Entscheidungsstichwort (Thema)

Gutachterliche Anhörung eines bestimmten Arztes. Kostenübernahme auf die Staatskasse. Antragsrecht. Antragsfrist. Verjährung. Verwirkung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Antrag, die Kosten für ein gemäß § 109 SGG erstattetes Gutachten auf die Staatskasse zu übernehmen, ist nicht an die Einhaltung bestimmter gesetzlicher Fristen gebunden.

2. Die Vorschrift des § 2 Abs 1 JVEG ist ebenso wie der frühere § 15 Abs 2 ZuSEG auf den Kostenübernahmeanspruch aus § 109 SGG nicht anwendbar.

3. Da der Anspruch auf Kostenübernahme gegen die Staatskasse aus § 109 SGG überhaupt erst mit der Entscheidung des Gerichts über die endgültige Kostentragungspflicht entsteht, kann vor dieser gerichtlichen Entscheidung eine Verjährung oder Verwirkung des Kostenübernahmeanspruchs nicht in Betracht kommen.

4. Das verzögerte Stellen des Kostenübernahmeantrags gemäß § 109 SGG kann jedenfalls ohne Hinzutreten weiterer Umstände keine rechtsvernichtenden oder rechtshindernden Auswirkungen nach sich ziehen.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 14. Juli 2005 geändert.

Die Kosten des gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstatteten Gutachtens des Prof. Dr. med. H. vom 3. September 2001 werden bis zur Höhe des von dem Kläger eingezahlten Kostenvorschusses auf die Staatskasse übernommen.

Der von dem Kläger eingezahlte Kostenvorschuss ist zurückzuerstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Kosten für ein gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstattetes Sachverständigengutachten auf die Staatskasse zu übernehmen sind. Umstritten ist dabei insbesondere, ob der Anspruch auf Kostenübernahme verwirkt ist, weil der entsprechende Antrag erst zwei Jahre nach Erledigung der Hauptsache gestellt worden ist.

Die Beteiligten stritten im Hauptsacheverfahren um die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Im Verlaufe des Rechtsstreits wurde unter anderem auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG ein fachärztliches Sachverständigengutachten bei Prof. Dr. med. H., dem Direktor der Neurochirurgischem Universitätsklinik B., vom 3. September 2001 eingeholt. Nach Einholung von ergänzenden Stellungnahmen des Sachverständigen Prof. Dr. med. H. vom 22. November 2001 sowie vom 4. Februar 2002 erkannte die Beklagte mit Schriftsatz vom 18. März 2002 schließlich den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit an. Nach Annahme dieses Anerkenntnisses stellte der zuständige Kammervorsitzende mit Schlussverfügung vom 19. April 2002 fest, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei.

Seitens der Staatskasse wurde sodann nach Abrechnung des vom Kläger für das gemäß § 109 SGG eingeholte Gutachten eingezahlten Kostenvorschusses unter dem 6. Juni 2002 ein unverbrauchter Betrag in Höhe von 307,79 € an dessen Prozessbevollmächtigten zurückgezahlt.

Am 14. Mai 2004 stellte der Kläger schließlich den hier maßgeblichen Antrag, die von ihm für das von Prof. Dr. med. H. erstattete Gutachten verauslagten Kosten auf die Staatskasse zu übernehmen. Dies lehnte das Sozialgericht Kassel durch Beschluss vom 14. Juli 2005 mit der Begründung ab, dass der Kostenübernahmeanspruch im Hinblick auf die mehr als zwei Jahre nach Erledigung der Hauptsache erfolgte Antragstellung verwirkt sei.

Der Kläger hat gegen den ihm am 19. Juli 2005 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts am 19. August 2005 Beschwerde eingelegt. Das Sozialgericht hat der Beschwerde unter dem 30. August 2005 nicht abgeholfen und die Antragsache am 5. September 2005 dem Hessischen Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Der Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 14. Juli 2005 ist aufzuheben. Die Kosten des gemäß § 109 SGG erstatteten Gutachtens des Prof. Dr. med. H. vom 3. September 2001 sind bis zur Höhe des von dem Kläger eingezahlten Kostenvorschusses auf die Staatskasse zu übernehmen, weil das Gutachten einen wesentlichen Beitrag zur Sachaufklärung geleistet und zur Erledigung des Rechtsstreits maßgeblich beigetragen hat.

Die Beteiligten gehen zutreffenderweise davon aus, dass das Gericht über die endgültige Kostentragungspflicht hinsichtlich der vorgeschossenen Kosten für ein nach § 109 SGG eingeholtes Sachverständigengutachten auf Antrag nach billigem Ermessen zu entscheiden hat. Eine Übernahme der Kosten auf die Staatskasse kann dabei regelmäßig, nur dann in Betracht kommen, wenn das gemäß § 109 SGG erstattete Gutachten für die gerichtliche Entscheidung Bedeutung gewonnen und die Aufklärung des Sachverhalts objektiv gefördert hat. Dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind, wird auch vom Vertreter der Staatskasse nicht in Zweifel gezogen.

Allein der Umstand, dass der Antrag des Klägers auf Kostenübernahme erst mehr als zwei Jahre nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache gestellt worden ist, führt noch nicht zum Verlust des Anspruchs. Denn der Antrag auf Übernahme der Gutachtenskosten auf die Staatskasse ist nicht a...

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