Das Konzept der Funktionalen Gesundheit der ICF
Für die sozialmedizinische Beurteilung steht mit der "International Classification of Functioning, Disability and Health" (ICF) ein von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickeltes Klassifikationssystem zur Verfügung, mit dem die "funktionale Gesundheit" und deren Beeinträchtigungen abgebildet werden kann. Anhand der ICF, die eine Weiterentwicklung der ICIDH von 1980 darstellt, können Folgeerscheinungen von Krankheiten klassifiziert werden. Mit der Einbeziehung von umwelt- und personbezogenen Faktoren kann nunmehr der gesamte Lebenshintergrund einer Person berücksichtigt werden. Im SGB IX wurden bereits wesentliche Aspekte der ICF unter Berücksichtigung der in Deutschland anerkannten Besonderheiten aufgenommen.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Zuordnung einiger sozialmedizinisch geläufiger Begriffe zu den Kategorien der ICF noch Gegenstand der Fachdiskussion ist.
Die ICF ist eine Klassifikation wichtiger Aspekte der funktionalen Gesundheit. Danach gilt eine Person als funktional gesund, wenn - vor ihrem gesamten Lebenshintergrund
- ihre körperlichen Funktionen (einschließlich des mentalen Bereichs) und Körperstrukturen denen eines gesunden Menschen entsprechen,
- sie all das tut oder tun kann, was von einem Menschen ohne Gesundheitsproblem erwartet wird und
- sie ihr Dasein in allen Lebensbereichen, die ihr wichtig sind, in der Weise und dem Umfang entfalten kann, wie es von einem Menschen ohne Beeinträchtigungen der Körperfunktionen und Körperstrukturen oder der Aktivitäten erwartet wird.
Alle modernen Definitionen des Begriffs der Rehabilitation basieren auf der ICIDH bzw. der ICF. Danach hat die Rehabilitation allgemein die Sicherung, Wiederherstellung oder Verbesserung der funktionalen Gesundheit bei gefährdeter oder beeinträchtigter Teilhabe an den verschiedenen Bereichen des Lebens in der Gesellschaft zum Gegenstand. Rehabilitation und Teilhabe umfasst einen ganzheitlichen Ansatz, der über das Erkennen, Behandeln und Heilen einer Krankheit hinaus die wechselseitigen Beziehungen zwischen den Gesundheitsproblemen einer Person - beschrieben in Form von Schädigungen der Körperfunktionen und Körperstrukturen, Beeinträchtigungen der Aktivitäten sowie der Teilhabe und ihren Kontextfaktoren - berücksichtigt, um den angestrebten Rehabilitationserfolg im Sinne der Teilhabe an Gesellschaft, Arbeit und Beruf zu erreichen.
Ein wichtiges Ziel der ICF ist, gemeinsame Begriffe für die Beschreibung der funktionalen Gesundheit und deren Beeinträchtigung zur Verfügung zu stellen, um die Kommunikation zwischen Fachleuten im Gesundheits- und Sozialwesen sowie den Menschen mit Beeinträchtigungen ihrer Funktionsfähigkeit zu verbessern.
Die ICF kann in Bezug auf Körperfunktionen und Körperstrukturen, Aktivitäten und Teilhabe sowohl defizit- als auch ressourcenorientiert verwendet werden. Dies ist für die sozialmedizinische Begutachtung wichtig.
Mit Hilfe der ICF können unter Berücksichtigung der Kontextfaktoren
- die Körperfunktionen und Körperstrukturen,
- die Aktivitäten unter den Aspekten der Leistung (Art und Umfang der Durchführung einer Aktivität unter den gegenwärtigen Umweltbedingungen der betrachteten Person) oder der Leistungsfähigkeit (Art und Umfang der Durchführung einer Aktivität unter Test-, Standard- oder Optimalbedingungen der betrachteten Person) und
- die Teilhabe
und deren Beeinträchtigungen beschrieben werden.
Die Teilhabe an Lebensbereichen kann durch Umweltfaktoren (z. B. Einstellungen, Werte und Überzeugungen von Menschen, politisches und Rechtssystem eines Landes, Art des Gesundheits- und Bildungswesens und der zur Verfügung stehenden Güter und Technologien) beeinträchtigt (Barrieren, z. B. fehlende Teilzeitarbeitsplätze) oder unterstützt (Förderfaktoren, z. B. soziale Unterstützung) werden. Neben den Umweltfaktoren sind personbezogene Faktoren die zweite Komponente der Kontextfaktoren. Sie sind zwar wegen der großen soziokulturellen Unterschiedlichkeit in der ICF nicht klassifiziert, müssen jedoch im Gutachten berücksichtigt werden.
Eine Beeinträchtigung der funktionalen Gesundheit wird in der Regel durch eine - oft chronische - Krankheit hervorgerufen. Eine funktionale Problematik ist jedoch nicht gleichzusetzen mit Krankheit. Die betreffende Person muss nicht im engeren Sinn krank sein, kann aber andererseits funktional erheblich schwerwiegender beeinträchtigt sein als es die zugrunde liegende Krankheit erwarten lässt. In Abhängigkeit von der jeweiligen individuellen Situation besteht dann Interventionsbedarf. Als Beeinträchtigung der funktionalen Gesundheit (= "Behinderung") wird nach der ICF die negative Wechselwirkung zwischen einer Person mit einem Gesundheitsproblem und ihren Kontextfaktoren auf ihre Körperfunktionen und Körperstrukturen, Aktivitäten oder Teilhabe bezeichnet. Dieser Behinderungsbegriff ist erheblich weiter gefasst als der des SGB IX.
Das in der folgenden Abbildung skizzierte Modell bietet eine Grundlage für die sozialmedizinische...