Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Berufungseinlegung in elektronischer Form. Übermittlung eines Schriftstücks in einem nicht zulässigen Dateiformat ohne qualifizierte elektronische Signatur über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP). Schriftformerfordernis. Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr bei hessischen Gerichten und Staatsanwaltschaften
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Schriftstück, das dem Gericht in einem Dateiformat über EGVP übersandt wird, das nicht in der Anlage 2 zu § 2 ElRVerkV HE unter 3. zugelassen ist, gilt als dem Gericht nicht zugegangen und ist nicht zur Akte zu nehmen.
2. Die Schriftform des § 151 Abs 1 SGG ist nicht gewahrt durch ein über EGVP übersandtes Schreiben ohne qualifizierte elektronische Signatur.
Normenkette
SGG § 151 Abs. 1, § 65a Abs. 1 Sätze 1, 3, Abs. 2 S. 1; SignaturG § 2 Nr. 3; ElRVerkV HE § 2
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 18. August 2015 wird als unzulässig verworfen.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) im Zeitraum 1. Januar 2015 bis 30. Juni 2015 in Streit.
Die seit dem Jahr 2012 im Leistungsbezug nach dem SGB II stehende Klägerin hat am 30. Januar 2015 eine Klage beim Sozialgericht Kassel gegen einen vorläufigen Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 17. Dezember 2014 erhoben (Verfahren S 6 AS 75/15). In der mündlichen Verhandlung am 11. Februar 2015 hat das Gericht erklärt, dass das Verfahren S 6 AS 75/15 ausgesetzt werde, damit zunächst das Widerspruchsverfahren durchgeführt werden könne. Nach Erlass eines Änderungsbescheids vom 17. Februar 2015 und des Widerspruchsbescheids vom 2. April 2015 hat das Sozialgericht am 12. August 2015 einen Erörterungstermin im Verfahren S 6 AS 75/15 u.a. durchgeführt. Es hat darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Unter dem Datum 18. August 2015 hat das Sozialgericht die Klage durch Gerichtsbescheid abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, soweit die Klage sich gegen einen Sanktionsbescheid vom 14. Januar 2015 richte, sei sie schon unzulässig, da dieser mit Bescheid vom 14 Januar 2015 aufgehoben worden sei. Soweit sich die Klage gegen den vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 17. Dezember 2014 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 17. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. April 2015 richte, sei sie zulässig, aber unbegründet. Der angegriffene Bescheid sei rechtmäßig, der Klägerin stünden vorläufig keine höheren Leistungen zu.
Der Gerichtsbescheid ist der Klägerin am 20. August 2015 mit Postzustellungsurkunde (Gerichtsakte Blatt 207) zugestellt worden.
Bereits am 20. April 2015 ist im Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) zunächst beim Landgericht Darmstadt ein Schreiben der Klägerin vom 25. März 2015 betitelt "Zahlungsbefehl" eingegangen, in dem das Aktenzeichen S 6 AS 75/15 Erwähnung findet (Gerichtsakte Blatt 50 - 70). Am 27. April 2015 hat die Klägerin beim Hessischen Landessozialgericht Berufung u.a. gegen ein Urteil im Verfahren S 6 AS 75/15 erhoben. Ein solches Urteil existiert nicht. Auch dieser Schriftsatz ist per EGVP ohne qualifizierte elektronische Signatur bei Gericht eingegangen (Gerichtsakte Blatt 72 - 76). Am 6. Mai 2015 hat die Klägerin erneut Berufung gegen ein Urteil im Verfahren S 6 AS 75/15 eingelegt. Auch dieser Schriftsatz ist per EGVP ohne qualifizierte elektronische Signatur bei Gericht eingegangen (Gerichtsakte Blatt 78 - 85).
Am 26. August 2015, 7. September 2015 und 16. September 2015 gingen beim Hessischen Landessozialgericht weitere EGVP-Nachrichten der Klägerin ein, die, da sie nicht in einem zulässigen Dateiformat übermittelt wurden, nicht zur Akte genommen wurden (Gerichtsakte Blatt 153). Die Klägerin wurde jeweils mit Schreiben im Auftrag des Präsidenten vom 26. August 2015, 7. September 2015 und 17. September 2015 darauf hingewiesen, dass ihre Nachrichten gemäß § 65a Abs. 2 S. 3 SGG nicht wirksam zugegangen seien und nicht zur Akte genommen würden.
Nachdem der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 18. August 2015 der Klägerin am 20. August 2015 mit Postzustellungsurkunde (Gerichtsakte Blatt 207) zugestellt worden war, hat sie sich am 23. September 2015 an das "Landessozialgericht Eschwege" gewandt und darüber berichtet, dass am 12. August 2015 ein Verfahren vor dem Sozialgericht Kassel stattgefunden habe. Dieses eigenhändig unterschriebene Schreiben ist beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt am 23. September 2015 eingegangen (Gerichtsakte Blatt 156 - 159). Aus dem Schreiben ist nicht ersichtlich, welchem der bei dem Hessischen Landessozialgericht anhängigen Verfahren es zuzuordnen ist. Ein Aktenzeichen "SA225/15 (SG)" findet Erwäh...