Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommen, auf Sozialhilfe anzurechnendes –;. Einsatzgemeinschaft, Einsatz von Einkommen in –. Kindergeld als sozialhilferechtlich anzurechnendes Einkommen
Leitsatz (amtlich)
Ein Elternteil kann das auf seine Sozialhilfe bzw. die seiner Kinder nach §§ 11, 76 BSHG anzurechnende Kindergeld nicht dadurch mindern, dass er Teile davon seinem von Hilfe zum Lebensunterhalt ausgeschlossenen Ehegatten überlässt.
Normenkette
BSHG § 11 Abs. 1 S. 2, § § 76 ff.
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Entscheidung vom 07.03.2000; Aktenzeichen 4 L 3272/99) |
VG Hannover (Entscheidung vom 15.04.1999; Aktenzeichen 15 A 2920/98) |
Tenor
Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 7. März 2000 wird aufgehoben.
Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Hannover vom 15. April 1999 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
I.
Der Beklagte gewährte den Klägern – Mutter und zwei minderjährigen Kindern – mit Bescheid vom 18. Februar 1997 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt ab 1. November 1996. Er rechnete dabei das für die Kinder an die Mutter gezahlte Kindergeld von je 200 DM für die Zeit bis Dezember 1996 und von je 220 DM für die Zeit ab Januar 1997 auf den Bedarf an. Den dagegen erhobenen Widerspruch mit der Begründung, der studierende Vater, der keine Ausbildungsförderung mehr erhalte, benötige die Hälfte des Kindergeldes für sein Existenzminimum, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 1997 zurück.
Die Klage der Kläger, den Beklagten zu verpflichten, ihnen weitere laufende Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit vom 1. November 1996 bis zum 31. Dezember 1996 in Höhe von 200 DM monatlich und für die Zeit vom 1. Januar 1997 bis zum 27. Mai 1997 in Höhe von 220 DM monatlich zu gewähren, hat das Verwaltungsgericht mit Gerichtsbescheid abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Oberverwaltungsgericht den Gerichtsbescheid teilweise geändert und den Beklagten verpflichtet, den Klägern weitere laufende Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit vom 1. November 1996 bis zum 31. Dezember 1996 in Höhe von 100 DM monatlich und für die Zeit vom 1. Januar 1997 bis zum 27. Mai 1997 in Höhe von 110 DM monatlich zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Ehemann der Klägerin zu 1 und Vater der Kläger zu 2 und 3 sei Mitglied der Gemeinschaft des § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG. Deshalb stehe ihm das Kindergeld zu einem Viertel (Aufteilung nach Kopfteilen) für seinen offenen Bedarf zu, welches folglich als anrechenbares Einkommen bei den Klägern fehle.
Mit der Revision beantragt der Beklagte, das Berufungsurteil zu ändern und die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Hannover vom 15. April 1999 zurückzuweisen. Das Berufungsurteil verletze §§ 11, 26 BSHG. Zugunsten des nicht sozialhilfeberechtigten Vaters dürften nicht Teile des Kindergeldes sozialhilferechtlich anrechnungsfrei bleiben.
Die Kläger verteidigen das Berufungsurteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Beklagten ist begründet. Die Klagabweisung durch das Verwaltungsgericht ist rechtens, das Berufungsurteil deshalb mit Bundesrecht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) nicht vereinbar und unter Zurückweisung der Berufung aufzuheben (§ 144 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
Das Berufungsgericht (OVG Lüneburg, Urteil vom 7. März 2000 – 4 L 3272/99 – NDV-RD 2000, 56) geht zwar zu Recht davon aus, dass das Kindergeld für die beiden minderjährigen Kinder, die Kläger zu 2 und 3, das hier an die Klägerin zu 1 als Kindergeldberechtigte gezahlt worden ist, Einkommen ist und bei der Berechnung der Sozialhilfe nach § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG zu berücksichtigen ist. Kindergeld ist sozialhilferechtlich anrechenbares Einkommen (BVerwGE 94, 326, 328). Das gilt auch nach der steuerrechtlichen Regelung des Kindergeldes in §§ 31, 62 ff. EStG und nach dem Bundeskindergeldgesetz in der Fassung des Art. 2 Jahressteuergesetz 1996 vom 11. Oktober 1995 – BGBl I S. 1250, 1378 – (s. OVG Hamburg, Urteil vom 23. April 1999 – Bf IV 3/97 – FEVS 51, 263; s. auch Antwort der Bundesregierung vom 30. Juni 1999 auf die Kleine Anfrage zur Anrechnung des Kindergeldes bei Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz BTDrucks 14/1348). Fällt wegen eines Kindes in Höhe des Kindergeldes weniger Steuer an oder ist das Kindergeld eine Leistung zur Förderung der Familie, fließt in dieser Höhe Einkommen zu. Im Streitfall, in dem nach den unbestrittenen und damit bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts beide Eltern nicht ausreichend Einkommen für ihren Lebensunterhalt und den ihrer Kinder hatten, ist das Kindergeld insgesamt Leistung zur Förderung der Familie.
