Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. zulässiger Rechtsweg. Geltendmachung einer Verletzung des Selbstverwaltungsrechts eines Sozialversicherungsträgers durch eine Maßnahme des Bundeskartellamtes. Normkonflikt zwischen § 51 Abs 1 SGG und § 63 GWB
Leitsatz (amtlich)
1. Rügt ein Sozialversicherungsträger die Verletzung seines Selbstverwaltungsrechts aus § 29 SGB 4 durch eine Maßnahme des Bundeskartellamtes, so ist für die Klage der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit unabhängig von der Natur der Rechtsgrundlage eröffnet, die einen Eingriff rechtfertigen könnte.
2. Zur Auflösung eines Normkonflikts zwischen § 51 Abs 1 SGG und § 63 GWB.
Nachgehend
Tenor
Der beschrittene Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist zulässig.
Die Beschwerde zum Bundessozialgericht wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich gegen einen Auskunftsbeschluss der Beklagten (Beschluss des Bundeskartellamts vom 17. Februar 2010), mit dem ihr die Beantwortung eines Fragenkataloges und die Übermittlung von Daten und Unterlagen im Zusammenhang mit der Erhebung eines Zusatzbeitrages nach § 242 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) und der Bekanntgabe der Erhebung gemeinsam mit acht weiteren Krankenkassen in einer Pressekonferenz aufgegeben wurde.
Die Klägerin rügt mit der Klage die Verletzung ihres Selbstverwaltungsrechts als Trägerin der Sozialversicherung.
Die Beklagte, die den Auskunftsbeschluss auf § 59 i.V.m. §§ 1, 32 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) stützt, hat mit der Klageerwiderung den beschrittenen Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit als unzulässig gerügt und die Verweisung an das Oberlandesgericht C-Stadt beantragt.
II.
Nach § 17a Abs. 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) kann das Gericht vorab aussprechen, dass der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Es hat vorab zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtsweges rügt.
Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eröffnet, da der Auskunftsbeschluss der Beklagten unter Zugrundelegung des maßgeblichen Vortrags der Klägerin in deren Selbstverwaltungsgarantie nach § 29 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) eingreift.
Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten u.a. in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung sowie in sonstigen Angelegenheiten der Sozialversicherung. Die Zuweisung von “Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung„ nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG und “sonstigen Angelegenheiten der Sozialversicherung„ knüpft allein am zugrunde liegenden Rechtsverhältnis an und ist trotz der Eigenschaft als abdrängende Spezialzuweisung nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO wegen seiner Funktion als Rechtswegeröffnung weit auszulegen. Hierunter fallen alle Streitigkeiten, die aus Anlass der Durchführung der öffentlichen Aufgabe “gesetzliche Krankenversicherung" bzw. “Sozialversicherung" entstehen (zur Abgrenzung zu § 40 VwGO: BVerwG, Urteil vom 5. Juni 1986 - 3 C 14/85 - BVerwGE 74, 251 [253]; Ehlers in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 18. Aufl., § 40 Rdnr. 660).
Rügt ein Sozialversicherungsträger als Kläger einen Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht aus § 29 SGB IV durch einen beklagten anderen Hoheitsträger, so ist zur Begründung des Sozialrechtsweges hinreichend, dass die angegriffene Maßnahme nach dem Vortrag des Klägers in dessen sozialversicherungsrechtlich ausgestaltete Aufgabenwahrnehmung eingreift (BSG, Urteil vom 17. Juli 1985 - 1 RS 6/83 - BSGE 58, 247 [248]). Dabei ist das Gericht nicht an die Rechtsauffassung des Klägers gebunden, es ist vielmehr zu prüfen, ob der klägerische Vortrag tatsächlich an den sozialversicherungsrechtlichen Normen, die die Aufgabenwahrnehmung regeln, zu messen ist. Nicht erforderlich ist hingegen, dass die beanstandete Maßnahme - die “Aufgabenerfüllung„ der Beklagten - nach Auffassung der Beklagten oder tatsächlich ihren Rechtsgrund im Sozialversicherungsrecht hat (BSG, Urteil vom 17. Juli 1985 a.a.O., zu beamtenrechtlichen Befugnissen des beklagten Landesministeriums; vgl. auch BSG, Urteil vom 23. November 1981 - 8/8a RK 15/08 - juris - bezüglich des Rechtsverhältnisses zwischen Bundesrechnungshof und Krankenkasse). Die Verteidigung des Selbstverwaltungsrechts aus § 29 SGB IV im Verhältnis zur unmittelbaren Staatsverwaltung hat nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der der Senat folgt, unabhängig von der Rechtsgrundlage, die einen Eingriff rechtfertigen könnte (vgl. § 29 Abs. 3 SGB IV), ausschließlich vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu erfolgen. Auch außerhalb der Rechtsaufsicht im engeren Sinne (§§ 87, 90ff. SGB IV) ist eine solche Konzentration gerechtfertigt, da jede Einwirkung eines Hoheitsträgers auf einen Sozialversicherungsträger außerhalb...