Entscheidungsstichwort (Thema)
Abkömmling, keine Bindung der Feststellung der Spätaussiedlereigenschaft der Bezugsperson im Verfahren der Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG für –. Bindung, keine – der Ausstellungsbehörde an die Feststellung der Spätaussiedlereigenschaft. Spätaussiedler, keine Bindung an Feststellung der Eigenschaft als – im Verfahren der Erteilung einer Abkömmlingsbescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG
Leitsatz (amtlich)
Im Verfahren der Erteilung einer Bescheinigung als Ehegatte oder Abkömmling eines Spätaussiedlers nach § 15 Abs. 2 BVFG besteht keine Bindung an die Feststellung der Spätaussiedlereigenschaft der Bezugsperson nach § 15 Abs. 1 BVFG.
Normenkette
BVFG (F.1993 bzw. 2001) § 15
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 04.02.2004; Aktenzeichen 19 B 01.2448) |
VG Bayreuth (Entscheidung vom 04.04.2001; Aktenzeichen B 4 K 00.917) |
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. Februar 2004 wird aufgehoben.
Die Soache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die Klägerin ist 1955 in Rumänien geboren. Ihr Vater war ungarischer Volkszugehöriger, ihrer Mutter wurde durch das Landratsamt B.… unter dem 18. Juli 1996 eine Bescheinigung als Spätaussiedlerin nach § 15 Abs. 1 BVFG erteilt.
Die Klägerin hatte am 19. September 1991 die Aufnahme als Aussiedlerin beantragt. Dieser Antrag war vom Bundesverwaltungsamt zunächst abgelehnt worden, weil die Klägerin eine normale Berufsausbildung erhalten und an einer deutschen Einrichtung als Erzieherin gearbeitet habe, so dass Benachteiligungen oder Nachwirkungen früherer Benachteiligungen aufgrund deutscher Volkszugehörigkeit bei ihr nicht festgestellt werden könnten; die von der Klägerin genannten Gründe persönlicher Vereinsamung, schulischer und beruflicher Benachteiligung sowie des nach Abwanderung des deutschstämmigen Teiles der Bevölkerung entstandenen Verlustes der Möglichkeit, kulturelle Veranstaltungen für die deutsche Bevölkerung zu besuchen, seien keine Benachteiligungen im Sinne von § 4 Abs. 2 BVFG. Auf ihren Widerspruch wurde dem Aufnahmeantrag der Klägerin durch Bescheid vom 11. Oktober 1995 entsprochen. Die Klägerin ist daraufhin am 16. Juli 1997 zusammen mit ihrem rumänischen Ehemann und zwei gemeinsamen Kindern in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und am 29. Juli 1997 nach Einbeziehung in das Verteilungsverfahren dem Beklagten zugewiesen worden.
Das Zentrale Ausgleichsamt des Beklagten beim Landratsamt F.… lehnte durch Bescheid vom 20. Juli 2000 einen Antrag der Klägerin auf Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung aus eigenem Recht nach § 15 Abs. 1 BVFG mit der Begründung ab, die Klägerin habe keine Benachteiligung im Sinne des § 4 Abs. 2 BVFG dargelegt. Im Verlaufe des darüber geführten Klageverfahrens hat die Klägerin ihr Begehren auf Erteilung einer Bescheinigung als Abkömmling nach § 15 Abs. 2 BVFG umgestellt. Der Beklagte ist diesem Begehren entgegengetreten, weil auch die Mutter der Klägerin keine Spätaussiedlerin sei; denn auch sie habe als Benachteiligung nur Vereinsamung als Deutsche im Aussiedlungsgebiet geltend gemacht; die ihr erteilte Spätaussiedlerbescheinigung könne zwar infolge Vertrauensschutzes nicht widerrufen werden, binde die Verwaltung aber nicht dahingehend, dass auch im Verfahren der Klägerin von dem Spätaussiedlerstatus ihrer Mutter ausgegangen werden müsse.
