Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Vergütung vertragsärztlicher Leistungen bis zur Höhe des Fachgruppendurchschnitts durch einstweiligen Rechtsschutz
Orientierungssatz
1. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung in Bezug auf honorarrelevante Maßnahmen auf dem Gebiet des Vertragsarztrechtes ist der erforderliche Anordnungsgrund dann gegeben, wenn für den abrechnenden Vertragsarzt irreparable Rechtsnachteile zu erwarten sind. Dies ist insbesonders dann der Fall, wenn ohne den vorläufigen Rechtsschutz der notwendige Lebensunterhalt des Antragstellers oder die Existenz seiner Praxis gefährdet wäre.
2. Für ein geltend gemachtes Regelleistungsvolumen auf der Basis des Fachgruppendurchschnitts besteht kein Anordnungsgrund; die Regelungsanordnung kann nur zur Abwendung der wesentlichen, nicht anders abwendbaren Nachteile erlassen werden, d. h. zur Beseitigung der Existenzgefährdung.
3. Auch einer unterdurchschnittlich abrechnenden Praxis ist es grundsätzlich zumutbar, dass ihr pro Jahr ein zulässiges Honorarwachstum beschränkt wird, wenn absehbar ist, dass der Fachgruppendurchschnitt innerhalb von fünf Jahren erreicht wird, es sei denn, es sind Umstände glaubhaft gemacht, die eine Sonderregelung rechtfertigen.
4. Ein solcher außergewöhnlicher Grund liegt bereits dann vor, wenn über einen längeren Zeitraum eine Praxisführung nur unter eingeschränkten zeitlichen Bedingungen möglich war, ohne dass es zu einer Praxisschließung gekommen ist, mit der Folge, dass in den Aufsatzquartalen auskömmliche Fallzahlen nicht zu erbringen waren.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 6. August 2009 geändert und die Antragsgegnerin verpflichtet, der Antragstellerin für das Quartal III/2009 ein Regelleistungsvolumen auf der Basis von 379 Fällen und für das Quartal IV/2009 ein Regelleistungsvolumen auf der Basis von 1.500 Fällen zuzuerkennen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragstellerin und die Antragsgegnerin haben jeweils die Hälfte der Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu tragen.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Regelleistungsvolumens (RLV) für die Praxis der Antragstellerin ab dem Quartal III/09 strittig.
Die Antragstellerin ist eine seit 13. Dezember 2007 zugelassene Gemeinschaftspraxis seit 15. Mai 2008 mit Praxissitz in A-Stadt, A-Straße, bestehend aus den Radiologen Dr. A., Dr. C. und Dr. D.. Zuvor befand sich der Praxissitz in E-Stadt, E-Straße.
Dr. A. war seit 1. Januar 2005 zunächst mit Praxissitz in F-Stadt niedergelassen. In der Zeit vom 1. Juli 2007 bis 31. Dezember 2007 ruhte ihr Vertragsarztsitz, seit 1. Januar 2008 ist sie wieder vertragsärztlich tätig. Dr. D.. und Dr. C. sind seit 29. Juni 2004 ununterbrochen in Gemeinschaftspraxis zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Im Jahr 2005 erhielt die Gemeinschaftspraxis eine Genehmigung für eine Zweigpraxis in S-Stadt, welche aufgrund eines Konkurrentenwiderspruchs in zweiter Instanz durch das Hessische Landessozialgericht versagt wurde. Am Praxisstandort E-Stadt bildete diese Gemeinschaftspraxis mit der orthopädischen Praxisgemeinschaft Dr. G./H. eine Apparategemeinschaft. Am Praxisstandort A-Stadt ging die Antragstellerin eine erneute Apparategemeinschaft mit der orthopädischen Gemeinschaftspraxis Dres. I./J. ein. Wegen technischer Probleme und vorrangiger Gerätenutzung durch die orthopädische Gemeinschaftspraxis standen der Antragstellerin nur eingeschränkte Zeiten für die Nutzung einer konventionellen Röntgenanlage zur Verfügung, die im Dezember 2008 zugunsten eines neuen Geräts ausgetauscht wurde, was zu einem vollständigen Nutzungsausfall sowohl für die Antragstellerin als auch für die orthopädische Gemeinschaftspraxis führte.
Die Antragsgegnerin teilte Dr. A. mit Schreiben vom 2. Oktober 2007 Eckdaten der Honorarverteilung mit. Nachdem ausgeführt wurde, grundsätzlich sei eine verbindliche Aussage bezüglich der Honorarverteilung im Jahr 2008 nicht möglich, hieß es u. a.: “Mit dem 1. Quartal 2008 erlischt Ihr Status “Junge Praxis„. Dies bedeutet, dass Sie im Rahmen der Fallzahlbegrenzungsregelung an Ihren eigenen Fallzahlen aus gewissen Vorquartalen gemessen werden (sofern solche vorliegen). Letztendlich haben Sie jedoch immer Anspruch auf die durchschnittliche Fallzahl Ihrer Fachgruppe. Diese betrug z. B. im 1. Quartal 2006 1.290 Fälle und im 2. Quartal 1.288 Fälle. Wenn Sie diese Grenze nicht überschreiten, wird im Rahmen dieser Fallzahlbegrenzungsregelung keine Kürzung vorgenommen.„
Mit Schreiben vom 13. Januar 2009 beantragte die Antragstellerin eine Erhöhung des RLV, über diesen Antrag hat die Antragsgegnerin bislang nicht entschieden.
Mit Bescheid vom 27. Mai 2009 setzte die Antragsgegnerin das RLV der Praxis der Antragstellerin für das Quartal III/09 in Höhe von 3.700,09 € fest. Es resultiere aus der Multiplikation der für das RLV relevanten Fallzahl aus dem Quartal III/08 mit dem arztgruppenspezifischen Fallw...