Das Berufungsgericht verletzt aber Bundesrecht, weil es nicht, wie es § 11 Abs. 1 Satz 2, §§ 76 ff. BSHG in der für die streitgegenständliche Zeit geltenden Fassung bestimmte, das gesamte Kindergeld als bei der Berechnung der Sozialhilfe der Kläger anzurechnendes Einkommen berücksichtigt hat (§ 76 Abs. 2 Nr. 5 BSHG, wonach jetzt vom Einkommen ein Betrag für Kinder abzusetzen ist, galt damals noch nicht). Es hat zwar zutreffend zunächst festgestellt, dass der Klägerin zu 1 als einer nach § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG Einsatzpflichtigen Kindergeld als Einkommen zugeflossen ist, es hat aber zur weiteren Prüfung, inwieweit Einkommen anzurechnen ist bzw. anrechnungsfrei bleibt, zu Unrecht nicht entscheidend auf die Regelung in §§ 76 ff. BSHG abgestellt.
Vielmehr ist das Berufungsgericht der Frage nachgegangen, „wie das … bezogene Kindergeld als Einkommen auf den Bedarf der hilfebedürftigen Mitglieder der Gemeinschaft des § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG aufzuteilen ist”. Diese Frage stellt sich aber im Streitfall nicht, weil die Gemeinschaft des § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG keine Bedarfs-, sondern eine Einsatzgemeinschaft ist und der Ehemann der Klägerin zu 1 und Vater der Kläger zu 2 und 3 nach den unstreitigen Feststellungen des Berufungsgerichts wegen § 26 Abs. 1 Satz 1 BSHG von Hilfe zum Lebensunterhalt ausgeschlossen war, mit den Klägern also nicht in einer sozialhilferechtlichen Bedarfsgemeinschaft stand.
Für den Anspruch der Kläger auf Sozialhilfe ist allein entscheidend, welchen Bedarf sie hatten und welches Einkommen ihnen anrechenbar zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stand. Auch wenn Kindergeld, wie anderes Einkommen auch, ohne strikte Zweckbindung verwendet werden darf, ist es sozialhilferechtlich vorrangig zur Bedarfsdeckung einzusetzen, sei es nach § 11 Abs. 1 Satz 1 BSHG bei dem das Kindergeld erhaltenden Elternteil – hier der Klägerin zu 1 – selbst, sei es nach § 11 Abs. 1 Satz 2 BSHG bei dessen minderjährigen unverheirateten seinem Haushalt angehörenden Kindern – hier den Klägern zu 2 und 3 –. Die Klägerin zu 1 kann demnach das auf ihre Sozialhilfe bzw. die ihrer Kinder anzurechnende Kindergeld nicht dadurch mindern, dass sie Teile davon ihrem Ehegatten überlässt. Den Eltern bleibt es unbenommen, den nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BSHG von Hilfe zum Lebensunterhalt ausgeschlossenen Elternteil als Kindergeldberechtigten zu bestimmen (§ 64 Abs. 2 Satz 2 EStG, § 3 Abs. 2 Satz 2 BKGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Prof. Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 21.06.2001 durch Müller Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BVerwGE, 339 |
FamRZ 2002, 455 |
DÖV 2002, 394 |
FEVS 2002, 113 |
NDV-RD 2002, 9 |
ZfF 2002, 137 |
ZfF 2004, 19 |
ZfSH/SGB 2002, 83 |
DVBl. 2002, 347 |
JAmt 2002, 132 |
info-also 2002, 135 |
info-also 2002, 79 |