Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweilige Anordnung. sofortige Vollziehung. Anforderungen an die Begründung. Verwaltungsakt. keine besondere Dringlichkeit. Voraussetzung einer wirksamen Aufrechnung. Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter
Leitsatz (amtlich)
1. Die Begründung einer Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt den Anforderungen nicht, wenn sich diese erkennbar wesentlich auf die Aufrechnungserklärung gegen eine aus einem bereits abgeschlossenen Verfahren resultierende Nachzahlungsverpflichtung bezieht, welche damit vermieden werden soll.
2. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann sich ihrer Natur nach nur auf Verwaltungsakte, nicht aber auf bloße Gestaltungserklärungen beziehen.
3. Eine besondere Dringlichkeit im Hinblick auf die Vermeidung weiterer und künftiger Belastungen für den Steuerzahler lässt sich aus der sofortigen Vollziehung der Rücknahme und Rückforderung von Leistungen für in der Vergangenheit liegende Zeiträume nicht herleiten.
Orientierungssatz
Voraussetzung einer wirksamen Aufrechnung ist, dass sich zwei gleichartige Forderungen gegenüberstehen, die im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung gem § 388 BGB vollwirksam und fällig sind (vgl BAG vom 15.11.1967 - 4 AZR 99/67 = BAGE 20, 156 = NJW 1968, 813).
Tenor
I. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 30. Juni 2011 wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner hat den Antragstellern deren außergerichtliche Kosten auch für die zweite Instanz zu erstatten.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten steht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gegen einen Entziehungsbescheid von laufenden Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII in Streit.
Der 1933 geborene Antragsteller 1) und seine 1934 geborene Ehefrau - Antragstellerin 2) - beantragten am 13. November 2008 Leistungen nach dem 4. Kap. SGB XII. Nach Überprüfung und Auswertung ihrer Vermögensverhältnisse und Stellung einer Sicherungshypothek in Höhe von 25.000,00 Euro bewilligte ihnen der Antragsgegner durch Bescheid vom 3. März 2009 sowie Änderungsbescheid vom 11. März 2009 auf der Grundlage eines Darlehensvertrages vom 4. März 2009 darlehensweise Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kap. SGB XII. Die Gewährung der Leistungen als Darlehen erfolgte im Hinblick darauf, dass der Antragsteller 1) Eigentümer eines villenartigen Anwesens im A-Stadt mit einer Wohnfläche von 260 Quadratmetern und einer Grundstücksfläche von 1090 Quadratmetern ist. Ein Immobilienmakler in W., dem der Alleinauftrag für den Verkauf des Grundstücks erteilt worden war, bot das Anwesen für knapp 500.000,00 Euro zum damaligen Zeitpunkt zum Verkauf an. Das Grundstück ist mit Grundschuld in Höhe von insgesamt 725.000,00 Euro belastet, zu Gunsten der X-bank AG in Höhe von 250.000,00 Euro sowie 100.000,00 Euro, in Höhe von 155.000,00 Euro als Eigentümergrundschuld sowie zu Gunsten der Tochter der Antragsteller - Frau A. A. - in Höhe von 200.000,00 Euro. Zuletzt wurde am 9. April 2009 die Sicherungshypothek zu Gunsten des Antragsgegners im Grundbuch eingetragen. Die Antragsteller sind insgesamt beträchtlichen Forderungen der X-bank AG, der Y-Bank, des Finanzamtes AAA. und der QQ. a. G., bei der sie privat kranken- und pflegeversichert sind, ausgesetzt.
Nach Eintragung der ihm bestellten Sicherungshypothek stellte der Antragsgegner fest, dass diese Sicherheit entgegen seiner bis dahin vorhandenen, durch einen ihm von den Antragstellern vorgelegten Grundbuchauszug gewonnenen Erkenntnisse nicht im Rang unmittelbar nach den beiden Grundschulden zu Gunsten der X-bank AG eingetragen worden war. Stattdessen lasteten zudem die Eigentümergrundschuld und die Grundschuld zu Lasten der Tochter A. A. vorrangig auf dem Grundstück des Antragstellers 1).
Ermittlungen des Antragsgegners ergaben sodann, dass die Tochter der Antragsteller ein geringes Einkommen aus selbständiger Tätigkeit erzielte, jedoch über ein Vermögen von über 260.000,00 Euro verfügte. Durch Bescheid vom 27. November 2009 stellte der Antragsgegner nach Anhörung der Antragsteller die Leistungen nach dem SGB XII zum 1. Dezember 2009 mit der Begründung ein, dass vorrangig Unterhaltsansprüche gegen die Tochter der Antragsteller geltend zu machen seien. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 10. März 2010 zurückgewiesen. Die hiergegen erhobene Klage zum Sozialgericht Darmstadt war zuletzt unter dem Aktenzeichen S 17 SO 68/10 dort anhängig.
Dem am 14. April 2010 beim Sozialgericht Darmstadt beantragten Erlass einer einstweiligen Anordnung wurde durch Beschluss vom 20. Juli 2010 stattgegeben, in den dem Antragsgegner auferlegt wurde, vorläufig den Antragstellern ab dem 14. April 2010 bis zu seiner rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache darlehensweise Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe zu zahlen, da die Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht sicher zu beurteilen seien. Dem war eine Zeugeneinvernahme de...