Entscheidungsstichwort (Thema)
Verrechnung einer unter der Pfändungsfreigrenze liegenden Erwerbsminderungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit offenen Sozialversicherungsbeiträgen
Leitsatz (amtlich)
1. Eine unter der Pfändungsfreigrenze liegende Erwerbsminderungsrente ist nicht insolvenzbefangen und kann nach §§ 52, 51 Abs 2 SGB I mit offenen Sozialversicherungsbeiträgen verrechnet werden, ohne dass die Vorschriften der InsO zur Anwendung gelangen.
2. Die Krankenkasse ist unabhängig davon berechtigt, die offenen Sozialversicherungsbeiträge in voller Höhe im Insolvenzverfahren zur Tabelle anzumelden.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 29. Januar 2015 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer von der Beklagten im Auftrag der AOK-Die Gesundheitskasse in Hessen (AOK) vorgenommenen Verrechnung einer Forderung der AOK mit der monatlichen Rente der Klägerin gemäß §§ 51 Abs. 2 und 52 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I).
Mit Schreiben vom 2. Dezember 1998 ermächtigte die AOK die Beklagte nach §§ 52 i.V.m. 51 SGB I, die von der Klägerin bis 31. August 1994 geschuldeten Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 11.397,99 DM gegen ihre Leistungen zu verrechnen.
Am 22. August 2011 wurde durch das Amtsgericht Marburg das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin eröffnet.
Am 16. September 2011 meldete die AOK ihre Forderung in Höhe von insges. 17.490,14 Euro (einschließlich Zinsen und Kosten) im Rahmen des Insolvenzverfahrens zur Tabelle an (5.357,72 Euro Gesamtsozialversicherungsbeiträge zuzüglich 10.833,47 Euro Zinsen und 1.298,95 Euro Kosten).
Die Klägerin bezog ab dem 1. März 2013 eine zunächst bis zum 30. September 2015 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung, deren Höhe ab 1. August 2013 monatlich 602,60 Euro betrug.
Mit Schreiben vom 13. November 2013 bat die Beklagte die AOK unter Bezugnahme auf deren Verrechnungsersuchen vom 2. Dezember 1998 im Hinblick auf die aktuelle Rechtsprechung des BSG um nähere Angaben zum damaligen Verrechnungsersuchen.
Die AOK teilte daraufhin mit Schreiben vom 20. November 2013 mit, dass es sich bei der Forderung um einen öffentlich-rechtlichen Beitragsanspruch nach § 52 i.V.m. § 51 Abs. 2 SGB I handele. Die Gesamtsumme belaufe sich auf 9.224,67 Euro. Sie setze sich aus der Hauptforderung vom 1. Juli 1994 bis 31. August 1994 in Höhe von 5.357,72 Euro, Vollstreckungskosten in Höhe von 1.298,95 Euro und Säumniszuschlägen bis 31. Juli 2011 in Höhe von 2.568,00 Euro zusammen. Die Forderung sei in vollem Umfang bestandskräftig und fällig.
Die Beklagte hörte die Klägerin mit Schreiben vom 12. Dezember 2013 wegen des Verrechnungsersuchens an. Sie beabsichtige, für die Aufrechnung/Verrechnung von der laufenden Rente der Klägerin monatlich einen Festbetrag von 100,00 Euro einzubehalten. Darüber hinaus werde die noch zur Verfügung stehende Nachzahlung in Höhe von 2.531,81 Euro verrechnet. Über die Aufrechnung/Verrechnung habe die Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Um die Entscheidung treffen zu können, erhalte die Klägerin Gelegenheit, sich bis zum 16. Januar 2014 zu äußern und dabei alle Umstände zu schildern, die für die Aufrechnung/Verrechnung bedeutsam sein können.
Mit Schreiben vom 7. Januar 2014 teilte die Klägerin auf das Anhörungsschreiben hin lediglich mit, dass im Insolvenzverfahren die Forderung der AOK in voller Höhe anerkannt worden sei. Damit bestehe ein Aufrechnungsverbot. Die Rentennachzahlung solle schnellstmöglich veranlasst werden.
Mit Schreiben vom 16. Januar 2014 teilte die AOK der Beklagten auf deren Nachfrage mit, dass sie ihr Verrechnungsersuchen aufrechterhalte. Bislang sei keine Restschuldbefreiung erteilt. Eine Versagung sei durchaus noch möglich.
Mit Bescheid vom 16. Januar 2014 verrechnete die Beklagte gestützt auf §§ 52, 51 Abs. 2 SGB I die Rente wegen voller Erwerbsminderung mit der offenen Beitragsforderung in Höhe von monatlich 100,00 Euro. Außerdem verrechnete sie auch die Nachzahlung in Höhe von 2.531,81 Euro. Die Beitragsforderung belaufe sich auf eine Gesamtsumme in Höhe von 9.224,67 Euro (Hauptforderung 5.357,72 Euro, Säumniszuschläge/Nebenkosten 3.866,95 Euro) und beziehe sich auf die Zeit vom 1. Juli 1994 bis 31. August 1994. Die Aufrechnung beziehungsweise Verrechnung werde nach eingehender Prüfung für angemessen gehalten. Insbesondere könne die Aufrechnung ohne Beteiligung des Insolvenzverwalters auch während eines Insolvenzverfahrens begonnen werden, da die Insolvenzmasse nicht betroffen sei. Die Klägerin habe insbesondere auch nicht den drohenden Eintritt von Sozialhilfebedürftigkeit nachgewiesen. Die beiden Kinder der Klägerin seien mittlerweile erwachsen. Sie lebe mit einem Lebensgefährten in einem Haushalt, so dass davon auszugehen sei, dass bei einer monatlichen Verrechnung in Höhe von 100,00 ...