Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Rechtmäßigkeit einer Ausschreibung von Elektrostimulationsgeräten. Rechtsweg zu den Sozialgerichten. konkrete Darlegung der Beanstandungen im Rügeschreiben. keiner Verletzung der Rechte aus § 97 Abs 7 GWB bei Information über die für die Kalkulation relevanten Parameter. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde einer Herstellerin von Medizinprodukten (hier von Elektrostimulationsgeräten zur Muskelstimulation) gegen eine Entscheidungen der Vergabekammer und über die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde nach § 118 Abs 1 S 3 GWB ist nach §§ 29 Abs 5 und 142a SGG der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben; ausschließlich zuständig ist das für den Sitz der Vergabekammer zuständige Landessozialgericht, wobei Vorschriften des GWB entsprechend anwendbar sind.

2. Der Eilantrag nach § 118 Abs 2 GWB ist abzulehnen, wenn die Beschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

3. Im Rügeschreiben nach § 107 Abs 3 GWB müssen die erhobenen vergaberechtlichen Beanstandungen konkret unter Angabe von Tatsachen dargelegt werden, sonst sind sie unzulässig.

4. Die Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung über einen Lieferauftrag im offenen Verfahren durch eine Krankenkasse als öffentliche Leistungsträgerin verletzt Rechte aus § 97 Abs 7 GWB nicht, wenn die Bewerber über die für ihre Kalkulation relevanten Parameter, wie Leistungsgegenstand, Leistungsumfang, Leistungsmenge und Risiken im Rahmen des Machbaren und Zumutbaren unter Berücksichtigung der langjährigen Erfahrung der Bieter informiert werden.

5. Unter Beachtung von Art 3 Abs 1 GG ist gemäß § 8 Nr 1 Abs 1 VOL/A (juris: VOLA2) die Leistung so eindeutig und erschöpfend zu beschreiben, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen und die Angebote miteinander verglichen werden können. Maßgeblich für die Auslegung der Leistungsbeschreibung ist der objektive Empfängerhorizont, also die Sicht der potentiellen Bieter (vgl Vergabekammer München vom 16.1.2009 - Z3-3-3194-1-33-09/08). Dabei ist auf den Empfängerhorizont eines verständigen und sachkundigen Bieters, der mit Beschaffungsleistungen der entsprechenden Art vertraut ist, abzustellen (vgl OLG Koblenz vom 5.12.2007 - 1 Verg 7/07).

 

Tenor

Der Antrag der Beschwerdeführerin, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Landes Hessen vom 5. November 2009 (69 d - VK - 39/2009) über den 16. Dezember 2009 hinaus bis zu einer Entscheidung über die sofortige Beschwerde zu verlängern, wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Umstritten ist die Rechtmäßigkeit der Ausschreibung von Elektrostimulationsgeräten.

Die Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Antragsgegnerin) schrieb mit einer am 6. August 2009 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union erschienenen Bekanntmachung im Offenen Verfahren einen Lieferauftrag in Form einer Rahmenvereinbarung aus. Gegenstand dieses Auftrags ist die Bereitstellung von Elektrostimulationsgeräten für die Versicherten einschließlich Serviceleistungen. Bei diesen Geräten handelt es sich um Medizinprodukte, die in der Produktgruppe 09 (09.37.01, 09.37.02 und 09.99.99 - TENS- und EMS-Geräte) des Hilfsmittelverzeichnisses nach § 139 Abs. 1 SGB V benannt sind.

Elektrostimulationsgeräte sind elektrisch betriebene Medizinprodukte. Sie erzeugen einen therapeutisch wirksamen Strom und führen ihn über Elektroden unterschiedlicher Ausführung dem Körper zu. Die elektrischen Impulse lösen eine Reizung der Nerven (TENS - transkutane elektrische Nervenstimulation) oder der Muskeln (EMS - elektrische Muskelstimulation) aus. Diese Geräte werden in häuslicher Therapie eingesetzt.

Der Auftrag soll für das Kalenderjahr 2010 gelten. Es sind drei Verlängerungsoptionen für jeweils ein weiteres Kalenderjahr vorgesehen. Außerdem ist der Auftrag in drei Gebietslose (Los 1 / Nordhessen, Los 2 / Südhessen, Los 3 / Überregional) unterteilt. Für diese Lose ist eine Schätzung der Anzahl der Versorgungen im Vertragszeitraum angegeben. Einziges Zuschlagskriterium ist der niedrigste Preis. Der Wert der gesamten Ausschreibung wurde zwischen 395.126,16 € und 498.346,16 € geschätzt und der Auftragswert unter Berücksichtigung der Verlängerungsoption mit 1,8 Millionen € beziffert.

Seit dem 1. Januar 2008 erfolgt die Versorgung mit TENS- und EMS-Geräten in allen drei Losen durch die Ausschreibungsgewinnerin (Fa. D.). Die vertragliche Befristung endet am 31. Dezember 2009. Eine Verlängerung ist aufgrund der vertraglichen Regelungen nicht möglich. Für die Zeit ab 1. Januar 2010 besteht (noch) keine vertragliche Regelung zur Lieferung von Elektrostimulationsgeräten.

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Antragstellerin) vertreibt seit Jahrzehnten Elektrostimulationsgeräte zur Versorgung der gesetzlich Krankenversicherten. Ihren eigenen Angaben zufolge gehört sie zu den führende...

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