Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei aus Art 10 EUV 492/2011 abgeleitetem Aufenthaltsrecht. Europarechtskonformität. Verfassungsmäßigkeit. Aufenthaltsrecht nach § 28 Abs 1 AufenthG 2004
Leitsatz (amtlich)
1. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst c SGB II ist europarechtskonform.
2. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 Buchst c SGB II ist verfassungsgemäß.
3. Ein beim Vater lebender nicht deutscher minderjähriger Unionsbürger mit Aufenthaltsrecht in Deutschland vermittelt der ledigen Mutter kein Aufenthaltsrecht nach § 28 Abs 1 S 1 Nr 3 AufenthG (juris: AufenthG 2004). Auf die ledige Mutter ist diese Regelung auch nicht analog anzuwenden.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. Mai 2019 aufgehoben und der Antrag abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander in beiden Instanzen keine Kosten zu erstatten.
Der Antragstellerin wird unter Beiordnung von Rechtsanwältin B. B., B-Straße, A-Stadt, Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 4. April bis 30. September 2019.
Die Antragstellerin ist rumänische Staatsangehörige und lebt in Haushaltsgemeinschaft mit ihrem Lebenspartner, Herrn C. D., sowie den gemeinsamen Kindern E. D. (geb. 2012) und F. (geb. 2016).
Der Lebenspartner der Antragstellerin war seit 1. August 2017 bei der Firma G. Transportunternehmen als Fahrer (in Teilzeit) beschäftigt und erzielte ein monatliches Entgelt in Höhe von brutto 810,92 Euro/netto 650 Euro (Bl. 126, 127, 132 der Verwaltungsakte). Dieses Beschäftigungsverhältnis kündigte der Arbeitgeber zum 15. November 2018 „aus wirtschaftlichen Gründen“ (Bl. 134 der Verwaltungsakte).
Der Lebenspartner der Antragstellerin beantragte am 18. Oktober 2018 (Bl. 111 der Verwaltungsakte) für sich, die Antragstellerin und ihre beiden Kinder Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 27. November 2018 (Bl. 147 der Verwaltungsakte) bewilligte der Antragsgegner SGB II-Leistungen für den Zeitraum vom 1. Dezember 2018 bis 14. April 2019. Hinsichtlich der Antragstellerin wies er darauf hin, dass diese nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 b) und c) von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei. Leistungen für den Zeitraum vom 1. Oktober bis 30. November 2018 lehnte er ab. Zur Begründung für die Ablehnung von Leistungen für den Zeitraum vom 1. Oktober bis 14. November 2018 führte der Antragsgegner an, dass die Leistungen wegen vorrangiger Leistungen nach § 12a SGB II abgelehnt würden. Zur Begründung für die Ablehnung von Leistungen für den Zeitraum vom 15. bis 30. November 2018 führte der Antragsgegner an, dass Leistungen wegen vorrangiger Leistungen auf Wohngeld gemäß § 12a SGB II abgelehnt würden. Anschließend ergingen am 13. Dezember 2018 (Bl. 168 der Verwaltungsakte), am 20. Dezember 2018 (Bl. 181 der Verwaltungsakte), am 16. Januar 2019 (Bl. 192 der Verwaltungsakte) und am 6. Februar 2019 (Bl. 201 der Verwaltungsakte) Änderungsbescheide, mit denen auch Leistungen für November 2018 gewährt wurden, nicht jedoch Leistungen für die Antragstellerin.
Am 15. Januar 2019 (Bl. 196 der Verwaltungsakte) stellte der Lebenspartner der Antragstellerin bei dem Antragsgegner einen Antrag auf Überprüfung der vorgenannten Bescheide und berief sich darauf, dass sich die Antragstellerin um die beiden gemeinsamen Kinder kümmere. Er sei über ein Jahr beschäftigt gewesen und werde ab Februar (2019) eine neue Arbeitsstelle haben. Seit Oktober 2018 sei die Antragstellerin nicht mehr krankenversichert.
Aktenkundig ist ein (nicht unterschriebener) Arbeitsvertrag des Lebenspartners der Antragstellerin mit der Firma H. Logistik GmbH vom 1. Juni 2018 (Bl. 202 der Verwaltungsakte) mit einem Beginn des Beschäftigungsverhältnisses als Kraftfahrer der Klasse C/CE zum 1. Februar 2019 in Teilzeit mit 20 Wochenstunden (Bruttostundenlohn: 9 €).
Durch Bescheid vom 22. Januar 2019 (Bl. 199 der Verwaltungsakte) lehnte der Antragsgegner die Abänderung des Bescheides vom 27. November 2018 in Gestalt der Änderungsbescheide ab und führte in der Begründung aus, die Antragstellerin sei von Leistungen nach dem SGB II gemäß § 7 Absatz 1 S. 2 Nr. 2 Buchst. b) und c) ausgeschlossen. Für diese komme einzig ein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers in Betracht, wobei Familienangehörige i.S. des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU) nach § 3 Abs. 2 des genannten Gesetzes nur Ehegatten, Lebenspartner nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz sowie Verwandte in gerader Linie seien. Zwar könne sie von ihren Kindern ein Aufenthaltsrecht ableiten, jedoch nur dann, wenn sie den insoweit in Betracht kommenden freizügigkeitsberechtigten Personen, folglich den gemeinsamen Kindern, ...