Entscheidungsstichwort (Thema)
Diplomaten, Sozialhilfe für ausländische –. Diplomatenstatus, Sozialhilfe trotz –. Gesandtschaftsrecht, Vereinbarkeit von Sozialhilfebezug mit –
Leitsatz (amtlich)
Ausländer mit Diplomatenstatus können regelmäßig keine Sozialhilfe in der Bundesrepublik Deutschland beanspruchen. Ausnahmen kommen in Betracht, wenn der Ausländer zuvor aus dem diplomatischen Dienst des Entsendestaates ausgeschieden ist oder – wegen Handlungsunfähigkeit des Entsendestaates – jedenfalls jegliche diplomatische Tätigkeit faktisch eingestellt hat.
Normenkette
BSHG (F. 1991) § 120 Abs. 1 S. 1 Hs. 1; WÜD Art. 33
Verfahrensgang
VG Köln (Urteil vom 02.12.1994; Aktenzeichen 18 K 2728/92) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 2. Dezember 1994 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob ausländische Diplomaten Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz beanspruchen können.
Die Kläger sind somalische Staatsangehörige. Die Klägerin zu 1 gehört zum diplomatischen Personal der Botschaft der Demokratischen Republik Somalia und ist Inhaberin eines vom Auswärtigen Amt ausgestellten roten Diplomatenausweises. Am 16. Januar 1992 beantragten die Kläger Hilfe zum Lebensunterhalt sowie Krankenhilfe im Rahmen der Sozialhilfe, weil Somalia ab September 1990 weltweit Gehaltszahlungen an seine Diplomaten eingestellt habe, ihre Ersparnisse und Vermögen für ihren Lebensunterhalt verbraucht seien und ihnen eine Rückkehr in ihr Heimatland wegen der dortigen katastrophalen Lage derzeit nicht zugemutet werden könne. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 24. Januar 1992 und Widerspruchsbescheid vom 15. April 1992 unter Hinweis auf den Diplomatenstatus der Kläger ab.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, den Klägern Hilfe zum Lebensunterhalt für die Zeit vom 16. Januar 1992 bis 15. April 1992 zuzüglich Unterkunftskosten sowie Krankenhilfe zu gewähren, und dies im wesentlichen wie folgt begründet:
Für den Rechtsstreit sei die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben. Die Kläger hätten Anspruch auf Sozialhilfe gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit §§ 11, 12, 37 BSHG. Das Bundessozialhilfegesetz sei nicht deshalb unanwendbar, weil der Sozialhilfeträger einen Diplomaten nicht wie andere Hilfeempfänger in Anspruch nehmen und etwa zuviel gezahlte Sozialhilfeleistungen nicht zurückfordern könne. Seiner Aufgabe, Notlagen zu beheben, könne sich der Sozialhilfeträger nicht deshalb entziehen, weil die Erstattung nicht gesichert sei. Auch Art. 33 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen (WÜD) stehe der Gewährung von Sozialhilfe nicht entgegen. Diese Vorschrift beziehe sich nicht auf den Bezug beitragsunabhängiger Sozialhilfeleistungen. Dieser sei auch nicht mit den in Art. 3 WÜD genannten Aufgaben der Diplomaten unvereinbar. Es gehe nicht darum, daß der Empfangsstaat Diplomaten durch dauerhafte Alimentierung wirtschaftlich von sich abhängig mache, sondern darum, daß er in Not geratenen Diplomaten helfe, die von ihrem Entsendestaat nicht mehr bezahlt würden und nicht in ihr Heimatland zurückkehren könnten. Die Exterritorialität der Diplomaten stehe einer Hilfegewährung ebenfalls nicht entgegen; denn nach § 120 Abs. 1 Satz 1 BSHG komme es nicht auf den Wohnsitz, sondern auf den tatsächlichen Aufenthalt des Ausländers an. Die Kläger seien im streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr in der Lage gewesen, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, sicherzustellen. Vorrangige Mittel – etwa des Auswärtigen Amtes – für in Not geratene Diplomaten gebe es nicht. Eine Rückkehr in ihr Heimatland sei den Klägern wegen der eingestellten Flugverbindungen nach Somalia schon technisch nicht möglich gewesen; das Auswärtige Amt habe zudem wegen der völlig chaotischen Lage im Land nachhaltig vor Reisen dorthin gewarnt. Den Klägern sei es innerhalb weniger Monate seit der erstmaligen Befassung eines Gerichts mit den durch ihre Hilfebedürftigkeit aufgeworfenen Problemen angesichts der unübersichtlichen Situation in Somalia und der Schwierigkeit und Tragweite der sich für sie stellenden rechtlichen und wirtschaftlichen Probleme auch nicht zumutbar gewesen, ihren Diplomatenstatus aufzugeben.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die vom Verwaltungsgericht zugelassene Sprungrevision eingelegt, mit der sie sinngemäß die Verletzung von Art. 33 WÜD sowie von § 120 Abs. 1 Satz 1 und § 2 Abs. 1 BSHG rügt.