Das Verwaltungsgericht hat der auf § 15 Abs. 2 BVFG gestützten Klage stattgegeben. Die hiergegen eingelegte Berufung des Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Beklagte müsse der Klägerin gemäß § 15 Abs. 2 BVFG eine Bescheinigung als Abkömmling eines Spätaussiedlers erteilen. Im Rahmen dieser Bestimmung sei die Spätaussiedlereigenschaft der Mutter der Klägerin nicht erneut zu prüfen. § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG begründe eine Feststellungs- bzw. Bindungswirkung. Durch die unbeschränkte Verweisung in § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG auf Absatz 1 und die dort in Satz 2 normierte Bindung an eine unanfechtbare Spätaussiedlerbescheinigung sei eine Regelung geschaffen worden, die für Spätaussiedler und deren Ehegatten bzw. Abkömmlinge eine einheitliche Entscheidung über die Gewährung von Rechten oder Vergünstigungen sicherstellen solle. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Staatsangehörigkeitsrecht (Urteil vom 19. Juni 2001 – BVerwG 1 C 26.00 –) solle die Bindungswirkung einander widersprechende bzw. miteinander unvereinbare Entscheidungen der zuständigen Behörden und Stellen im Interesse der vom Gesetzgeber bezweckten Integration der Vertriebenen und der Rechtssicherheit vermeiden. Der Rechtsprechung des Gerichts zum Vertriebenenrecht (Urteil vom 12. Juli 2001 – BVerwG 5 C 30.00 – ≪BVerwGE 115, 10≫) sei der Rechtsgedanke zu entnehmen, dass der Aufnahmebescheid im Rahmen des Bescheinigungsverfahrens nach § 15 Abs. 2 BVFG Tatbestandswirkung habe, ohne darüber hinaus auch an die materiellen Voraussetzungen der Aufnahme anzuknüpfen; dieser Rechtsgedanke lasse sich auf das Vorliegen einer Entscheidung über die Spätaussiedlerbescheinigung für die Bezugsperson übertragen.
Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Revision eingelegt, mit der er die Verletzung von § 15 Abs. 1 und 2 BVFG rügt.
Die Klägerin verteidigt das Berufungsurteil und macht geltend, im Verfahren müsse erforderlichenfalls weiteren Benachteiligungsgesichtspunkten hinsichtlich ihrer Mutter nachgegangen werden.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Beklagten ist im Sinne einer Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz begründet. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Beklagten unter Verstoß gegen Bundesrecht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) verpflichtet, der Klägerin eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG zu erteilen. Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 BVFG erhalten Abkömmlinge eines Spätaussiedlers zum Nachweis des Vorliegens der Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 BVFG auf Antrag eine Bescheinigung. Die Klägerin ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht schon deswegen Abkömmling eines Spätaussiedlers, weil ihre Mutter – nur sie kommt als Bezugsperson in Betracht – eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG erhalten hat. Ob die Mutter der Klägerin tatsächlich Spätaussiedlerin ist, kann auf der Grundlage des bisher ermittelten Sachverhalts nicht abschließend beurteilt werden, so dass die Sache zum Zwecke weiterer Sachverhaltsaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
1. Der Bescheinigung, die die Mutter der Klägerin zum Nachweis ihrer Spätaussiedlereigenschaft erhalten hat, kommt im Bescheinigungsverfahren der Klägerin nach § 15 Abs. 2 BVFG (zur fortbestehenden Länderzuständigkeit für die Durchführung des Bescheinigungsverfahrens vgl. § 100b Abs. 2 BVFG i.d.F. des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 ≪BGBl I S. 1950≫) nicht die von den Vorinstanzen angenommene Bindungswirkung zu. Sie bedürfte einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung (vgl. BVerwGE 78, 139 ≪144≫ m.w.N.; Knöpfle, BayVBl 1982, 225 ≪230≫ unter Bezugnahme auf BVerwGE 15, 332; 21, 33 ≪35 f.≫ in Fußnote 53a; Müller-Uri, VR 1982, 246 ≪247≫; von Schenckendorff, Vertriebenen- und Flüchtlingsrecht, B 1 Anm. 3 zu § 15 Abs. 5 BVFG ≪F. 1961≫). Daran fehlt es hier.
