Entscheidungsstichwort (Thema)
Untätigkeitsklage. Untätigkeit des Widerspruchsführers. Kostentragung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Belastung der beklagten Behörde mit den Kosten der Untätigkeitsklage entspricht nicht billigem Ermessen, wenn lediglich die Absendung des Widerspruchs mittels Telefax durch Fax-Absendeprotokoll, nicht aber der Ausdruck der elektronisch übertragenen Textdatei mit eingescannter Unterschrift beim Empfänger nachgewiesen ist.
2. Der Kläger ist für seine Beweislosigkeit in Bezug auf den behaupteten Zugang seines Widerspruchs bei der Behörde, die für den relevanten Zeitpunkt keine Fax-Empfangsprotokolle aufbewahrt hat, aufgrund seiner Untätigkeit während 21 Monaten nach Absendung des Widerspruchs in kostenrechtlich relevanter Weise mitverantwortlich.
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 9. Januar 2006 wird zurückgewiesen.
Gründe
Die bei dem Sozialgericht Gießen am 23. Januar 2006 eingegangene Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 9. Januar 2006 (S 18 SO 25/05) mit dem Antrag, unter Aufhebung des Beschlusses die Kosten dem Beklagten aufzuerlegen hat keinen Erfolg. Der Antrag ist dahingehend auszulegen, dass begehrt wird: den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 9. Januar 2006 aufzuheben und festzustellen, dass der Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Verfahren S 18 SO 25/05 zu tragen hat.
Die an sich statthafte (§ 172 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) sowie frist-und formgerecht eingelegte (§ 173 SGG) Beschwerde, der das Sozialgericht am 24. Januar 2006 nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Beklagten zu Recht nicht verpflichtet, der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten für das erstinstanzliche Verfahren zu erstatten.
Das Gericht entscheidet gemäß § 193 Abs. 1 SGG auf Antrag durch Beschluss, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren anders – als durch Urteil – beendet wird. Vorliegend endete die Untätigkeitsklage der Klägerin bei dem Sozialgericht Gießen unter dem Aktenzeichen S 18 SO 25/05 durch Klagerücknahme vom 25. November 2005 nach der Ablehnung ihres Prozesskostenhilfeantrags (Beschluss vom 21. Juni 2005).
Die danach von dem Sozialgericht zu treffende Entscheidung über die Kostentragungspflicht bei unstreitiger Erledigung hat allgemein auf der Grundlage billigen Ermessens unter Berücksichtigung des bisherigen Sach-und Streitstandes zu erfolgen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 8. Auflage, § 193 Rdnr. 13). Diese Ermessensentscheidung ist vom Beschwerdegericht in vollem Umfang nachprüfbar (vgl. Landessozialgericht – LSG – Rheinland-Pfalz vom 16. April 1998 – L 3 SB 84/97; Meyer-Ladewig, wie vor, Rdnr. 17). Zur Begründung eines Kostenerstattungsanspruchs gegen eine untätige Behörde ist die Zulässigkeit der erhobenen Untätigkeitsklage eine notwendige, wenngleich nicht hinreichende Voraussetzung (siehe Hessisches LSG – HLSG -vom 27. Dezember 2005 – L 9 B 176/05). Die Kostentragungspflicht nach -3 unstreitig erledigter Untätigkeitsklage gemäß § 88 SGG ist (auch) nach den Umständen der Untätigkeit, nicht aber nach den Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu beurteilen (LSG Baden-Württemberg vom 25. September 2003 – L 11 KR 2720/03 AK-B). Die Behörde hat dem Antragsteller oder dem Widerspruchsführer die Kosten nach Erledigung der Untätigkeitsklage in der Hauptsache auch nur dann zu erstatten, wenn letzterer mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte (Rechtsgedanke aus § 161 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung; LSG Sachsen vom 28. September 2004 – L 2 B 212/03 U). Der Kooperation der Beteiligten im Vorfeld der Untätigkeitsklage kann entscheidungserhebliche Bedeutung zukommen (HLSG vom 22. Februar 2006 -L 9 B 14/06 SO: Nicht-Reaktion der Behörde auf die Anfrage des Widerspruchsführers; vom 27. April 2006 – L 9 B 26/06 SO: Klageerhebung des Widerspruchsführers vor Ablauf der der Behörde eingeräumten Frist).
Es entspricht nicht billigem Ermessen, den Beklagten mit den notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu belasten; denn die Untätigkeitsklage der Klägerin vom 7. März 2005 (Eingangsdatum) war unzulässig. Ist ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden, so ist die Klage gemäß § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig. Das Gleiche gilt gemäß § 88 Abs. 2 SGG, wenn über einen Widerspruch nicht entschieden worden ist, mit der Maßgabe, dass als angemessene Frist eine solche von drei Monaten gilt. Zulässigkeitsvoraussetzung der Untätigkeitsklage ist demnach, dass der Kläger – im Fall von § 88 Abs. 2 SGG – überhaupt Widerspruch eingelegt hat (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 88 Rdnr. 3). Der Widerspruch ist gemäß § 84 Abs. 1 SGG schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Ver...