Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Einkommenseinsatz. Absetzbarkeit von Beiträgen zu einer privaten Zusatz-Pflegeversicherung. Angemessenheit
Leitsatz (amtlich)
1. Beiträge zu einer privaten Zusatz-Pflegeversicherung sind für einen Bezieher von Grundsicherungsleistungen im Allgemeinen dann nicht angemessen, wenn der Hilfeempfänger als Mitglied einer gesetzlichen Pflegekasse bereits über eine Vorsorge für den Fall einer Pflegebedürftigkeit verfügt.
2. Die der sozialen Pflegeversicherung systemimmanenten Leistungsgrenzen begründen eine Angemessenheit privater Zusatz-Pflegeversicherung mit Rücksicht auf die fürsorgerischen Leistungsergänzungen insbesondere durch die Hilfe zur Pflege im Allgemeinen nicht.
3. Die individuellen Verhältnisse eines gesetzlich pflegeversicherten Hilfeempfängers begründen eine Angemessenheit einer privaten Zusatz-Pflegeversicherung unter Berücksichtigung von Vorerkrankungen dann nicht, wenn eine künftige Verbesserung der Lebenssituation des Hilfeempfängers wie eine künftige Entlastung des Grundsicherungsträgers nicht absehbar (Anschluss an BVerwG vom 24.6.1999 - 5 C 18/98 = Buchholz 436.0 § 76 BSHG Nr 31) ist und wenn die Beitragsentrichtung den Lebensunterhalt einer Vergleichsperson mit Einkommen knapp oberhalb der Sozialhilfegrenze gefährden (Anschluss an BVerwG vom 28.5.2003 - 5 C 8/02 = BVerwGE 118, 211) würde.
Tenor
I. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 30. Januar 2006 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Ziel des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens sind höhere Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) durch Übernahme von Beiträgen zu einer privaten Zusatz-Pflegeversicherung oder Absetzung derselben vom Einkommen.
Die Antragstellerin ist 1949 geboren, hat zwei Kinder, ist geschieden, leistungsgemindert im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung seit dem Jahre 1997 (Landesversicherungsanstalt Hessen, Widerspruchsbescheid vom 28. Dezember 1999) und schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 80 sowie dem Nachteilsausgleich “aG„ seit dem Jahre 1997 (Hessisches Amt für Versorgung und Soziales Gießen, Bescheid vom 20. Juni 1998). Die Antragstellerin bezog vor dem 1. Januar 2005 von dem Antragsgegner Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes - BSHG -(B.-Kreis, Bescheid vom 12. Dezember 2002) sowie Grundsicherung nach den Bestimmungen des Gesetzes über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (B.-Kreis, Bescheid vom 31. März 2003). Sie bezieht seit dem 1. Januar 2005 von dem Antragsgegner Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII (zuletzt 295,78 Euro monatlich ab 1. April 2006 laut Bescheid vom 27. März 2006), darunter die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und Pflegeversicherung bei der DAK.
Die Antragstellerin unterhielt seit dem 1. Oktober 2004 bei der H.-Versicherungs-AG in H. im Rahmen eines Gruppenversicherungsvertrags des Sozialverbands VdK, Landesverband Hessen e.V., eine Pflegerenten-Risiko-Versicherung (Tarif PRG F) über eine monatliche Rente von 1.000,00 Euro bei Pflegestufe III (Versicherungsschein vom 29. September 2004, Versicherungsnummer ...) gegen einen Beitrag von zunächst monatlich 69,50 Euro, zuletzt von monatlich 75,86 Euro. Die H.-Versicherungs-AG erklärte nach Beitragsüberbrückungen zunächst auf den 1. August 2005, dann auf den 1. März 2006, die Versicherung mit Schreiben vom 2. Juni 2006 wegen Beitragsrückständen für erloschen.
Die Antragstellerin beantragte am 12. Oktober 2004 bei dem Antragsgegner die Übernahme der Beiträge für ihre private Zusatz-Pflegeversicherung nebst Sterbe- und Unfallversicherung. Der Antragsgegner gewährte der Antragstellerin durch Bescheid vom 8. März 2005 die Beiträge zur Sterbe- und Unfallversicherung ab November 2004.
Die Antragstellerin erhob am 2. Februar 2005 bei dem Verwaltungsgericht Gießen Untätigkeitsklage wegen Nicht-Bescheidung ihres Leistungsantrags vom 12. Oktober 2004, die Zusatz-Pflegeversicherung betreffend. Das Gericht verwies durch Beschluss vom 10. Februar 2005 (4 E 243/05) den Rechtsstreit an das zuständige Sozialgericht Gießen, bei dem die Antragstellerin die Untätigkeitsklage (S 20 SO 14/05) weiterführte.
Der Antragsgegner lehnte durch Bescheid vom 10. Februar 2005 den Antrag vom 12. Oktober 2004, die Zusatz-Pflegeversicherung betreffend, ab, weil Beitragsübernahmen für freiwillige Versicherungsleistungen nach den gesetzlichen Bestimmungen nur dann möglich seien, wenn Versicherungsbeiträge oder ähnliche Beiträge durch Gesetz vorgeschrieben seien. Ausgaben könnten allein für notwendige und angemessene Versicherungen berücksichtigt werden. Freiwillige Versicherungsleistungen fielen darunter nicht, weil die gesetzlichen Versicherungsleistungen den Bedarfsfall decken würden. Eine Absicherung aller eventuellen Risiken sei auch einer Durc...