Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldabzweigung bei vollstationärer Unterbringung eines behinderten Kindes auf Kosten des Sozialhilfeträgers
Leitsatz (redaktionell)
Übernimmt der Sozialhilfeträger die Kosten der vollstationären Unterbringung eines volljährigen behinderten Kindes, ist für die Frage, ob die Voraussetzung für eine Kindergeldabzweigung nach § 74 Abs. 1 Satz 1 und 4 EStG vorliegen, allein darauf abzustellen, ob die unterhaltspflichtigen Eltern die zum Lebensbedarf ihres Kindes gehörenden laufenden Kosten für die Unterbringung in vollstationärer Pflege übernommen haben. Wird ausschließlich der sozialgesetzlich nach § 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII (vormals § 91 Abs. 2 Satz 3 BSHG) geschuldeten Kostenbeitrag erbracht, kommt eine Abzweigung des Kindergelds in Betracht.
Bei der Ermessensentscheidung der Familienkasse, ob und in welcher Höhe das Kindergeld an den Sozialhilfeträger abgezweigt wird, ist auf den Umfang der Unterhaltsleistungen der Kindergeldberechtigten abzustellen. Dabei ist auch erbrachter Betreuungsunterhalt einzubeziehen.
Normenkette
EStG § 74 Abs. 1 Sätze 1, 4; SGB XII § 94 Abs. 1 S. 2; BSHG § 91 Abs. 2 S. 3; BGB § 1610 Abs. 2
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger stellt seit längerem den Unterhalt des im Jahre 1963 geborenen und wegen Behinderung vollstationär untergebrachten Kindes A.... durch Gewährung von Eingliederungshilfe gemäß §§ 53 ff. Sozialgesetzbuch - SGB - XII (vormals §§ 39 ff. Bundessozialhilfegesetz - BSHG -) sicher. Dessen Mutter, die Beigeladene, wurde seit dem 1. Januar 2002 zu einem Kostenbeitrag in Höhe von 26,00 €, seit dem 1. Januar 2005 erhöht auf 46,00 €, herangezogen. Der Kostenbeitrag wurde regelmäßig gezahlt. Einmal im Jahr besuchen die Eltern ihr Kind, um gemeinsam mit ihr während der Ferien der Behindertenwerkstatt Urlaub in einer für 44,00 € angemieteten Ferienwohnung zu verbringen. Während des Urlaubs kommt es zu Spazierfahrten, gelegentlichen Restaurantbesuchen und kleineren Einkäufen zugunsten des Kindes. Außerdem erhält das Kind zu Weihnachten und zum Geburtstag per Post einen Geldbetrag von 20,00 €. Für ein- bis zweimal im Monat geschickte Pakete mit Süßigkeiten, Kleidung, Kosmetika und Hygieneartikeln gibt die Beigeladene monatlich weitere ca. 50,00 € aus.
Für das Kind wurde der Beigeladenen zunächst laufend Kindergeld bewilligt und auch ausgezahlt. Mit Bescheid vom 8. September 2004 hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes gegenüber der Beigeladenen ab Januar 2003 auf. Daraufhin beantragte der Kläger, dessen früherer Antrag vom 28. Juli 2003 auf Abzweigung des Kindergeldes durch Bescheid vom 13. Oktober 2003 abgelehnt worden war, erneut die Abzweigung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. September 2004 unter Bezugnahme auf den an die Beigeladene gerichteten Bescheid vom 8. September 2004 mit der - im späteren Klageverfahren aufgegebenen - Begründung ab, das Kind könne seinen Lebensunterhalt aufgrund seiner Einkünfte selbst bestreiten. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies die Beklagte durch Einspruchsentscheidung vom 11. Oktober 2005 aus den Gründen des Erstbescheides zurück. Eine Abzweigung des Kindergeldes „sei nicht zu prüfen gewesen“.
Zur Begründung der hiergegen erhobenen Klage macht der Kläger geltend, nach der durch die Rechtsprechung gebotenen Berechnungsweise sei das Kind der Beigeladenen außerstande, sich selbst zu unterhalten. Hieraus ergebe sich sein Abzweigungsbegehren, weil die Beigeladene ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkomme. Im Fall der Gewährung von Eingliederungshilfe sei stets davon auszugehen, dass der Kindergeldberechtigte seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkomme, selbst wenn er partielle Unterhaltsleistungen erbringe. Wie in Parallelfällen schriftsätzlich näher ausgeführt verkenne die Beklagte, selbst wenn sie nunmehr im vorliegenden Fall die materielle Kindergeldberechtigung anerkenne, aber eine Abzweigung unverändert ablehne, dass nur Unterhaltszahlungen, nicht jedoch Sach- und Betreuungsleistungen zur Beurteilung der Voraussetzungen einer Abzweigung heranzuziehen seien. Dies ergebe sich aus dem Kontext einschlägiger Entscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH - und des Bundesgerichtshofs - BGH - in Zivilsachen. Die Gewährung von Unterhalt durch Betreuung im Rahmen der Personensorge bzw. ein Naturalunterhalt komme grundsätzlich nur bei minderjährigen Kindern in Betracht. Bei einem volljährigen, auswärts lebenden Kind sei der Unterhalt gemäß § 1612 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - regelmäßig durch eine Geldrente zu leisten. Einem volljährigen Kind gewährte Unterkunft und Verpflegung sowie Betreuung hätten ebenso wie Geschenke, Telefonate, gemeinsam verbrachter Urlaub und Besuche in der Einrichtung freiwilligen Charakter.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. September 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Oktober 2005 zu verpflichten, das Kindergeld für das Kind A.... für den Zeitraum...