Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinterbliebenenrente. vorsätzliche Tötung auf Verlangen des Versicherten durch die Witwe. verminderte Schuldfähigkeit. Anspruchsausschluss. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Eine im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit iS des § 21 StGB begangene vorsätzliche Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB schließt den Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des von der Witwe getöteten Ehemanns aus.
2. Die vorsätzliche Tötung des versicherten Ehegatten lässt auch bei einem geringeren Grad des Vorsatzes oder der Schuldfähigkeit das Eintreten der Solidargemeinschaft für die Folgen als unzumutbar erscheinen (vgl BSG vom 26.11.1981 - 5b/5 RJ 138/80 = SozR 2200 § 1277 Nr 3). Die Tatsache, dass § 105 SGB 6 allein auf den Vorsatz, nicht dagegen auf den Grad der Schuldfähigkeit abstellt, ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl BVerfG vom 17.5.1982 - 1 BvR 43/82 = SozR 2200 § 1277 Nr 4). Der Anspruch ist selbst dann ausgeschlossen, wenn bei dem Hinterbliebenen mildernde Umstände iS des Strafrechts vorliegen (vgl BSG vom 1.6.1982 - 1 RA 45/81 = SozR 2200 § 1277 Nr 5).
3. Der Rentenversicherungsträger darf im Rahmen der Prüfung, ob der Tod des Versicherten seitens der Witwe vorsätzlich herbeigeführt wurde, auf die im vorangegangenen Strafurteil getroffenen Feststellungen Bezug nehmen. Zwar besteht auch in den Fällen des § 105 SGB 6 die sich aus § 20 SGB 10 ergebende Untersuchungs- bzw Amtsermittlungspflicht. Tatsachenfeststellungen, die auf einer Würdigung der im vorangegangenen Strafverfahren erhobenen Beweise beruhen, verletzen jedoch grundsätzlich nicht die Grenzen einer freien Beweiswürdigung (vgl BSG vom 26.11.1981 - 5b/5 RJ 138/80 = SozR-2200 § 1277 Nr 3). Etwas anderes gilt nur dann, wenn der sozialrechtlich relevante Sachverhalt unter anderen rechtlichen Kriterien zu prüfen ist als im Strafverfahren oder wenn erfolgversprechende Ansatzpunkte für neue Ermittlungen auftauchen (vgl BSG vom 10.11.1993 - 9 RVg 2/93 und LSG Darmstadt vom 5.3.1998 - L 5 VG 151/94).
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 4. März 2010 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Hinterbliebenenrente. Umstritten ist dabei insbesondere, ob gemäß § 105 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) der Anspruch auf Witwenrente ausgeschlossen ist, weil die Klägerin den Tod ihres Ehemannes vorsätzlich herbeigeführt hat.
Die 1961 geborene Klägerin ist die Witwe des 1966 geborenen und 2006 verstorbenen Gastwirts C. (Versicherter). Der Tod des Versicherten wurde im Rahmen eines sog. fehlgeschlagenen Doppelselbstmords seitens der Klägerin herbeigeführt. Wegen dieser Tat wurde sie durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts ZX. (Az. xxx) vom 27. Oktober 2006 wegen einer im Zustand der eingeschränkten Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 Strafgesetzbuches (StGB) begangenen Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt.
Der am 8. Dezember 2007 gestellte Antrag der Klägerin auf Gewährung von Witwenrente wurde seitens der Beklagten durch Bescheid vom 25. Januar 2007 und Widerspruchsbescheid vom 28. August 2007 mit der Begründung abgelehnt, dass der Vorschrift des § 105 SGB VI zufolge kein Anspruch auf Rente wegen Todes für Personen bestehe, die den Tod vorsätzlich herbeigeführt haben. Da die genannte Vorschrift maßgeblich auf das Vorliegen einer vorsätzlichen Tatbegehung abstelle, sei es unbeachtlich, inwieweit die Tat schuldhaft bzw. im Zustand der eingeschränkten Schuldfähigkeit begangen worden sei.
Die Klägerin erhob daraufhin am 28. September 2007 Klage bei dem Sozialgericht Kassel und machte geltend, dass der Tatbestand der Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB seitens der Rechtsordnung mit einem geringeren Unwerturteil belegt sei als die anderen Tötungsdelikte. Aufgrund dessen sei es gerechtfertigt, den Tatbestand des § 216 StGB aus dem Anwendungsbereich des § 105 SGB VI herauszunehmen. Im Übrigen müsse auch berücksichtigt werden, dass die Tat "hart an der Grenze zur Schuldfähigkeit" im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit begangen worden sei. Die Beklagte wiederholte demgegenüber ihre bereits in den angefochtenen Bescheiden vertretene Rechtsauffassung.
Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 4. März 2010 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf (große) Witwenrente aus § 46 SGB VI habe, weil ein solcher Anspruch nach § 105 SGB VI ausgeschlossen sei für Personen, die den Tod vorsätzlich herbeigeführt haben. Die Vorschrift des § 105 SGB VI beruhe zum einen auf dem in der gesetzlichen Rentenversicherung geltenden Grundsatz der Solidarität der Versichertengemeinschaft. Zum anderen solle wegen der Schwere und Verwerflichkeit der Tötungshandlung außerdem der...