Rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzung des Umfangs der ausbezahlten Arbeitslöhne bei Fliesenleger, der den Umsatz nicht allein mit seinen Arbeitnehmern im erklärten Umfang erbracht haben kann
Leitsatz (amtlich)
1. Lässt sich weder der Umfang der ausbezahlten Arbeitslöhne feststellen noch die Höhe der einzubehaltenden Lohnsteuer berechnen, weil der Arbeitgeber die gesetzlich vorgeschriebenen Aufzeichnungen nicht geführt hat und deshalb die Besteuerungsmerkmale der einzelnen Arbeiter nicht zu ermitteln sind, so sind Arbeitslöhne und die darauf entfallende Lohnsteuer gemäß § 162 AO zu schätzen.
2. Im Bereich des lohnintensiven Baugewerbes kann das Gericht bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen in Form der Schwarzarbeit grundsätzlich zwei Drittel des Nettoumsatzes als Nettolohnsumme veranschlagen.
Normenkette
EStG § 42d; AO §§ 162, 191 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Streitig ist, ob das Finanzamt berechtigt war, den Kläger mit Haftungsbescheid über Lohnsteuer und sonstige Lohnsteuerabzugsbeträge für die Zeit von Januar 2015 bis Juni 2019 in Anspruch zu nehmen.
Der Kläger war in den Streitjahren mit seinem Einzelunternehmen im Baugewerbe als Arbeitgeber erfasst und in den strittigen Zeiträumen zur Abgabe von Lohnsteuervoranmeldungen verpflichtet. Der Kläger beschäftigte im Klagezeitraum vier Arbeitnehmer.
Auf Anregung der Deutschen Rentenversicherung (DRV) führten das Hauptzollamt Stadt 1 (HZA) und die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts Stadt 2 im Anschluss an eine Betriebsprüfung Ermittlungsmaßnahmen im Betrieb des Klägers durch und schlossen diese mit Bericht der Zollbehörde vom 26.05.2020 und Strafrechtlichen Ermittlungsbericht der Steuerfahndungsstelle vom 07.08.2020, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird, ab.
Steuerfahndungsstelle und Hauptzollamt vertraten die Auffassung, dass der Kläger in seinem Einzelunternehmen Arbeitnehmer schwarz beschäftigt habe. Er habe eigene Arbeitnehmer und fremde Arbeitnehmer unter fingierter Einschaltung von Serviceunternehmen ohne Führung von Lohnkonten und -aufzeichnungen bar entlohnt. So sei der Anteil an Aufwendungen für Fremdleistungen eklatant hoch gewesen - während die Lohnquote bei steigenden Umsätzen einen unrealistisch geringen Anteil in der Buchführung eingenommen hätte. Es habe sich herausgestellt, dass es sich bei den Firmen, von denen dem Kläger die Fremdleistungen in Rechnung gestellt worden waren, um Scheinfirmen gehandelt habe und den dort "pauschal" bezeichneten Tätigkeiten keine tatsächlichen Leistungen zugrunde gelegen hätten. Bei den Vertretern der Firmen habe es sich um Strohmänner gehandelt.
Im Laufe der beim Kläger und den Verantwortlichen der Firmen für die Fremdleistungen durchgeführten Ermittlungsverfahren habe sich nach Durchsuchungsmaßnahmen, Vernehmungen und der Prüfung von Beweismitteln der Verdacht erhärtet, dass es sich um Abdeckrechnungen zur Verschleierung von Schwarzlohnzahlungen gehandelt habe und die Entgelte (zumeist Barzahlungen) nach dem Cash-Back Prinzip wieder beim Kläger gelandet seien. Daher liege eine Hinterziehung von Lohnsteuer vor.
Dies werde durch folgende Umstände belegt:
Der Kläger habe für die bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer (A, B, C, D) nur geringe Löhne und geringe Arbeitsstunden angemeldet. Die Arbeitnehmer hätten in den Jahren 2015 bis 2019 monatlich nur zwischen 359,48 € und 606,72 € verdient und andererseits keine Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) bezogen. So habe die Lohnquote des Einzelunternehmens des Klägers in den Jahren 2016 ff. bei steigenden Umsätzen weniger als 10 % betragen. Der Kläger sei selbst als gewerbliche Kraft für das Einzelunternehmen tätig gewesen und hätte laut seinen Auftraggebern einen Stundensatz von 35,00 € pro Stunde verlangt (S. X Bericht HZA STADT 1). Die verbuchten und erklärten Löhne (stets unter 20.000 €) müssten laut Zollamt bei einer 40-Stunden Woche unter Berücksichtigung eines entsprechenden Unternehmerlohns (Jahresgehalt 72.240 €) und einer üblichen Lohnquote im Baugewerbe in Höhe von 66 % viel höher sein.
Die Arbeitnehmer seien als geringfügig Beschäftigte angestellt, vermeintlich entsprechend gering entlohnt und gleichzeitig als Bauhelfer ausgewiesen worden. Die Untersuchung der Verhältnisse der Arbeitnehmer habe ergeben, dass diese keine weiteren Einkünfte oder Leistungen nach dem SGB II oder III bezogen hätten - jedoch die geringen vom Kläger geleisteten Lohnzahlungen nicht für deren Lebensverhältnisse (Mietwohnungen im Raum Stadt 3, Unterstützung Angehöriger) hätten ausreichen können. Es bestehe daher der Verdacht, dass die Arbeitnehmer in Vollzeit gearbeitet und die Differenz als Schwarzlohn erhalten haben.
Die Vernehmung eines der Hauptauftraggeber (Unternehmen Y), mit dem seit 2014 eine Rahmenvereinbarung mit dem Einzelunternehmen des Klägers für Bauarbeiten für Bauvorhaben in Deutschland, Ausland 1 und Ausland 2 bestanden habe, hätte ergeben, dass eine Ausführung der Arbeiten durch fremde Subunternehmer nicht bekannt sei und eine Zustimmung für eine solch...