Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragspsychotherapeutische Versorgung. Ende der Zulassung wegen Vollendung des 68. Lebensjahres. Widerspruch und Klage haben gegen Entscheidung keine aufschiebende Wirkung. einstweiliger Rechtsschutz nach § 86b Abs 2 SGG. Anwendung der Anti-Diskriminierungs-Richtlinien im Vertragsarztrecht. Umsetzung der Richtlinien. Verzug oder Zweifel über Anwendbarkeit und Auslegung europäischen Rechts. Vorab-Entscheidungsersuchen. Entzug des gesetzlichen Richters. Verlängerung der Umsetzungsfrist. Altersgrenzenregelung. Regelung des § 95 Abs 7 SGB 5 ist mit Verfassungsrecht vereinbar. keine Verletzung überstaatlicher rechtlicher Regelungen. keine Beschränkung durch primäres oder sekundäres Europäisches Gemeinschaftsrecht
Leitsatz (amtlich)
1. Die Entscheidung des Zulassungsausschusses gemäß § 95 Abs 7 S 2 (jetzt: S 3) SGB 5 beschränkt sich auf die Feststellung, dass die Zulassung mit dem Ende eines bestimmten Quartals kraft Gesetzes geendet hat. Widerspruch und Klage gegen eine solche feststellende Entscheidung kommt keine aufschiebende Wirkung zu (Anschluss an BSG vom 25.11.1998 - B 6 KA 4/98 R = BSGE 83, 135 = SozR 3-2500 § 95 Nr 18 und vom 5.2.2003 - B 6 KA 22/02 R = SozR 4-2500 § 95 Nr 2). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und/oder Klage gegen einen solchen Bescheid nach §§ 86a Abs 3 oder 86b Abs 1 SGG kommt nicht in Betracht. Einstweiliger Rechtsschutz kann nur gemäß § 86b Abs 2 SGG im Wege der sog Regelungsanordnung gewährt werden.
2. Die sog "Anti-Diskriminierungs-Richtlinien" der Europäischen Gemeinschaft (hier: EGRL 78/200 vom 27.11.2000, ABl L 303/16 - sog "Allgemeine Gleichbehandlungs-Richtlinie in Beschäftigung und Beruf") entfalten grundsätzlich auch Wirkung im Vertragsarztrecht nach dem SGB 5 - soweit dies nicht durch (eng auszulegende) Ausnahmevorschriften ausdrücklich ausgeschlossen ist.
3. Das Verbot der Benachteiligung im Hinblick auf das Merkmal "Alter" nach Art 1 und Art 6 EGRL 78/2000 kann grundsätzlich auch für die Prüfung der Frage bedeutsam sein, ob es weiterhin rechtmäßig bleibt, dass die Zulassung von Vertragspsychotherapeuten/-innen mit Vollendung des 68. Lebensjahres endet (§ 95 Abs 7 SGB 5). Die Vorbemerkungen (Erwägungsgründe) der Nrn 13 und 14 EGRL 78/2000 schließen die grundsätzliche Anwendbarkeit des Diskriminierungsverbotes wegen des Merkmals "Alter" auf das Zulassungsrecht der als Selbstständige tätigen Vertragspsychotherapeuten/-innen nicht aus.
4. Soweit die Bundesrepublik Deutschland mit der Umsetzung der "Anti-Diskriminierungs-Richtlinien" im Verzug ist, haben alle nationalen Gerichte die unmittelbare innerstaatliche Anwendung der Richtlinien zu prüfen - jedenfalls soweit öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehungen im Streit stehen - und in Zweifelsfällen ein Vorab-Entscheidungsersuchen nach Art 234 EG an den EuGH zu richten (Anschluss an BVerfG vom 22.10.1986 - 2 BvR 197/83 = BVerfGE 73, 339ff, 366ff; vom 8.4.1987 - 2 BvR 687/85 = BVerfGE 75, 223ff, 245ff, vom 31.5.1990 - 2 BvL 12/88 = BVerfGE 82, 159ff, 195ff). Dies gilt insbesondere auch in Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach §§ 86a und 86b SGG (vgl BVerfG, Beschluss vom 29.7.2004 - 2 BvR 2248/03 = DVBl 2004, 1411).
5. In Beschwerde-Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes (§§ 86a, 86b, 172ff, 177 SGG) ist das LSG als letztinstanzliches Gericht iS des Art 234 Abs 3 EG bei Zweifeln über die Anwendbarkeit und Auslegung europäischen Rechts (hier: unmittelbare Anwendbarkeit einer nicht, nicht vollständig oder verspätet umgesetzten Richtlinie) zur Vorlage an den EuGH verpflichtet, weil sonst den Beteiligten der gesetzliche Richter nach Art 101 Abs 1 S 2 GG entzogen wird (Anschluss an BVerfG vom 22.10.1986 - 2 BvR 197/83 = BVerfGE 73, 339ff, 366ff; vgl BVerfG Beschluss vom 29.7.2004 - aaO).
6. Die Bundesrepublik Deutschland hat von der in Art 18 Abs 2 EGRL 78/2000 ("Allgemeine Gleichbehandlungs-Richtlinie in Beschäftigung und Beruf") vorgesehenen Möglichkeit, hinsichtlich des Merkmals "Alter" eine Verlängerung der Umsetzungsfrist um 3 Jahre (bis 2.12.2006) zu beantragen, form- und fristgerecht Gebrauch gemacht (Hinweis auf Vertragsverletzungsverfahren nach Art 226 EG Aktenzeichen des EuGH - C-43/05).
Orientierungssatz
1. Die Regelung des § 95 Abs 7 S 2 bzw S 3 SGB 5 über die verbindliche Altersgrenze ist nach gefestigter Rechtsprechung des BSG und des BVerfG keine übermäßige, verfassungsrechtlich unzulässige Beschränkung der Berufsfreiheit, weil es sich insoweit lediglich um die Teilhabe an der vertragsärztlichen bzw vertragspsychotherapeutischen Versorgung handelt - also auch keine vollständige Aufgabe der Berufstätigkeit erzwungen wird.
2. Die Beschränkung der vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit auf die Zeit bis zur Vollendung des 68. Lebensjahres stellt keine verfassungswidrige Beeinträchtigung von Art 14 GG (Eigentumsschutz) dar (vgl BSG vom 30.6.2004 - B 6 KA 11/04 R = BSGE 93, 79 = SozR 4-5525 § 32 Nr 1). Auch eine Verletzung von Art 3 GG (Gleichbehand...