Der Oberbundesanwalt ist wie die Beklagte der Meinung, aus Art. 33 WÜD folge ein Ausschluß von Sozialhilfeleistungen; auch laufe der Diplomatenstatus der Intention des Bundessozialhilfegesetzes zuwider.
Entscheidungsgründe
II.
Die nach § 134 Abs. 1 VwGO zulässigerweise unter Übergehung der Berufungsinstanz eingelegte Revision der Beklagten ist begründet. Es verletzt Bundesrecht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und führt zur Zurückverweisung an die Vorinstanz (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO), daß diese einen Sozialhilfeanspruch der Kläger ohne Berücksichtigung der mit dem Diplomatenstatus der Klägerin zu 1 verbundenen, einschränkenden Voraussetzungen bejaht hat. Ob Bundesrecht eine Klagestattgabe rechtfertigt, läßt sich nicht ohne eine diese Voraussetzungen betreffende weitere Aufklärung des Sachverhalts beurteilen, die vorzunehmen dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt ist (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO).
In Übereinstimmung mit Bundesrecht hat das Verwaltungsgericht die Klage für zulässig gehalten. Insbesondere sind die Kläger nicht infolge der Immunität von Mitgliedern diplomatischer Missionen und ihrer Familienmitglieder von der deutschen (Verwaltungs-)Gerichtsbarkeit ausgeschlossen; denn seine Immunität hindert den Diplomaten nicht, aktiv als Kläger deutsche Gerichte in Anspruch zu nehmen (vgl. z.B. OVG Münster, Beschluß vom 11. Februar 1992 – 8 B 536/92 – ≪NJW 1992, 2043≫; Gummer, in: Zöller, ZPO, 19. Auflage 1995, Vorbem. zu §§ 18-20 GVG, Rn. 6; Schreiber, in: Wiezcorek/Schütze, ZPO, 3. Auflage 1995, § 18 GVG Rn. 9).
Der Standpunkt des Verwaltungsgerichts, die Klage sei auch begründet, weil den Klägern ungeachtet ihres durch das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961 – WÜD – (BGBl 1964 II S. 959) geregelten Rechtsstatus Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz zustünden, ist jedoch mit Bundesrecht nur in besonders gelagerten – in tatsächlicher Hinsicht hier noch nicht hinreichend aufgeklärten – Ausnahmefällen vereinbar.
Zwar ist nach § 120 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BSHG in der hier noch maßgeblichen Fassung vom 10. Januar 1991 (BGBl I S. 94, 808) Ausländern, die sich im Geltungsbereich dieses Gesetzes tatsächlich aufhalten, u.a. Hilfe zum Lebensunterhalt und Krankenhilfe zu gewähren. Diese Vorschrift gilt aber in aller Regel nicht für den von dem genannten völkerrechtlichen Abkommen erfaßten Personenkreis.