Die Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG ist – wie nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Erteilung eines Vertriebenenausweises (siehe BVerwGE 70, 156 ≪159≫; 78, 139 ≪144≫; 85, 79 ≪82≫; Urteil vom 13. Mai 1993 – BVerwG 9 C 44.92 – ≪Buchholz 412.3 § 1 BVFG Nr. 49≫) – ein feststellender Verwaltungsakt. Als gesetzliche Grundlage einer nicht nur im Verhältnis der ausstellenden Behörde zum Inhaber des feststellenden Verwaltungsakts, sondern auch im Verhältnis zu Dritten bestehenden Bindungswirkung scheidet § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG in Verbindung mit Absatz 1 Satz 2 aus (zur Bindungswirkung nach § 15 Abs. 5 BVFG F. 1961, der § 15 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BVFG entspricht, siehe BVerwGE 85, 79 ≪85≫; vgl. auch schon BVerwGE 80, 54 ≪57≫). Danach gilt auch im Falle der Erteilung einer Bescheinigung für den Ehegatten und für Abkömmlinge eines Spätaussiedlers, dass die Entscheidung über die Ausstellung dieser Bescheinigung für alle Behörden und Stellen verbindlich ist, die für die Gewährung von Rechten oder Vergünstigungen als Spätaussiedler nach dem Bundesvertriebenengesetz zuständig sind.
Diese Regelung ist hier nicht unmittelbar einschlägig; denn es geht im vorliegenden Fall nicht um die Bindungswirkung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG, sondern um die Bindung durch eine nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BVFG erteilte Bescheinigung im Rahmen des Verfahrens nach § 15 Abs. 2 BVFG.
Eine solche Bindung kann auch nicht mit der entsprechenden Geltung des Absatzes 1 Satz 2 aufgrund der Verweisung in Absatz 2 Satz 2 begründet werden. § 15 Abs. 1 Satz 2 BVFG bestimmt eine Bindung “für alle Behörden und Stellen …, die für die Gewährung von Rechten oder Vergünstigungen als Spätaussiedler … zuständig sind”. Durch die Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 2 BVFG an einen Ehegatten oder Abkömmling werden dem Inhaber einer Bescheinigung nach Absatz 1 keine “Rechte oder Vergünstigungen als Spätaussiedler” gewährt. Die Zuständigkeit zur Statusfeststellung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 BVFG bezieht sich vielmehr nur auf die Schaffung der Rechtsposition, an die die Zuständigkeit für die “Gewährung von Rechten oder Vergünstigungen” erst anknüpft: Die in § 15 Abs. 1 Satz 2 BVFG als Regelung einer Ausnahme (vgl. Knöpfle, a.a.O.; Müller-Uri, a.a.O.) bestimmte Rechtsfolge besteht in einer “Verknüpfung … (von) Statusfeststellung und der Gewährung der Geld- oder Sachleistung” (BVerwGE 85, 79 ≪86≫ zu § 15 Abs. 5 BVFG F. 1961). Nach der Rechtsprechung des Senats besteht der Zweck der Regelung des § 15 Abs. 2 BVFG und der Vergünstigungsregelung des § 7 Abs. 2 BVFG zwar darin, der Eingliederung des Ehegatten und der Abkömmlinge des Spätaussiedlers und damit auch des Spätaussiedlers selbst zu dienen (siehe BVerwGE 115, 10 ≪14≫; zum ähnlichen Zweck der Erstreckung einer bestehenden Statusanerkennung auf den Ehegatten nach § 1 Abs. 3 BVFG siehe BVerwGE 78, 139 ≪145≫). Durch § 15 Abs. 2 BVFG wird jedoch weder ein eigenes subjektives Recht noch eine Vergünstigung für den Spätaussiedler selbst begründet. Dass das Gesetz zwischen Rechten und Vergünstigungen für den Spätaussiedler selbst und solchen für seinen Ehegatten und seine Abkömmlinge unterscheidet, ergibt sich aus § 7 BVFG. Nach dessen Absatz 1 ist Spätaussiedlern die Eingliederung in das berufliche, kulturelle und soziale Leben in der Bundesrepublik Deutschland zu erleichtern, nach Absatz 2 Satz 1 sind auf den Ehegatten und die Abkömmlinge die §§ 8, 10 und 11 BVFG entsprechend anzuwenden. Dass die Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 BVFG, die zur Inanspruchnahme der “Rechte und Vergünstigungen” im Sinne des Zweiten Abschnitts des Gesetzes berechtigt, nicht die “Gewährung von Rechten oder Vergünstigungen” im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 darstellt, folgt aus der Bindungsvorschrift selbst, die zwischen der Zuständigkeit zur Ausstellung der Bescheinigung und der Zuständigkeit für die Gewährung von Rechten und Vergünstigungen, also zwischen Ausstellungs- und Leistungs- bzw. Betreuungsbehörden unterscheidet. Wenn aufgrund der Verweisung in § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG die Bindungswirkung nach Absatz 1 Satz 2 entsprechend gilt, so ist dies also wie im Rahmen des Absatzes 1 nur in dem Sinne zu verstehen, dass eine Bindung der Betreuungs- und Leistungsbehörden, nicht dagegen auch einer Ausstellungsbehörde bewirkt wird.
