Leitsatz (amtlich)
1. Die für eine Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe erforderliche Verfolgung gemeinnütziger Ziele liegt nur vor, wenn der Träger selbstlos handelt, wie es auch im Steuerrecht für die Anerkennung der Förderung gemeinnütziger Zwecke gefordert wird.
2. Es verstößt weder gegen Art. 12 Abs. 1 GG noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn § 75 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII die Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe von der Verfolgung gemeinnütziger Ziele abhängig macht.
3. Europäisches Gemeinschaftsrecht verlangt keine andere Auslegung des Gemeinnützigkeitsbegriffs.
Normenkette
SGB VIII § 75 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
VG Hamburg (Urteil vom 17.01.2006; Aktenzeichen 13 K 1657/04) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 17. Januar 2006 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Hinsichtlich der Kosten des gesamten Verfahrens ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Verpflichtung der Beklagten, sie als Trägerin der freien Jugendhilfe anzuerkennen.
Die Klägerin ist in der Form einer GmbH organisiert. Gegenstand des Unternehmens sind nach § 2 des Gesellschaftsvertrages vom 10. Februar 1999 die Erbringung sozialer und medizinischer Dienstleistungen sowie alle damit direkt oder indirekt in Zusammenhang stehenden Tätigkeiten. Gemäß § 6 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages stellt die Gesellschafterversammlung den Jahresabschluss fest und bestimmt über die Gewinnverwendung, insbesondere darüber, inwieweit der Bilanzgewinn in eine Rücklage eingestellt oder an die Gesellschafter ausgeschüttet wird.
Mit Schreiben vom 5. März 2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Anerkennung als Trägerin der freien Jugendhilfe gemäß § 75 SGB VIII. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. November 2003 ab. Ungeachtet der übrigen Voraussetzungen des § 75 SGB VIII könne nicht festgestellt werden, dass die Klägerin gemeinnützige Ziele verfolge, wie § 75 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII dies voraussetze. Wenn eine Gesellschaft nicht von der zuständigen Steuerbehörde als gemeinnützig anerkannt sei, wie im Falle der Klägerin, müsse geprüft werden, ob sie gemeinnützige Ziele verfolge. Die anhand der §§ 51 bis 68 Abgabenordnung (AO) entwickelten Prüfmaßstäbe erfülle die Klägerin nicht. Gemäß § 55 Abs. 1 AO dürften mit der Tätigkeit nicht vorrangig eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt werden. Der Gesellschaftsvertrag der Klägerin enthalte keine festen Regelungen über die Gewinnverwendung, sondern überlasse es der jährlichen Gesellschafterversammlung, jeweils über die Gewinnverwendung zu entscheiden. Auch seien weitere wesentliche Voraussetzungen für die Anerkennung der Gemeinnützigkeit aus dem Organisationsstatut nicht ersichtlich.
Die Klägerin erhob Widerspruch und machte geltend: Der Bescheid verletze ihre Rechte aus Art. 12 und 14 GG und verstoße gegen Art. 3 GG. Sie erbringe seit April 1999 fortlaufend und mit steigender Tendenz Leistungen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, sei mit Sitz und Stimme Mitglied der bezirklichen Arbeitsgemeinschaften gemäß § 78 SGB VIII und seit dem 1. Juni 2003 bestehe eine ungekündigte Leistungs- und Vergütungsvereinbarung gemäß § 77 SGB VIII mit der Beklagten. Damit erfülle sie die Anerkennungsvoraussetzungen des § 75 SGB VIII. Weitere Anforderungen wegen ihrer privatrechtlichen Organisationsform könne die Beklagte im Hinblick auf Art. 3 GG nicht stellen. Die Verhaltensweise der Beklagten sei auch unter Beachtung des Europarechts bedenklich. Der angefochtene Bescheid könne im Zweifel keinen Bestand haben, weil das Europäische Recht von einer Trägerpluralität ausgehe, innerhalb derer auch privatrechtlich organisierte Träger eine gleichwertige Chance haben müssten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. März 2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es könne nicht angenommen werden, dass die Klägerin gemeinnützige Ziele verfolge, wie § 75 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII dies voraussetze. Nach Nr. 5.2 der Hamburgischen “Richtlinie für die Anerkennung von Trägern der freien Jugendhilfe” sei die Verfolgung von gemeinnützigen Zielen dann anzunehmen, wenn eine steuerrechtliche Gemeinnützigkeitserklärung vorliege. Fehle eine solche Erklärung, wie im Falle der Klägerin, sei zu prüfen, ob die Angaben des Trägers die Annahme rechtfertigten, er verfolge gemeinnützige Ziele. Dabei seien die Prüfmaßstäbe der Vorschriften über steuerbegünstigte Zwecke der Abgabenordnung sinngemäß anzuwenden. Gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 AO geschehe eine Förderung selbstlos, wenn dadurch nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt und die Mittel der Körperschaft nur für die satzungsmäßigen Zwecke verw...