Normenkette
VwGO § 134; SGG § 161
Tenor
Die Sprungrevision nach § 134 VwGO, § 161 SGG (alter und neuer Fassung) bedarf nicht der Zustimmung (Einwilligung) des Beigeladenen.
Tatbestand
I. Der Große Senat des Bundessozialgerichts hat durch Beschluß vom 10. Dezember 1974 das bei ihm anhängige Vorlegungsverfahren ausgesetzt und dem Gemeinsamen Senat die folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
Ist bei Einlegung einer Sprungrevision auch ein Beigeladener „Rechtsmittelgegner” i.S. der §§ 134 Abs. 1 VwGO, 161 Abs. 1 SGG, wenn das Urteil der ersten Gerichtsinstanz – Verwaltungsgericht, Sozialgericht – zu seinen Gunsten ergangen ist (entgegen der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.8.1963 – BVerwG VIII C 79.62 – BVerwGE 16, 273)?
Das Vorlegungsverfahren bei dem Großen Senat des Bundessozialgerichts war durch einen Beschluß des 6. Senats dieses Gerichts eingeleitet worden. Im Ausgangsverfahren, in dem die Klage vom Sozialgericht abgewiesen worden war, hatte der 6. Senat über eine Sprungrevision des Klägers gegen dieses Urteil zu entscheiden. Die Klageansprüche, die der Kläger mit der Sprungrevision verfolgte, betrafen mittelbar zwei Ortskrankenkassen und eine Innungskrankenkasse, die beigeladen worden waren. Die beiden Ortskrankenkassen waren dem Kläger auf der Seite des Beklagten mit Anträgen entgegengetreten; die Innungskrankenkasse hatte keine Anträge gestellt. Die Sprungrevision war mit schriftlicher Einwilligung des Beklagten eingelegt worden; die Beigeladenen hatten ihre Einwilligung nicht erklärt. Der 6. Senat hielt die Sprungrevision insoweit für unstatthaft, als die Klageansprüche die beigeladenen Ortskrankenkassen, jedoch für statthaft, soweit sie die beigeladene Innungskrankenkasse betrafen. Er hielt die von § 161 SGG geforderte Einwilligung des Rechtsmittelgegners dann für erforderlich, wenn der Beigeladene dem Rechtsmittelführer mit eigenen Anträgen entgegengetreten war, jedoch nicht für erforderlich, wenn er keine Anträge gestellt hatte. Der 6. Senat sah sich jedoch gehindert, teilweise in der Sache selbst zu entscheiden, weil der 12. Senat des Bundessozialgerichts die Einwilligung des Beigeladenen zur Sprungrevision schon dann für erforderlich erklärt hat, wenn das Urteil des Sozialgerichts zu seinen Gunsten ergangen war (BSGE 23, 168). So lag es nach Ansicht des 6. Senats hier auch hinsichtlich des die beigeladene Innungskrankenkasse betreffenden Klageanspruchs. Wegen der beabsichtigten Abweichung von BSGE 23, 168 rief der 6. Senat des Bundessozialgerichts den Großen Senat dieses Gerichts an.
Nachdem der 12. Senat des Bundessozialgerichts erklärt hatte, er halte an der Entscheidung BSGE 23, 168 fest, verhandelte der Große Senat dieses Gerichts zur Vorlegungsfrage. Er erließ sodann den eingangs genannten Beschluß und begründete ihn im wesentlichen wie folgt: Er folge der Rechtsansicht des 12. Senats, sehe sich aber deshalb an einer Entscheidung gehindert, weil das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 29. August 1963 (BVerWGE 16, 273), das den dem § 161 SGG vergleichbaren § 134 VwGO betraf, die Zustimmung des Beigeladenen zur Sprungrevision unabhängig davon für entbehrlich erklärt habe, ob er durch das Urteil begünstigt worden oder den Anträgen des Rechtsmittelführers mit eigenen Anträgen entgegengetreten sei.
Auf Anfrage des Gemeinsamen Senats hat der VIII. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts erklärt, er halte an der Entscheidung BVerwGE 16, 273 fest.
Im Verfahren vor dem Gemeinsamen Senat haben sich die Präsidenten des Bundesgerichtshofs, des Bundesarbeitsgerichts, des Bundessozialgerichts und des Bundesfinanzhofs geäußert, ohne zur Rechtsfrage Stellung zu nehmen.
Der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts hat Stellungnahmen mehrerer Revisionssenate dieses Gerichts eingereicht. Der VII. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts hat ferner auf ein inzwischen ergangenes Urteil dieses Senats vom 10. Oktober 1975 – BVerwG VII C 51.74 – hingewiesen, in dem unter anderem dargelegt wird: Unabhängig davon, ob der Entscheidung BVerwGE 16, 273 vollen Umfangs zu folgen sei, sei der Beigeladene im Sinne von § 134 VwGO jedenfalls dann nicht Rechtsmittelgegner des Revisionsklägers, wenn er in der ersten Instanz keine Anträge gestellt und daher das angefochtene Urteil keinem von ihm gestellten Antrag entsprochen hat.
Der Kläger und der Beklagte im Ausgangsverfahren haben schriftlich Stellung genommen; ersterer hält die Rechtsauffassung von BVerwGE 16, 273, letzterer hält die Rechtsauffassung des 12. Senats des Bundessozialgerichts, hilfsweise die des 6. Senats dieses Gerichts für richtig. Die Beigeladenen im Ausgangsverfahren haben sich zur Rechtsfrage nicht geäußert.
Die Beteiligten am Ausgangsverfahren haben auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II. Der Vorlegungsbeschluß ist zulässig.
1. Die Entscheidung im Ausgangsverfahren hängt davon ab, wie die Forderung des § 161 Abs. 1 SGG in der Erstfassung auszulegen ist, daß der „Rechtsmittelgegner” in die Einlegung ...