Den Vorinstanzen mag eingeräumt werden, dass bei der von ihnen angenommenen Bindungswirkung auch von Ausstellungsbehörden untereinander die Gefahr divergierender Entscheidungen in Verfahren nach § 15 Abs. 1 BVFG einerseits und Absatz 2 andererseits verringert oder gar ausgeschlossen wird. Eine solche Bindung hätte jedoch zwangsläufig eine Einschränkung der Prüfungsbefugnis der für das Verfahren nach § 15 Abs. 2 BVFG zuständigen Ausstellungsbehörde zur Folge und es wäre als unvermeidlich hinzunehmen, dass dann nicht nur einer Person, die in Wirklichkeit kein Spätaussiedler ist, sondern auch dem Ehegatten oder Abkömmling dieser Person Zugang zu den Rechten und Vergünstigungen nach §§ 7 ff. BVFG eröffnet würde. Die zur Rechtfertigung solcher Konsequenzen erforderliche erweiternde Auslegung der Verweisung auf § 15 Abs. 1 BVFG in Absatz 2 Satz 2 zur Erstreckung der Bindungswirkung nach Absatz 1 Satz 2 auf Ausstellungsbehörden lässt sich indessen angesichts der, wie dargelegt, beschränkten Bindungswirkung nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BVFG nicht begründen. Mag auch – wie das Berufungsgericht es sieht – die Verweisungsnorm (§ 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG) “unbeschränkt” sein, so ist es, wie gezeigt, doch nicht die Norm, auf die verwiesen wird (§ 15 Abs. 1 Satz 2 BVFG).
Der Ansicht, dass die Bindungswirkung nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BVFG nicht für die Ausstellungsbehörde nach § 15 Abs. 2 BVFG greife, stehen nicht die vom Berufungsgericht für seine entgegengesetzte Auffassung in Bezug genommenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts entgegen:
Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Staatsangehörigkeitsrecht lässt sich eine weitergehende Bindungswirkung von Bescheinigungen nach § 15 Abs. 1 BVFG im Verfahren nach § 15 Abs. 2 BVFG nicht herleiten. Auch dem Urteil des Senats in BVerwGE 115, 10 kann kein “Rechtsgedanke” entnommen werden, der den Rechtsstandpunkt der Vorinstanzen stützen würde. Der Verwaltungsgerichtshof (S. 10 des Berufungsurteils) beruft sich darauf, dass es in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O., S. 13) heißt, “das Gesetz … (messe) dem Vorliegen eines Aufnahmebescheides im Rahmen des Bescheinigungsverfahrens nach § 15 Abs. 2 BVFG Tatbestandswirkung bei, ohne darüber hinaus an die materiellen Voraussetzungen der Aufnahme anzuknüpfen”. Dieser Entscheidung ist jedoch nichts für die Annahme einer Feststellungswirkung der im Aufnahmeverfahren getroffenen Feststellungen zu den Voraussetzungen einer späteren, im Bescheinigungsverfahren nach § 15 BVFG festzustellenden Spätaussiedlereigenschaft des Aufnahmebewerbers zu entnehmen. Was solche Feststellungen betrifft, hat der erkennende Senat (a.a.O.) vielmehr unter Hinweis darauf, dass das Aufnahmeverfahren der §§ 26 ff. BVFG gegenüber dem Bescheinigungsverfahren nach § 15 BVFG eigenständige Bedeutung hat und Letzteres nicht präjudiziert, ausgeführt, “dass Bewertungen im