Es kann dahinstehen, ob – wie die Beklagte meint – ein Ausschluß der Kläger von Ansprüchen nach dem Bundessozialhilfegesetz sich bereits aus Art. 33 WÜD ergibt, wonach ein Diplomat in bezug auf seine Dienste für den Entsendestaat von den im Empfangsstaat geltenden Vorschriften über soziale Sicherheit (“social security provisions”) befreit ist. Unabhängig von der Tragweite eines Ausschlusses vom Sozialleistungssystem des Empfangsstaats aufgrund von Art. 33 WÜD können Ausländer mit Diplomatenstatus nämlich jedenfalls deshalb regelmäßig keine Sozialhilfe beanspruchen, weil dies mit dem Wesen und der Funktion des diplomatischen Dienstes unvereinbar ist. Wer einer ausländischen diplomatischen Mission in der Bundesrepublik Deutschland angehört (hat), kann einen Anspruch auf Sozialhilfe deshalb nur haben, wenn er zuvor (förmlich) aus dem diplomatischen Dienst des Entsendestaates ausgeschieden ist oder – bei Handlungsunfähigkeit des Entsendestaates – jedenfalls jegliche diplomatische Tätigkeit faktisch eingestellt hat. Dabei kann auf sich beruhen, ob derartiges aus einer an den Regeln des Völkerrechts über den diplomatischen Dienst orientierten einschränkenden Auslegung des § 120 Abs. 1 Satz 1 BSHG folgt oder aber jenen gegenüber § 120 Abs. 1 Satz 1 BSHG vorrangigen Völkerrechtsregeln (vgl. auch § 30 Abs. 2 SGB I) unmittelbar zu entnehmen ist.
Die Aufgaben des diplomatischen Dienstes und die “von alters her anerkannte besondere Stellung des Diplomaten” (vgl. die Präambel zum WÜD) schließen einen Sozialhilfebezug im Empfangsstaat aus. Die diplomatische Mission ist Organ des Entsendestaates. Die Erfüllung ihrer Aufgaben (vgl. Art. 3 WÜD) ist nur gesichert, wenn der Diplomat seine Stellung “in voller Unabhängigkeit” (vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/1, 2. Auflage 1989, S. 272) ausfüllen kann. Sein Status ist dem Diplomaten im Interesse der Aufgabe diplomatischer Missionen verliehen, den Entsendestaat im Empfangsstaat zu vertreten (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. a WÜD; ferner Abs. 5 der Präambel des WÜD: “In der Erkenntnis, daß diese Vorrechte und Immunitäten nicht dem Zweck dienen, einzelne zu bevorzugen, sondern zum Ziel haben, den diplomatischen Missionen als Vertretungen von Staaten die wirksame Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu gewährleisten, …”). Zum Wesen dieser Rechtsstellung gehören die Unverletzlichkeit des Diplomaten (s. Art. 29 WÜD) und seine Immunität, die ihn von der Zwangsgewalt des Empfangsstaates befreit (Art. 31 WÜD). Der Diplomat unterliegt darum nur ausnahmsweise (vgl. Art. 31 Abs. 1 Satz 2 WÜD) der Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit des Empfangsstaates. Auch wenn er an die generellen Normen des Empfangsstaates gebunden ist, so ist doch deren Vollzug infolge der diplomatischen Immunität gehemmt, damit der ausländische Diplomat nicht durch den Einsatz des Vollzugsapparates des Empfangsstaates in der Erfüllung seiner hoheitlichen Aufgaben behindert wird (s. Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Auflage 1984, S. 580, § 910 Fn. 68). Immunität ist ihm demgemäß eingeräumt, weil anders eine wirksame Erfüllung der Aufgaben der diplomatischen Mission als Vertretungsorgan des Entsendestaates nicht möglich wäre (s. Ipsen, Völkerrecht, 3. Auflage 1990, S. 448 Rn. 34). Mit dieser Aufgabe und mit der “souveränen Gleichheit der Staaten” (Präambel zum WÜD) vertrüge es sich nicht, wenn der Lebensunterhalt der zu ihrer Vertretung berufenen Amtsträger von beitragsunabhängigen, gegenüber anderen staatlichen Sozialleistungen nachrangigen Leistungen des Empfangsstaates abhinge. Die Alimentation ihrer Diplomaten obliegt vielmehr allein den Entsendestaaten.
