Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Auslegung eines Widerspruchs. Kosten der Unterkunft. Produkttheorie. abstrakte Angemessenheitsgrenze. selbst erstellter Mietspiegel. Anforderung. fehlende Zusicherung. keine Anwendung der 6-Monats-Frist
Leitsatz (amtlich)
1. Beinhalten vom Leistungsträger erstellte Mietlisten ausschließlich Mietverhältnisse, die durch Bezieher von Sozialleistungen nach dem SGB 2, SGB 12 und dem BSHG begründet wurden, dann repräsentieren die darin ermittelten Werte die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Leistungsempfängers marktüblichen angemessenen Wohnungsmieten gem § 22 Abs 1 S 2 SGB 2 mit hinreichender statistischer Aussagekraft.
2. Es ist nicht zulässig, zur Ermittlung der abstrakt angemessenen Wohnkosten aus einer solchen Datensammlung nochmals einen "unteren Rand" zu bilden oder eine einzelne Wohnung zur Begründung der Plausibilität der aus den Tabellen zu § 8 WoGG abgeleiteten angemessenen Miethöhe heranzuziehen.
3. Maßgebend für die Ermittlung der abstrakten Angemessenheitsgrenze ist dann vielmehr das durchschnittliche Mietniveau dieses spezifischen Wohnungsmarktes.
Orientierungssatz
1. Zur Auslegung eines Widerspruchs gegen einen Änderungsbescheid, wenn gegen den ursächlichen, kurz zuvor ergangenen Bewilligungsbescheid kein Widerspruch eingelegt worden ist, sich der Widerspruchsbescheid aber inhaltlich mit dem Bewilligungsbescheid befasst und nochmals ausführlich begründet.
2. Wird eine Zusicherung trotz rechtzeitiger Beantragung nicht vor dem Umzug erteilt, führt dies nicht dazu, dass Leistungen nur in der bisherigen Höhe zu erbringen sind, wenn die Zusicherung nach § 22 Abs 2 S 2 SGB 2 hätte erteilt werden müssen.
3. Bei der Beurteilung der Angemessenheit von Mietaufwendungen für eine Unterkunft ist nicht auf den jeweiligen örtlichen Durchschnitt aller gezahlten Mietpreise, sondern auf die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Leistungsempfängers marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen und auf dieser tatsächlichen Grundlage eine Mietpreisspanne zu ermitteln.
4. Bei der Bestimmung des maßgeblichen örtlichen Wohnungsmarktes zur Festlegung der abstrakten Angemessenheitsgrenze ist vorrangig auf den Wohnort des Hilfebedürftigen abzustellen. Ein Umzug in einen anderen Wohnort, der mit der Aufgabe des sozialen Umfeldes verbunden wäre, kann von ihm im Regelfall nicht verlangt werden.
5. Die angemessene Höhe der Unterkunftskosten ist das Produkt aus der für den Hilfebedürftigen abstrakt angemessenen Wohnungsgröße und dem nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Mietzins pro Quadratmeter. Dabei ist in Hessen in Anlehnung an § 5 WoBindG iVm § 27 WoFG das Wohnungsbindungsrecht für Alleinstehende eine Wohnfläche von 45 qm als angemessen anzusehen.
6. Zu den Anforderungen an - mangels vorhandener örtlicher Mietspiegel oder Mietdatenbanken nach §§ 558cff BGB - vom Grundsicherungsträger selbst erstellte Mietspiegel oder Tabellen zur Bestimmung der abstrakten Angemessenheitsgrenze.
7. Im Falle des ohne die vorherige Zusicherung des Grundsicherungsträgers erfolgten Umzugs während des laufenden Leistungsbezugs ist die Höhe der zu übernehmenden Wohnungskosten auf die angemessenen Kosten beschränkt. Der 6-Monatszeitraum des § 22 Abs 1 S 3 SGB 2 findet hierauf keine Anwendung.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 11.7.2007 wird aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache ab dem 1.6.2007 bis zum 31.10.2007 im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an den Antragsteller dessen Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 281,45 € zu übernehmen.
Im Übrigen wird der Antrag des Antragstellers zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Instanzen zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Rahmen der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch, 2. Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) die Übernahme höherer Unterkunfts- und Heizkosten von der Antragsgegnerin.
Am 1.11.2006 beantragte der Antragsteller im Anschluss an eine Tätigkeit als Lagerarbeiter bei der Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 5.1.2007 bewilligte ihm die Antragsgegnerin für den Zeitraum ab 1.12.2006 bis zum 30.4.2007 Leistungen in Höhe von monatlich 661,09 €. Darin enthalten waren Unterkunftskosten einschließlich Heizkosten in tatsächlicher Höhe von 316,09 €. Zugleich wies die Antragsgegnerin den Antragsteller in dem Bescheid darauf hin, dass die tatsächlichen Kosten der Unterkunft zu hoch seien und ab dem 1.6.2007 lediglich noch angemessene Unterkunftskosten in Höhe von 210 € für die Kaltmiete und Heizkosten mit 0,85 € pro Quadratmeter bezogen auf eine maximal 50 m² große Wohnung erstattet werden könnten.
Am 2.3.2007 ging bei der Antragsgegnerin eine Bescheinigung der gemeinn...