Aufnahmeverfahren einerseits und im Bescheinigungsverfahren andererseits – etwa hinsichtlich des Vorliegens der Spätaussiedlereigenschaft im konkreten Fall – unterschiedlich ausfallen können”. Darüber kann auch nicht aus Rücksicht auf die “Einheit der Rechtsordnung” hinweggesehen werden, wie die Klägerin es für geboten hält. Konsequenzen wie diejenigen, gegen die die Klägerin sich wendet, sind durch die Existenz differenzierter gesetzlicher Zuständigkeitsregelungen bedingt. Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht das Risiko divergierender behördlicher Beurteilungen der Spätaussiedler- (bzw. Vertriebeneneigenschaft) ein und derselben (Bezugs-)Person auch in den Fällen hingenommen, in denen die Feststellung dieses Status gegenüber der Bezugsperson abgelehnt worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Mai 1993 – BVerwG 9 C 44.92 – ≪Buchholz 412.3 § 1 BVFG Nr. 49≫; BVerwGE 100, 139 ≪140≫; Urteil vom 18. Dezember 2002 – BVerwG 5 C 40.01 – ≪Buchholz 412.3 § 1 BVFG Nr. 57≫).
Der Beklagte ist mithin seiner Befugnis und Pflicht, bei der Entscheidung über den auf § 15 Abs. 2 BVFG gestützten Antrag der Klägerin die Spätaussiedlereigenschaft ihrer Mutter in vollem Umfang in eigener Zuständigkeit zu prüfen, nicht im Hinblick darauf enthoben, dass der Mutter der Klägerin diese Eigenschaft bereits durch eine bestandskräftige Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG bestätigt worden ist.
2. Der Mutter der Klägerin ist jene Bescheinigung ungeachtet dessen erteilt worden, dass sie zur Glaubhaftmachung der Gründe, derentwegen sie im Sinne von § 4 Abs. 2 BVFG Benachteiligungen oder Nachwirkungen früherer Benachteiligungen infolge ihrer deutschen Volkszugehörigkeit unterlag, im Wesentlichen nur geltend gemacht hat, nach der verstärkten Auswanderung des volksdeutschen Bevölkerungsteils im Herkunftsgebiet als Volksdeutsche vereinsamt gewesen zu sein. Mit dem Gesichtspunkt der “Vereinsamung der Zurückgebliebenen in einer von deutschen Volkszugehörigen weitgehend entblößten Umgebung” können jedoch Benachteiligungen im Sinne des § 4 Abs. 2 BVFG nicht begründet werden (siehe BVerwGE 106, 191 ≪199≫).
Da einerseits das Berufungsgericht nicht positiv festgestellt hat, dass bei der Mutter der Klägerin ausschließlich der nicht durchgreifende Vertreibungsgrund “Vereinsamung” vorgelegen und schließlich zur Erteilung der Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BVFG geführt habe, andererseits aber dem Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf § 137 Abs. 2 VwGO eigene Feststellungen zur Klärung der Frage verwehrt sind, worin die von der Klägerin geltend gemachten “weiteren Benachteiligungsgründe” bestanden haben könnten, ist die Sache zur Vornahme entsprechender Ermittlungen an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Unterschriften
Dr. Säcker, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke, Prof. Dr. Berlit
Fundstellen
Haufe-Index 1367336 |
BVerwGE 2006, 101 |
ZAP 2005, 706 |
DÖV 2006, 75 |
DVBl. 2005, 1450 |