Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Freizügigkeit. Arbeitnehmer. Gleichbehandlung. Soziale Vergünstigungen. Kinder, die zur Schule gehen. Sozialhilfeleistungen. Besondere beitragsunabhängige Geldleistungen. Wanderarbeitnehmer mit unterhaltsberechtigten Kindern, die im Aufnahmemitgliedstaat zur Schule gehen
Normenkette
Verordnung (EU) Nr. 492/2011 Art. 7 Abs. 2, Art. 10; Verordnung (EG) Nr. 883/2004 Art. 4, 70; Richtlinie 2004/38/EG Art. 24
Beteiligte
Jobcenter Krefeld – Widerspruchsstelle |
Tenor
1. Art. 7 Abs. 2 und Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach der ein Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats und seine minderjährigen Kinder, die alle im erstgenannten Mitgliedstaat ein Aufenthaltsrecht aufgrund von Art. 10 dieser Verordnung genießen, weil die Kinder dort die Schule besuchen, unter allen Umständen automatisch vom Anspruch auf Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts ausgeschlossen sind. Diese Auslegung wird durch Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG nicht in Frage gestellt.
2. Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 und Art. 70 Abs. 2 dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der ein Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats und seine minderjährigen Kinder, die alle im erstgenannten Mitgliedstaat ein Aufenthaltsrecht aufgrund von Art. 10 der Verordnung Nr. 492/2011 genießen, weil die Kinder dort die Schule besuchen, und die dort in einem Sozialversicherungssystem im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 eingebunden sind, unter allen Umständen automatisch vom Anspruch auf besondere beitragsunabhängige Geldleistungen ausgeschlossen sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (Deutschland) mit Entscheidung vom 14. Februar 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Februar 2019, in dem Verfahren
Jobcenter Krefeld – Widerspruchsstelle
gegen
JD
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), der Kammerpräsidenten M. Vilaras, M. Safjan und P. G. Xuereb, der Kammerpräsidentin L. S. Rossi, des Kammerpräsidenten I. Jarukaitis, der Richter J. Malenovský, L. Bay Larsen und T. von Danwitz, der Richterin C. Toader sowie der Richter N. Pičarra und A. Kumin,
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: D. Dittert, Referatsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Februar 2020,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Jobcenters Krefeld – Widerspruchsstelle, vertreten durch S. Schwickert als Bevollmächtigten,
- von JD, vertreten durch Rechtsanwalt J. Kruse,
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und S. Eisenberg als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna, A. Siwek-Slusarek und E. Borawska-Kedzierska als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Montaguti, B.-R. Killmann, J. Tomkin und M. Kellerbauer als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. Mai 2020
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 18 AEUV, der Art. 7 und 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. 2011, L 141, S. 1), von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77, berichtigt im ABl. 2004, L 229, S. 35) und von Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, berichtigt im ABl. 2004, ...