Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Freizügigkeit. Unionsbürgerschaft. Gleichbehandlung. Sozialhilfe. Besondere beitragsunabhängige Geldleistungen. Ausschluss von Angehörigen eines Mitgliedstaats während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat”
Normenkette
Richtlinie 2004/38/EG Art. 24 Abs. 2; Verordnung (EG) Nr. 883/2004 Art. 4, 70
Beteiligte
Vestische Arbeit Jobcenter Kreis Recklinghausen |
Tenor
Art. 24 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG und Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1244/2010 der Kommission vom 9. Dezember 2010 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die sich in einer von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 erfassten Situation befinden, vom Bezug bestimmter „besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen” im Sinne von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004, die auch eine Leistung der „Sozialhilfe” im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 darstellen, ausgeschlossen werden.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (Deutschland) mit Entscheidung vom 22. Mai 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Juni 2014, in dem Verfahren
Vestische Arbeit Jobcenter Kreis Recklinghausen
gegen
Jovanna García-Nieto,
Joel Peña Cuevas,
Jovanlis Peña García,
Joel Luis Peña Cruz
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Vizepräsidenten des Gerichtshofs A. Tizzano in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Ersten Kammer, der Richter F. Biltgen und E. Levits, der Richterin M. Berger (Berichterstatterin) und des Richters S. Rodin,
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. April 2015,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Frau García-Nieto, Herrn Peña Cuevas, Jovanlis Peña García und Joel Luis Peña Cruz, vertreten durch Rechtsanwalt M. Schmitz,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch R. Coesme als Bevollmächtigten,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch M. Holt als Bevollmächtigten im Beistand von B. Kennelly, Barrister,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin, M. Kellerbauer und C. Tufvesson als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. Juni 2015
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 18 AEUV und 45 Abs. 2 AEUV, der Art. 4 und 70 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166, S. 1, berichtigt in ABl. 2004, L 200, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1244/2010 der Kommission vom 9. Dezember 2010 (ABl. L 338, S. 35) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 883/2004) sowie von Art. 24 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, berichtigt in ABl. 2004, L 229, S. 35).
Rz. 2
Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen dem Vestische Arbeit Jobcenter Kreis Recklinghausen (im Folgenden: Jobcenter) einerseits und Herrn Peña Cuevas und Frau García-Nieto sowie ihrer gemeinsamen Tochter, Jovanlis Peña García, und dem Sohn von Herrn Peña Cuevas, Joel Luis Peña Cruz (im Folgenden zusammen: Familie Peña-García), andererseits wegen der Weigerung des Jobcenters, Leistungen der Grundsicherung nach den deutschen Rechtsvorschriften zu gewähren.
Rechtlicher Rahmen
Internationales Recht
Rz. 3
Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens, das von den Mitgliedern des Europarats am 11. Dezember 1953 in Paris unterzeichnet wurde und in Deutschland seit 1956 gilt (im Folgenden: Fürsorgeabkommen), stellt ein Gleichbehandlungsgebo...