Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Überleitungsanspruch gem § 93 Abs 1 SGB 12. Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige. Zuständigkeit der Zivilgerichtsbarkeit. Überleitungsermessen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Bestehen und die Höhe eines übergeleiteten Anspruchs sind nicht Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Überleitungsanzeige (vgl BVerwG vom 26.11.1969 - V C 54.6934 = BVerwGE 34, 219 = FEVS 17, 203; seither ständige Rechtsprechung). Die Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang ein übergeleiteter Anspruch tatsächlich gegeben ist, obliegt den Zivilgerichten.

2. Eine Überleitungsanzeige ist nur dann rechtswidrig, wenn das Bestehen des übergeleiteten Anspruchs nach materiellem Recht offensichtlich ausgeschlossen ist und damit die Überleitungsanzeige selbst erkennbar sinnlos wäre (sog "Grundsatz der Negativevidenz", vgl BVerwG vom 6.11.1975 - V C 28.75 = BVerwGE 49, 311 = FEVS 24, 309; ständige Rechtsprechung).

3. Für die Rechtmäßigkeit der Überleitung eines Anspruchs spielt es keine Rolle, ob die als Sozialhilfe geleistete Hilfe zu Recht oder zu Unrecht gewährt worden ist.

 

Orientierungssatz

Besondere Umstände, die im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen wären und die dazu führen könnten, die Durchsetzung des Nachrangs der Sozialhilfe nach § 2 SGB 12 auszuschließen, können nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmesituationen als möglich erachtet werden.

 

Tenor

I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 28. Juni 2007 wird zurückgewiesen, soweit dort über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 11. Juni 2006 entschieden wurde.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Die statthafte (§ 172 SGG) sowie form- und fristgerecht (§ 173 SGG) eingelegte Beschwerde der Antragstellerin, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, bleibt ohne Erfolg.

Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 11. Juni 2006 anzuordnen. Die Klage richtet sich gegen einen Bescheid des Antragsgegners vom 10. April 2007, mit dem der Antragsgegner einen Betrag von 3.000,00 Euro, den die Großmutter der Antragstellerin nach den Unterlagen des Antragsgegners an diese verschenkt hatte, an sich übergeleitet und die Antragstellerin zur Rückzahlung aufgefordert hat. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2007 wurde dem Widerspruch der Antragstellerin hinsichtlich des Rückzahlungsanspruchs abgeholfen, die Überleitungsanzeige wurde dagegen als rechtmäßig erachtet.

Den daraufhin eingegangenen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz in Form der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der zwischenzeitlich erhobenen Klage (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 4 SGG) hat das Sozialgericht zutreffend abschlägig entschieden, auf die Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG Bezug genommen.

Das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin rechtfertigt keine für sie günstigere Entscheidung.

Es ist vielmehr festzustellen, dass die Überleitung des Schenkungsrückforderungsanspruchs auf den Antragsgegner gemäß § 93 Abs. 1 SGB XII rechtmäßig war, denn entgegen der Ansicht der Antragstellerin liegen alle für eine rechtmäßige Überleitungsanzeige erforderlichen Voraussetzungen vor. Das Sozialgericht hat bei der Prüfung auch zutreffend die bisherige Rechtsprechung zu § 90 BSHG zugrunde gelegt, denn der mit Wirkung vom 1. Januar 2005 an die Stelle der alten Vorschrift getretene § 93 SGB XII entspricht inhaltlich der alten Regelung, die Überleitungsmöglichkeiten sind jedoch gegenüber dem bisherigen Recht etwas erweitert worden, ansonsten sind die vorgenommenen Änderungen lediglich redaktioneller Art (vgl. dazu H. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Aufl. 2006, § 93, Rdnr. 2).

Das Bundesverwaltungsgericht hat seinerzeit zur Überleitung in einer Grundsatzentscheidung festgestellt, dass es für die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige unerheblich sei, ob der übergeleitete Anspruch tatsächlich besteht und - wenn ja - in welchem Umfang (vgl. BVerwGE 34, 219 [220 f.]; seither ständige Rechtsprechung). Rechtswidrig wird die Überleitungsanzeige nur dann, wenn das Bestehen des übergeleiteten Anspruchs nach materiellem Recht offensichtlich ausgeschlossen ist und damit die Überleitungsanzeige selbst erkennbar sinnlos wäre (Grundsatz der Negativevidenz vgl. BVerwGE 49, 311 [315 f.]; ständige Rechtsprechung).

Ein solcher Fall der Negativevidenz ist vorliegend aber eindeutig nicht gegeben. Selbst bei hochkomplizierten Rechtsfragen, die von verschiedenen Oberlandesgerichten unterschiedlich beurteilt wurden, ist die Negativevidenz verneint worden, da die materielle Prüfung eben gerade nicht im Rahmen der Überleitungsanzeige stattzufinden hat, sondern der Prüfung durch die Zivilgerichte vorbehalten bleibt (vgl. z. B. Hess. VGH, Beschluss vom 15. Juli 2003 - 10 TP 3509/02 -).

Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass es im hiesigen sozialgerichtlichen Verfahren weder au...

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