[1] Sind die im Abschnitt 11 genannten Voraussetzungen für den Eintritt der Genehmigungsfiktion erfüllt, gilt die beantragte Leistung als genehmigt (vgl. § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V). War diese grundsätzlich vom Leistungskatalog der GKV umfasst, erwuchs den Leistungsberechtigten aus der fingierten Genehmigung nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG ein eigenständig durchsetzbarer Anspruch gegen die Krankenkasse auf eine Versorgung mit der Leistung als Sach- oder Dienstleistung (Naturalleistungsanspruch), sofern sie die Leistung für erforderlich halten durften und deren Inanspruchnahme nicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen war. Dieser Anspruch sollte es ermöglichen, dass auch diejenigen Versicherten eine Leistung in Anspruch nehmen konnten, die finanziell nicht in der Lage waren, sich die beantragte Leistung selbst zu beschaffen.
[2] Diese Rechtsprechung zum eigenständigen Naturalleistungsanspruch hat das BSG nunmehr aufgegeben. Nach aktueller Rechtsprechung zieht die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V keinen eigenständigen Anspruch auf Versorgung mit einer Naturalleistung nach sich, sondern (bei Gutgläubigkeit) nur das Recht auf Selbstbeschaffung mit einem Anspruch auf Erstattung der Beschaffungskosten. Eine fingierte Genehmigung vermittelt dem Versicherten damit eine Rechtsposition sui generis (vgl. BSG, Urteil vom 26.5.2020, B 1 KR 9/18 R, Rn. 9 und 16). Der 1. Senat begründet den Ausschluss eines Naturalleistungsanspruches bei Eintritt der Genehmigungsfiktion im Einzelnen damit, dass
- sich aus dem Wortlaut des § 13 Abs. 3a SGB V weder die Rechtsnatur der Genehmigungsfiktion im Sinne eines Verwaltungsakts noch ein Sachleistungsanspruch als dessen Rechtsfolge ergibt (BSG a.a.O., Rn. 12),
- nach der Intention des Gesetzgebers lediglich die Selbstbeschaffung der Leistung vorgesehen gewesen ist (BSG a.a.O., Rn. 13),
- die Verortung des Absatz 3a in § 13 SGB V "Kostenerstattung" dem entgegensteht (BSG a.a.O., Rn. 14),
- der systematische Vergleich mit § 18 Abs. 3 und 4 SGB IX keinen Raum für einen derartigen Anspruch lässt (BSG a.a.O., Rn. 15-16),
- nur eine Kostenerstattungsregelung im Zusammenhang mit dem Zweck der Vorschrift zur Beschleunigung der Leistungsinanspruchnahme und zur Sanktion der Krankenkasse steht (BSG a.a.O., Rn. 18-19) und
- keine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes eintritt, weil nach diesem alle Versicherten nach den gleichen rechtlichen Grundsätzen Zugang zu den Sachleistungsansprüchen der GKV haben und die bisherige Rechtsprechung es als nicht verfassungswidrig angesehen hat, dass sich finanziell besser gestellte Versicherte eine Leistung einfacher beschaffen können als mittellose Versicherte (BSG a.a.O., Rn. 20-21).
[3] Die Auswirkungen der aktuellen Rechtsprechung werden in den folgenden Abschnitten näher beschrieben.
12.1 Kostenerstattung
Haben sich Leistungsberechtigte die als genehmigt geltende Leistung gutgläubig selbst beschafft und sind ihnen dadurch Kosten entstanden, steht ihnen unter den nachfolgend genannten Voraussetzungen ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V gegen ihre Krankenkasse zu, auch wenn sie auf diese Leistung nach dem Leistungsrecht des SGB V materiell-rechtlich keinen Anspruch haben sollten.
12.1.1 Selbstbeschaffung
[1] Eine Leistung ist gemäß § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V selbst beschafft, wenn im Verhältnis zwischen dem Leistungsberechtigten und dem Leistungserbringer ein unbedingtes, auf die beantragte und fiktiv genehmigte Leistung bezogenes Verpflichtungsgeschäft mit einer endgültigen rechtlichen Zahlungsverpflichtung des Leistungsberechtigten zustande gekommen ist (vgl. BSG, Urteil vom 11.5.2017, B 3 KR 30/15 R).
[2] Die Leistungsberechtigten dürfen diese rechtlich verbindliche Vereinbarung erst nach dem Ablauf der nach § 13 Abs. 3a SGB V jeweils maßgeblichen Frist abgeschlossen haben. Haben sie dies schon vor dem Fristablauf getan ("Vorfestlegung"), scheidet ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V insgesamt aus (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 27.10.2020, B 1 KR 3/20 R).
[3] Zudem muss die selbstbeschaffte Leistung der ursprünglich beantragten Leistung nach Art und Umfang entsprechen und grundsätzlich auf der gleichen Indikationsstellung beruhen. Nur dann können die Leistungsberechtigten in Bezug auf diese Leistung auch noch im Zeitpunkt der Beschaffung als gutgläubig angesehen werden.
12.1.2 Zulässigkeit der Selbstbeschaffung
[1] Die Selbstbeschaffung einer beantragten Leistung, auf die ein materiell-rechtlicher Anspruch besteht und die vom Leistungskatalog der GKV umfasst wird, ist in jedem Fall nach Eintritt der Genehmigungsfiktion als zulässig selbstbeschafft zu betrachten.
[2] Bei einer Leistung, für die das Recht der GKV allerdings keinen Anspruch vorsieht, trifft dies nach der aktuellen Rechtsprechung nur dann zu, wenn die Versicherten zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung gutgläubig waren, also nicht wussten oder grob fahrlässige Unkenntnis darüber hatten, dass kein Rechtsanspruch auf die beantragte Leistung bestand. Diese Voraussetzung stellt eine Fortentwicklung der bisherigen Rechtsprech...