[1] Die Bindungswirkung des Krankenkassenwahlrechts knüpft nach einer ausdrücklichen Formulierung in der Neufassung des § 175 Abs. 4 Satz 1 SGB V an die eigenständige Wahl des Mitglieds an. Durch die Gesetzesänderung wird dem bisherigen, durch die Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 8.10.1998, B 12 KR 11/98 R, USK 9834), geprägten Verfahren, wonach auch eine wahlersetzende Anmeldung der zur Meldung verpflichteten Stelle eine Bindungsfrist auslöst, die Grundlage entzogen. Eine Anmeldung durch die zur Meldung verpflichtete Stelle im Falle einer unterlassenen Ausübung des Wahlrechts durch das Mitglied löst für sich gesehen somit keine Bindung an die Krankenkasse aus. Dieser Grundsatz gilt unabhängig davon, ob es sich um eine Anmeldung bei der letzten Krankenkasse nach § 175 Abs. 3 Satz 2 1. Halbsatz SGB V oder um eine Wahl des Arbeitgebers nach Maßgabe des § 175 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz SGB V handelt.
[2] Im Übrigen findet der o. g. Grundsatz auch dann Anwendung, wenn ungeachtet der "Auffangregelung" des § 175 Abs. 3 Satz 2 1. Halbsatz SGB V sich das Mitglied bewusst für eine Mitgliedschaft bei der bisherigen Krankenkasse entscheidet. Im Interesse der Gleichbehandlung aller Versicherten gilt daher, dass auch in diesem Fall keine neue Bindungsfrist entsteht. Dies gilt unabhängig davon, ob das Mitglied bei der Krankenkasse zuletzt im Rahmen einer Mitgliedschaft oder Familienversicherung versichert war. Ebenso ist ohne Bedeutung, wie lange die letzte Versicherung bei dieser Krankenkasse zurückliegt.
[3] Im Ergebnis können alle Personen, die bei Eintritt der Versicherungspflicht, sei es durch die Anmeldung der zur Meldung verpflichteten Stelle oder durch eine Willenserklärung gegenüber der bisherigen Krankenkasse, Mitglied dieser Krankenkasse werden bzw. bleiben, sofort wieder vom Krankenkassenwahlrecht Gebrauch machen und – unter Einhaltung der allgemeinen Kündigungsfrist – die Krankenkasse wechseln. Die vorangegangenen Bindungsfristen spielen in diesem Zusammenhang keine Rolle, weil sie entweder durch die Beendigung der vorangegangenen Mitgliedschaft erloschen sind oder im Falle der vorangegangenen Familienversicherung nicht gegeben waren.
Beispiel 1:
Wechsel zur Krankenkasse A bei unverändertem Versicherungsverhältnis (versicherungspflichtige Beschäftigung) |
zum 1.3.2023 |
Aufgabe der bisherigen Beschäftigung |
zum 30.6.2023 |
und Aufnahme einer neuen versicherungspflichtigen Beschäftigung, verbunden mit dem Verbleib bei der Krankenkasse A |
ab 1.7.2021 |
Wahl der Krankenkasse B zum frühestmöglichen Termin |
am 3.9.2023 |
Beurteilung: |
Der Wechsel zur Krankenkasse A zum 1.3.2023 hat zunächst eine 12-monatige Bindungsfrist ausgelöst. Diese ist jedoch aufgrund der Beendigung der Mitgliedschaft kraft Gesetzes zum 30.6.2023 erloschen. Das Mitglied kann daher die Krankenkasse im Kündigungsverfahren ohne Rücksicht auf die Bindungsfrist und lediglich unter Einhaltung der Kündigungsfrist wechseln. Der Krankenkassenwechsel ist zum 1.12.2023 möglich. |
[4] Die vorstehenden Ausführungen gelten bei einer wahlersetzenden Anmeldung durch die Meldestelle im Fall der Schließung oder Insolvenz einer Krankenkasse (vgl. Abschnitt 9.2) nach § 175 Abs. 3a Satz 2 SGB V entsprechend.
[5] Außerdem wird keine neue Bindungsfrist ausgelöst, wenn sich lediglich die Grundlage für eine freiwillige Mitgliedschaft ändert (z.B. Beendigung einer versicherungsfreien Beschäftigung und Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit).
[6] Durch den Widerruf einer Kündigung (vgl. Abschnitt 7.4) wird ebenfalls keine neue Bindungsfrist ausgelöst.
[7] Schließt sich eine freiwillige Mitgliedschaft im Rahmen der obligatorischen Anschlussversicherung unmittelbar an eine zuvor kraft Gesetzes beendete Pflichtversicherung oder Familienversicherung an, gilt der Grundsatz, dass Mitglieder, deren Mitgliedschaft sich im Rahmen der obligatorischen Anschlussversicherung nach § 188 Abs. 4 SGB V fortsetzt, zunächst Mitglied der Krankenkasse bleiben, bei der zuvor die Versicherung bestanden hat. Da insoweit ein Krankenkassenwahlrecht nicht eingeräumt wird, beginnt mit Beginn der freiwilligen Mitgliedschaft im Rahmen der obligatorischen Anschlussversicherung auch keine erneute 12-monatige Bindungsfrist. Dies führt dazu, dass die Betroffenen ihre – nach § 188 Abs. 4 SGB V zustande gekommene – freiwillige Mitgliedschaft ohne Beachtung der Bindungsfrist sofort, jedoch unter Einhaltung der allgemeinen Kündigungsfrist, kündigen bzw. beim Eintritt der Versicherungspflicht im weiteren Verlauf der Mitgliedschaft die Krankenkasse ohne Kündigung – entsprechend den allgemein gültigen Grundsätzen (vgl. Abschnitt 3.3) – sofort wechseln können. Diese Bewertung gilt unabhängig davon, ob zuletzt vor Beginn der obligatorischen Anschlussversicherung eine Pflicht- oder Familienversicherung bestanden hat.
Beispiel 2:
Obligatorische Anschlussversicherung nach § 188 Abs. 4 SGB V bei der Krankenkasse A seit dem 1.5.2023. Zuvor bestand bei dieser Krankenkasse seit dem 1.12.2022 eine Pflichtmitgliedschaft aufgrund einer B...