Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenärztliche Vereinigung Hessen. eigenständige Klärung von Vorfragen mit Auswirkungen auf die vertragsärztliche Honorierung für mehrere Quartale. Verstoß einheitlicher Fallpunktzahlen für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und andere ausschließlich psychotherapeutisch tätige Ärzte und Psychologische Psychotherapeuten gegen das Gebot der Honorarverteilungsgerechtigkeit. Auslegung der Ausnahmeregelung nach Ziff 6.3 des Honorarverteilungsvertrages. Ausnahme vom Regelleistungsvolumen unter Berücksichtigung der Honorarverteilungsgerechtigkeit
Orientierungssatz
1. Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 3.2.2010 (vgl BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 31/08 R = BSGE 105, 236 = SozR 4-2500 § 85 Nr 53) darauf hingewiesen, dass es im Vertragsarztrecht zulässig ist, Vorfragen, welche Auswirkungen für mehrere Quartale haben, in einem Verwaltungs- und Gerichtsverfahren losgelöst von der Anfechtung eines konkreten Honorarbescheids zu klären. Bei einem Antrag, der sich gegen die Festlegung eines Regelleistungsvolumens richtet und dabei umfassend auf eine Besserstellung gerichtet ist, ist die Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit der Regelungen im Honorarverteilungsvertrag (HVV) im Rahmen inzidenter Normenprüfung zu prüfen (vgl BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 31/08 R aaO). Allerdings dürfen die Honorarbescheide nicht bestandskräftig geworden sein, weil sich dann der Anspruch auf eine Sonderregelung erledigt (vgl BSG vom 3.2.2010 - B 6 KA 31/08 R aaO).
2. Zwischen den Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und den anderen ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten bestehen solche Unterschiede, dass die einheitlichen Fallpunktzahlen für diese Gruppen in der Anlage zu Ziffer 6.3 HVV gegen das Gebot der Honorarverteilungsgerechtigkeit verstoßen.
3. Angesichts des ausdrücklich auf Sicherstellungsgründe beschränkten Wortlauts kann Ziffer 6.3 HVV nicht im Sinne einer allgemeinen Ausnahmeregelung für atypische Fälle verstanden werden. Es ist daher auch ausgeschlossen, das Fehlen einer generalklauselartigen Härtefallregelung im Wege ergänzender Auslegung in den HVV hineinzuinterpretieren (vgl LSG Darmstadt vom 17.3.2010 - L 4 KA 25/08 ua). Allerdings ist der HVV insoweit mit höherrangigem Recht unvereinbar, denn aus Art 12 Abs 1 iVm Art 3 Abs 1 GG folgt die Notwendigkeit, Ausnahmen vom Regelleistungsvolumen nicht allein im Fall einer Sicherstellungsproblematik, sondern auch in Härtefällen machen zu können. Es besteht daher eine Verpflichtung der Vertragsparteien des HVV, diesen um eine entsprechende Härteklausel zu ergänzen und noch rechtshängige Anträge auf Sonderregelungen auf der Grundlage dieser Neuregelung zu bescheiden (vgl LSG Darmstadt vom 17.3.2010 - L 4 KA 25/08 aaO).
Normenkette
SGB V § 85 Abs. 4, 4a; HVV Ziffer 6.3; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 13. Februar 2009 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte über den Antrag der Klägerin für die Quartale III/06, IV/06 sowie II/07 bis IV/07 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden hat.
Die Beklagte trägt die Kosten auch des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Sonderregelung zum Regelleistungsvolumen (RLV) ab dem Quartal 3/06.
Die Klägerin ist seit dem 1. Juli 2006 als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen. Sie gehört der Honorar(unter)gruppe B 2.25 an (Psychologische Psychotherapeuten/ psychotherapeutisch tätige Ärzte/ Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten) und ist abrechnungstechnisch der Fachgruppe VfG 84-93 zugeordnet.
Die Honorarentwicklung der Klägerin in den Quartalen III/06 bis IV/07 gestaltete sich wie folgt:
|
Quartal |
III/06 |
IV/06 |
I/07 |
II/07 |
III/07 |
IV/07 |
Honorarbescheid: |
16.3.2007 |
17.4.2007 |
17.7.2007 |
17.10.2007 |
17.1.2008 |
8.5.2008 |
Bruttohonorar PK + EK in Euro |
9.569,16 |
26.823,08 |
27.712,68 |
26.976,87 |
25.656,68 |
24.930,73 |
Fallzahl PK + EK |
42 |
48 |
53 |
48 |
53 |
56 |
Anzahl der Leistungen nach |
|
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|
Ziff. 35130 (Bericht Kurzzeittherapie, 710 Punkte |
10 |
9 |
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|
Ziff. 35131 (Bericht Langzeittherapie, 1.420 Punkte) |
12 |
9 |
1 |
5 |
8 |
1 |
Ziff. 35140 (Biographische Anamnese, 1.310 Punkte) |
32 |
13 |
7 |
5 |
8 |
6 |
Ziff. 35141 (Zuschlag, 475 Punkte) |
33 |
13 |
7 |
5 |
8 |
1 |
Ziff. 35150 (Probatorische Sitzung, 1.495 Punkte) |
109 |
57 |
23 |
35 |
22 |
16 |
Praxisbezogenes Regelleistungsvolumen |
46.195,8 |
52.862,4 |
58.247,0 |
52.531,2 |
57.600,0 |
61.616,8 |
Abgerechnetes Honorarvolumen in Punkten |
345.890,0 |
198.640,0 |
117.175,0 |
100.865,0 |
134.580,0 |
94.750,0 |
Überschreitung |
299.694,2 |
145.776,6 |
58.928,0 |
48.333,8 |
76,979,6 |
33.133,2 |
Am 28. Juli 2006 beantragte die Klägerin, ihre Besonderheiten bei der Zuerkennung des Regelleistungsvolumens zu berücksichtigen. Ihr würden pro Patient ca. 1.000 Punkte zugewiesen werden. Die von ihr übernommene Praxis habe zuvor Erwachs...