[1] Mit dem neu eingeführten § 176 SGB V greift der Gesetzgeber die in der Vergangenheit wiederholt diskutierte Frage auf, ob die sog. Solidargemeinschaften im Gesundheitswesen unter bestimmten Voraussetzungen als anderweitige Absicherung im Krankheitsfall anzuerkennen sind. Nach Maßgabe des "Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungsgesetz – DVPMG" werden jedenfalls solche Solidargemeinschaften eine entsprechende Anerkennung erfahren, die am 20.1.2021 (Tag des Kabinettbeschlusses) bereits bestanden haben und seit ihrer Gründung ununterbrochen fortgeführt wurden.
[2] Die Anerkennung setzt eine dauerhafte Leistungsfähigkeit der Solidargemeinschaft voraus. Diese ist gegenüber dem BMG alle fünf Jahre durch ein versicherungsmathematisches Gutachten nachzuweisen, das von einem unabhängigen Gutachter zu prüfen und zu testieren ist. Die Anerkennung erfolgt nach denselben Grundsätzen sowohl im Recht der gesetzlichen als auch der privaten Krankenversicherung.
[3] Die Anerkennung der jeweiligen Solidargemeinschaft wird erteilt, indem das BMG das Vorliegen des vorgenannten testierten Gutachtens bestätigt. Liegt diese Bestätigung vor, gilt jede einzelne Mitgliedschaft in der betroffenen Solidargemeinschaft kraft Gesetzes als eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall. Der jeweils einzelfallbezogenen Prüfung sowie eines förmlichen Feststellungsbescheides der Krankenkasse bedarf es daher nicht.
[4] Die gesetzliche Anerkennung von Mitgliedschaften erfolgt zukunftsorientiert und wirkt frühestens mit der vorgenannten Bestätigung des BMG für die jeweilige Solidargemeinschaft. Die Regelung führt daher auch nicht zu einer Rückabwicklung von Versichertenverhältnissen. Die versicherungsrechtliche Beurteilung derartiger Mitgliedschaften in den vor der Anerkennung liegenden Zeiträumen richtet sich nach dem bislang geltenden Regelungsrahmen.
[5] Im Hinblick auf die turnusmäßige Beantragung der Anerkennung gilt diese jeweils nur befristet. Erbringt die Solidargemeinschaft nach Ablauf von fünf Jahren den Nachweis des versicherungsmathematischen Gutachtens gegenüber dem BMG nicht erneut, entfällt die gesetzliche Anerkennung der Mitgliedschaften in dieser Solidargemeinschaft als anderweitige Absicherung im Krankheitsfall.
[6] Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist die Anerkennung der Solidargemeinschaften als anderweitige Absicherung im Krankheitsfall im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung nur auf den Anwendungsbereich der Auffang-Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V beschränkt. Laut Gesetzesbegründung erstreckt sich jedoch die Rechtswirkung der Anerkennung i.S.d. § 176 SGB V auf sämtliche SGB V-Rechtsvorschriften, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall für den Austritt aus der gesetzlichen Krankenversicherung voraussetzen (BT-Drucks. 19/27652, S. 110). Dies betrifft die Voraussetzungen einer Kündigung der freiwilligen Krankenversicherung (§ 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V), die Austrittsmöglichkeiten bei dem Zustandekommen der obligatorischen Anschlussversicherung (§ 188 Abs. 4 Satz 2 SGB V) sowie das Recht zur Befreiung von der Krankenversicherungspflicht (§ 8 Abs. 2 Satz 4 SGB V).
[7] Das Rückkehrrecht zur GKV nach dem Ausscheiden aus der Solidargemeinschaft besteht nach Maßgabe der allgemein gültigen Voraussetzungen unabhängig davon, aus welchem Grund die Mitgliedschaft bei der Solidargemeinschaft beendet wird. Dies schließt unter anderem eine Anwendung von § 6 Abs. 3a SGB V (Versicherungsfreiheit nach Vollendung des 55. Lebensjahres bei Eintritt der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 bis 12 SGB V) ein. Werden dagegen keine vorrangigen Versicherungstatbestände erfüllt, kommt bei Personen, die zuletzt vor der Mitgliedschaft in der Solidargemeinschaft gesetzlich versichert waren, unabhängig von ihrem Lebensalter die Auffang-Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V zur Anwendung.
[8] Im Übrigen ist auch ein wiederholter Wechsel zwischen dem System der GKV und den Solidargemeinschaften – beim Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen – rechtlich nicht ausgeschlossen.