Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. keine sofortige Vollziehbarkeit von Versagungsbescheiden nach § 66 SGB 1. Bedarfsgemeinschaft. Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft. Anforderungen an das Vorliegen einer Wirtschaftsgemeinschaft. Behauptung eines Untermietverhältnisses. fehlende Erlaubnis des Vermieters. Vermutungsregelung. Mitwirkungspflichten
Leitsatz (amtlich)
1. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Versagungsbescheid nach § 66 SGB 1 werden von § 39 SGB 2 nicht erfasst und entfalten aufschiebende Wirkung.
2. Das "Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt" iS des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c SGB 2 erfordert das Bestehen einer "Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft". Für letzteres genügt eine konkludent getroffene Absprache zwischen den Partnern, wie sie die Haushaltsführung zum Wohle des partnerschaftlichen Zusammenlebens untereinander aufteilen.
3. Einer Wirtschaftsgemeinschaft steht nicht entgegen, dass die Partner an keinem Gegenstand in der Wohnung Miteigentum haben. Auch ein Untermietverhältnis schließt weder bei Einräumung des selbständigen noch des unselbständigen Mitgebrauchs eine solche aus. Alleine die Überlassung eines Teils der Wohnung zum selbständigen Alleingebrauch mit Vereinbarung eines Untermietzinses wäre uU geeignet, Indizwirkung gegen das Bestehen einer Wirtschaftsgemeinschaft zu entfalten.
4. Die Mitwirkungspflicht umfasst, Angaben zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen seines Partners zu tätigen, sofern feststeht, dass ihm diese zumindest ungefähr bekannt sind.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers vom 15. Februar 2013 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 5. Februar 2013 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Die am 15. Februar 2013 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Beschwerde mit dem sinngemäßen Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 5. Februar 2013 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ab 1. Mai 2012 bis zum 28. Februar 2013 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu gewähren,
ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 dieser Vorschrift vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.
Eine Regelungsanordnung im Sinne der Verpflichtung zur vorläufigen Leistung kann auch bei Ablehnung von Leistungen nach dem wegen mangelnder Mitwirkung nach § 66 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) ergehen, da bei Leistungen zum Lebensunterhalt nur so effektiver Rechtsschutz gewährt werden kann (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. Mai 2009 - L 25 AS 770/09 B ER - juris; s. Beschluss des erkennenden Senats vom 17. September 2012 - L 9 AS 513/12 B ER). Die in der Hauptsache erhobene Klage gegen den Bescheid vom 22. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. November 2012 (S 27 AS 1225/12) entfaltet als statthafte (isolierte) Anfechtungsklage ( § 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. SGG; vgl. BSG Beschluss vom 25. Februar 2013 - B 14 AS 133/12 B - juris; BSG SozR 1200 § 66 Nr. 13; SozR 4-1200 § 66 Nr. 1; BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 78/08 R) eo ipso aufschiebende Wirkung. Denn Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Versagungsbescheid nach § 66 SGB I sind nicht von der Ausnahmereglung des § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 39 Nr. 1 SGB II erfasst. Sie haben nach der Grundregel des § 86a Abs. 1 SGG aufschiebende Wirkung (Beschluss des erkennenden Senats vom 27. Dezember 2010 - L 9 AS 612/10 B ER - juris; s. auch Hessisches LSG, Beschluss vom 6. Januar 2012 - L 6 AS 570/11 B ER; vgl. LSG Sachsen, Beschluss vom 15. Januar 2013 - L 3 AS 1010/12 B PKH - juris m. w. N.; vgl. hierzu auch: Aubel, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, § 39 Rdnr. 13 und 13.1;). Einer vorherigen Entscheidung nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG bedurfte es daher nicht.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein Rechtsverhältnis gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist sowohl ein Anordnungsanspruch (d. h. die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines materiellen Leistungsanspruchs) als auch ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile), deren tatsächliche Voraussetzungen glaubhaft zu machen sind (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Zivilprozessordnung - ZPO -). Dabei soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache grundsätzlich nicht vorweggenommen werden. ...