Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Prozesskostenhilfe. Bewilligung für Hauptsacheverfahren zur Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der für das Arbeitslosengeld II ab dem 1.1.2011 geltenden Regelsätze. keine Erforderlichkeit der Vertretung durch einen Rechtsanwalt für weitere Klagen im Hinblick auf folgende Leistungszeiträume. Mutwillige Prozessführung

 

Leitsatz (amtlich)

Betreibt ein Kläger ein sozialgerichtliches Verfahren mit dem Ziel höherer Leistungen unter Geltendmachung der Verfassungswidrigkeit der für das Arbeitslosengeld II ab dem 1. Januar 2011 geltenden Regelsätze und ist ihm hierfür Prozesskostenhilfe bewilligt worden, würde ein verständiger und kostenbewusster Kläger im Hinblick auf folgende Leistungszeiträume keinen Rechtsanwalt mit der Erhebung entsprechender weiterer Klagen beauftragen. Vielmehr würde ein kostenbewusster Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise selbst Klage erheben und zugleich wegen des zu dieser Frage bereits bei dem Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfahrens die Anordnung des Ruhens des Verfahrens beantragen. Insoweit erscheint eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht erforderlich. Dies gilt zumindest dann, wenn keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der Kläger in seiner Fähigkeit eingeschränkt sein könnte, sich mündlich und schriftlich auszudrücken.

 

Normenkette

SGG § 73a Abs. 1 S. 1; ZPO §§ 114, 121 Abs. 2; SGB II § 20 Abs. 2

 

Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 4. Juli 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde ist statthaft und zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt.

Nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG gelten für die Gewährung von Prozesskostenhilfe in sozialgerichtlichen Verfahren die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Danach ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf seinen Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 ZPO).

Zunächst kann zwar der am 28. November 2011 erhobenen Klage gegen den Bescheid vom 12. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Oktober 2011 (S 2 AS 1221/11), mit der die Verfassungswidrigkeit der Regelung des § 20 Abs. 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) zur Regelsatzhöhe geltend gemacht worden ist, im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Berlin vom 25. April 2012 (S 55 AS 9238/12) hinreichende Aussicht auf Erfolg nicht abgesprochen werden (ebenso kritisch die Literatur: vgl. Lenze in Lehr- und Praxiskommentar - LPK-SGB II -, 4. Aufl., § 20 Rn. 20; Anh. § 20, § 10 RBEG, Rn. 6 ff.) Ob darüber hinaus die Rechtsverfolgung auch nicht mutwillig i.S.d. § 114 ZPO erscheint, ist jedoch bereits zweifelhaft. Insofern wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass einem Empfänger von Grundsicherungsleistungen, der die gesetzliche Neuregelung des Regelsatzes zum 1. Januar 2011 für verfassungswidrig hält, zuzumuten ist, ein anhängiges Widerspruchsverfahren nicht weiter zu betreiben und dessen Ruhen bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Berlin gegenüber dem Grundsicherungsträger anzuregen oder um eine lediglich vorläufige Entscheidung gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) zu bitten (vgl. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 9. Juli 2012, L 6 AS 12/12 B PKH; vgl. auch Beschluss des erkennenden Senats vom 31. August 2009, L 6 AS 227/09 B). Beides haben die Kläger zu 1. und 2. offensichtlich nicht angestrebt und stattdessen nach Erteilung des Widerspruchsbescheides den Klageweg beschritten.

Einer weiteren Vertiefung bedarf es jedoch nicht und die Frage einer mutwilligen Prozessführung kann dahingestellt bleiben, denn jedenfalls fehlt es an der Erforderlichkeit der Vertretung der Kläger durch einen Rechtsanwalt. Nach § 121 Abs. 2 ZPO wird einem Prozessbeteiligten ein Rechtsanwalt nur beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist. Die Vertretung der Kläger durch ihren Prozessbevollmächtigten im vorliegenden Klageverfahren erscheint nicht erforderlich i.S. der gesetzlichen Vorschrift. Der Rechtsbegriff der Erforderlichkeit ist durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung (zuletzt Beschluss der 3. Kammer des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2011, 1 BvR 1737/10 m.w.N.) geklärt. Danach beurteilt sich die Erforderlichkeit der anwaltlichen Vert...

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