a.O., S. 137≫; VGH Kassel, Beschluß vom 12. Februar 1999 – 1 TG 404/99 – ≪NVwZ-Beilage I 6/1999, 53≫).
8. Ist nach alledem § 120 Abs. 5 Satz 2 BSHG auf Konventionsflüchtlinge nicht anwendbar, so war bereits aus diesem Grund die Revision der Beklagten zurückzuweisen; ohne daß es auf die weitere selbständig tragende Begründung des Berufungsgerichts ankam.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit aus § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Prof. Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 18.05.2000 durch (Müller) Angestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 558305 |
BVerwGE, 200 |
NVwZ 2000, 1414 |
DÖV 2001, 391 |
FEVS 2000, 433 |
ZAR 2000, 226 |
BayVBl. 2001, 87 |
DVBl. 2000, 1535 |
NDS-RD 2000, 84 |
VA 2000, 196 |
info-also 2001, 47 |