Der Bezug von Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz setzt somit – grundsätzlich – ein Ausscheiden aus dem diplomatischen Dienst voraus. Über den Fall des Ausscheidens hinaus kommen Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz – ausnahmsweise – aber auch dann in Betracht, wenn einer Beendigung des Diplomatenstatus tatsächliche Hindernisse entgegenstehen, weil der Entsendestaat handlungsunfähig (geworden) ist, und der Diplomat nicht in den Entsende-(Heimat-) staat zurückkehren kann. Dabei ist ein Anspruch auf Sozialhilfe davon abhängig, daß die Mission des Diplomaten zumindest faktisch erloschen ist. Findet der Ausschluß eines Diplomaten vom Sozialhilfebezug seinen Grund in der Sicherung der Funktion des diplomatischen Dienstes, so kann dem einzelnen Diplomaten dieser Ausschlußgrund nicht entgegengehalten werden, wenn er seine diplomatischen Aufgaben aus Gründen etwa der Bürgerkriegssituation in seinem Herkunftsland nicht mehr erfüllen kann und deshalb jegliche dienstliche Tätigkeit faktisch eingestellt hat. Hierzu ist ihm anzusinnen, daß er seinen Willen, sich auch weiterhin der Wahrnehmung diplomatischer Aufgaben zu enthalten, etwa durch die Rückgabe seines Diplomatenpasses, auch dokumentiert.
Unter solchen Umständen sind die von der Revision geäußerten Zweifel an der Zuständigkeit der Beklagten als des örtlichen Trägers der Sozialhilfe unberechtigt. Für die Annahme, Hilfeleistungen könnten – etwa wegen seiner Zuständigkeit zur Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten (Art. 32 Abs. 1 GG) – Sache des Bundes sein, ist jedenfalls dann kein Raum, wenn der in wirtschaftliche Not geratene Ausländer aus dem diplomatischen Dienst ausgeschieden ist. Wenn dagegen der Diplomatenstatus wegen Handlungsunfähigkeit des Entsendestaates ausnahmsweise nicht förmlich beendet werden kann, mag eine Bundeszuständigkeit allerdings erwogen werden, soweit es darum geht, im Rahmen der Pflege der auswärtigen Beziehungen durch wirtschaftliche Hilfeleistungen an das Missionspersonal den diplomatischen Kontakt zum Entsendestaat, sei es auch nur überbrückungsweise, aufrechtzuerhalten, bis dieser seine Handlungsfähigkeit wiedererlangt hat. In solchen Fällen ist aber der örtliche Sozialhilfeträger nicht leistungsverpflichtet, weil, wie dargelegt, das Bundessozialhilfegesetz als Rechtsgrundlage für Hilfeleistungen ausscheidet, solange die diplomatischen Dienstgeschäfte fortgeführt werden. Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob selbst bei Annahme einer Bundeszuständigkeit in den Fällen, in denen der Diplomatenstatus zwar fortbesteht, der Diplomat aber seine dienstliche Tätigkeit faktisch eingestellt hat, der örtliche Träger der Sozialhilfe zur Hilfeleistung nicht schon aufgrund seiner Notzuständigkeit aus § 44 BSHG oder doch jedenfalls deshalb zuständig ist, weil der Bund nach den Feststellungen der Vorinstanz bislang keine Hilfen bereitgestellt hat, auf die der Diplomat als bereite Mittel im Sinne von § 2 Abs. 1 BSHG verwiesen werden könnte.
Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß die diplomatische Mission der Klägerin zu 1 durch Abberufung erloschen war. Die Einstellung der Gehaltszahlung seitens Somalias kann nicht als Abberufung angesehen werden. Bei dieser handelt es sich nämlich um einen förmlichen Vorgang, in den üblicherweise das Staatsoberhaupt oder das Außenministerium des Empfangsstaates eingeschaltet wird (vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, a.a.O., S. 292). Ob Somalia in dem hier maßgeblichen Zeitraum des Jahres 1992 (noch) als Völkerrechtssubjekt fortbestanden hat, aber hinsichtlich der Aufrechterhaltung seines auswärtigen Dienstes handlungsunfähig war und ob die Klägerin zu 1 ihre Dienstgeschäfte faktisch eingestellt hatte, hat das Verwaltungsgericht – von dessen Rechtsstandpunkt aus es hierauf nicht angekommen war – nicht ermittelt. Dies wird deshalb nachgeholt werden müssen.
Unterschriften
Dr. Säcker, Dr. Pietzner, Dr. Rothkegel, Dr. Rojahn, Dr. Franke
Fundstellen
NJW 1996, 2744 |
BVerwGE, 300 |
DVBl. 1996, 871 |