Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen einen bereits vollzogenen Einstellungsbescheid über Leistungen der Sozialhilfe. Rechtsschutzbedürfnis für eine einstweilige Regelung über Wohnungskosten nach endgültigem Verlassen der Wohnung. Folgen der Nicht- oder unvollständigen Umsetzung einer einstweiligen Anordnung durch den Sozialhilfeträger
Orientierungssatz
1. Hat der Hilfebedürftige nach fristloser Kündigung seiner Wohnung dieser durch Rückgabe der Wohnungsschlüssel stillschweigend zugestimmt, so steht definitiv fest, dass er sie von diesem Zeitpunkt an nicht mehr bewohnen kann, mit der Folge, dass für die weitere Durchsetzung von Unterkunfts- und Heizkosten durch einstweiligen Rechtsschutz kein Rechtsschutzbedürfnis besteht.
2. Wird die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen einen Einstellungsbescheid über Leistungen der Sozialhilfe von dem Leistungsträger nicht beachtet und der Bescheid faktisch vollzogen, so ist der Antrag auf Feststellung des Bestehens der aufschiebenden Wirkung in entsprechender Anwendung von § 86b Abs. 1 SGG zulässig.
3. Hat der Leistungsträger die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen einen ergangenen Einstellungsbescheid zwar anerkannt, diese aber nicht vollständig umgesetzt, so ist er zur Auszahlung der zuletzt bewilligten Leistung solange verpflichtet, bis er die Aufhebung des Bescheides noch nachträglich mit einer Anordnung der sofortigen Vollziehung versieht oder das Widerspruchsverfahren bestandskräftig abgeschlossen ist.
Normenkette
SGG § 86b Abs. 2 Sätze 2-3, Abs. 1; SGB XII § 17 Abs. 2; SGB II § 39; SGB I § 66 Abs. 1 S. 1
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 21. April 2008 geändert. Es wird festgestellt, dass der Widerspruch des Antragstellers gegen den Änderungsbescheid vom 16. Mai 2008 und der Widerspruch vom 4. Februar 2008 gegen den Bescheid vom 29. Januar 2008 aufschiebende Wirkung haben, soweit die Absenkung des Regelsatzes im Zeitraum vom 1. Februar 2008 bis einschließlich 14. Mai 2008 betroffen ist.
Die weitergehende Beschwerde des Antragstellers wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller ¾ seiner notwendigen Kosten in beiden Instanzen zu erstatten.
Gründe
I.
Der 1966 geborene Antragsteller bezieht von der Deutschen Rentenversicherung Hessen eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, die ab 1. Juli 2007 monatlich 267,27 € betrug. Er ist im Besitz eines Schwerbehindertenausweises vom 21. März 2005 (Grad der Behinderung - GdB - 80). Mit Bescheid vom 20. August 2007 lehnte der Antragsgegner die Gewährung eines persönlichen Budgets gemäß § 17 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) mit der Begründung ab, dass es sich um eine Kann-Bestimmung handele, die im Main-Taunus-Kreis keine Anwendung finde. Im Übrigen sei kein Bedarf erkennbar. Dagegen hat der Antragsteller Widerspruch eingelegt. Ein insoweit anhängig gemachtes einstweiliges Anordnungsverfahren (S 14 SO 77/07 ER) blieb ohne Erfolg (Beschluss vom 14. September 2007).
Der Antragsteller bezog bis zum 31. Oktober 2006 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Am 20. August 2007 sprach der Antragsteller bei dem Antragsgegner wegen erneuter Leistungen vor und erhielt das Antragsformular ausgehändigt, das er am 4. September 2007 teilweise ausgefüllt zurückgab. Aus einer Kurzmitteilung des Fachdienstes Soziale Leistungen ist zu entnehmen, dass der Antragsteller wieder eine eigene Wohnung beziehen wollte, da er Distanz zu seinen Eltern brauche. Der Kläger wohnte seinerzeit bereits bei den Eltern in der A-Straße in A-Stadt. Es lag ein Mietangebot der später vom Antragsteller angemieteten Wohnung B-Straße, B-Stadt, über eine 38 m² große Wohnung zu einer Grundmiete von 250,00 €, zuzüglich Betriebskosten 30,00 € und Heizkosten von 20,00 € vor, sowie die Zusicherung der Übernahme der entsprechenden Kosten als angemessen vom 31. August 2007. Mit Schreiben vom 6. September 2007 verlangte der Antragsgegner ein Antragsformular mit Datum und Unterschrift des Antragstellers, Kontoauszüge der letzten drei Monate, Kopie des Mietvertrages sowie Nachweis über die Kaution. Auf die Vorlage der Kontoauszüge verzichtete der Antragsgegner später. Nach Vorlage eines unterschriebenen Antrages verlangte der Antragsgegner nur noch die Übersendung einer Kopie des Mietvertrages.
Bereits am 14. September 2007 hatte der Antragsteller bei dem Sozialgericht Wiesbaden einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt mit dem Ziel, ihm 345,00 € Regelsatz statt des Regelsatzes eines Haushaltsangehörigen zu gewähren. Das Sozialgericht wies den Antrag wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses u. a. deswegen ab, da der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht habe, im September 2007 einen vollständigen Leistungsantrag gestellt und im erforderlichen Umfang mitgewirkt zu haben (S 14 SO 77/07 ER).
Mit Bescheid vom 2. Oktober 2007 bewilligte der Antragsgegner auf den Antrag vom 4. September 2007 ab ...