Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch des Bundes gegen eine Optionskommune bei rechtswidriger Mittelverwendung. Haushaltsmittelveruntreuung durch Mitarbeiter der Optionskommune. Rechtsgrundlose Vermögensverschiebung. Durchgriff. Verwaltungsvereinbarung. Zweckbestimmung. Zweckverfehlung. Zug-um-Zug-Verurteilung. Drittschadensliquidation. Prozesszinsen. Beiladung
Leitsatz (amtlich)
1. Für den Zeitraum vor Inkrafttreten von Art 91e GG können wegen der seinerzeit allein über Art 106 Abs 8 GG herzustellenden verfassungsrechtlichen Legitimation der unmittelbaren Finanzbeziehung zwischen Bund und Optionskommune nach § 6b SGB 2 aF keine Rückerstattungsansprüche des Bundes allein wegen einer zweckwidrigen Verwendung bestehen.
2. Der Rechtsgrund einer im sog HKR-Verfahren auf der Grundlage von § 6b Abs 2 S 1 SGB 2 iVm Art 106 Abs 8 GG erfolgten Zahlung entfällt nicht bei einer grob fahrlässig oder vorsätzlich rechtswidrigen Mittelverwendung. Eine Verschuldensabhängigkeit des Wegfalls eines Rechtsgrundes stünde bereits nach seiner Konstruktion in fundamentalem Widerspruch zum Bereicherungsrecht, das gerade verschuldensunabhängig auf die Rückabwicklung rechtsgrundloser Vermögensverschiebungen zielt.
Orientierungssatz
Zur Verurteilung des Bundes zur Rückerstattung von Erstattungszahlungen der Optionskommune nur Zug-um-Zug gegen Erfüllung von Gegenansprüchen aus demselben Rechtsverhältnis in entsprechender Anwendung von § 274 Abs 1 BGB.
Normenkette
SGB II a.F. §§ 6a, 6b Abs. 2 S. 1; GG Art. 104a Abs. 5 S. 1, Art. 106 Abs. 8; BGB §§ 242, 273, 274 Abs. 1, §§ 285, 291 Abs. 1; SGG § 75; ZPO § 322 Abs. 2
Nachgehend
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 469.647,58 € zu zahlen, Zug um Zug gegen Abtretung der gegen Frau C., geboren 1963 in C-Stadt, wohnhaft: C-Straße, D-Stadt, wegen der rechtswidrigen Verwendung der Mittel für SGB II-Leistungen im Zeitraum Juni 2009 bis März 2010 bestehenden Ansprüche und Herausgabe der notariellen Urkunde des Notars E. zur Urkundenrolle Nr. 123 für das Jahr 2010.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagte 80 Prozent, der Kläger 20 Prozent zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger, zugelassener kommunaler Träger nach §§ 6a, 6b Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II), beansprucht von der Beklagten die Rückerstattung eines Geldbetrags, der nach erfolgtem Mittelabruf für Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende durch den Kläger an die Beklagte erstattet wurde.
Der Kläger hat zur Wahrnehmung der Aufgaben gem. § 6a Abs. 6 SGB II i. V. m. Art. 106 Abs. 8 GG eine besondere Einrichtung errichtet und sich zur Teilnahme an der Wirkungsforschung gem. § 6c SGB II verpflichtet. Verwaltungsorganisatorisch nimmt der Kläger die Aufgaben durch den “Geschäftsbereich Arbeit" wahr.
Aufgrund der Verwaltungsvereinbarung zwischen den Beteiligten vom 19. April 2005 “über die vom Bund zu tragenden Aufwendungen des zugelassenen kommunalen Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende" war der Kläger zur Teilnahme am automatisierten Verfahren für das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen des Bundes (sog. HKR-Verfahren) berechtigt. Dort finden sich u.a. die nachfolgenden Regelungen:
Ҥ 1 Grundsatz
Der Landkreis ist verpflichtet
1. die Ordnungsmäßigkeit der Berechnung und Zahlung sowie den wirtschaftlichen und sparsamen Einsatz der vom Bund zu tragenden Aufwendungen sicherzustellen,
2. dem BMWA [seinerzeit: Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, Anm. d. Senats] auf Anforderung zeitnah Prüfungen zu ermöglichen, die eine Beurteilung ermöglichen, ob Aufwendungen nach Grund und Höhe vom Bund zu tragen sind.
Das BMWA verzichtet unter dieser Voraussetzung - unbeschadet der Prüfungsrechte des Bundesrechnungshofes - grundsätzlich auf eine Prüfung von Einzelnachweisen für die vom Bund zu tragenden Aufwendungen.
§ 2 Leistungen zum Lebensunterhalt
(1) Der Bund ermöglicht dem Landkreis vorbehaltlich der Einreichung der erforderlichen Formanträge die Teilnahme am automatisierten Verfahren für das Haushalts-, Kassen- und Rechnungswesen des Bundes (HKR-Verfahren). Durch dieses Verfahren ermächtigt der Bund den Landkreis, Bundesmittel auf der Grundlage von § 6b Abs. 2 Satz 1 SGB II und unter Beachtung dieser Verwaltungsvereinbarung sowie der Verfahrensrichtlinien des Bundesministeriums der Finanzen für Mittelverteiler/Titelverwalter zu bewirtschaften und beim Bund abzurufen. Das BMWA behält sich den Widerruf der Ermächtigung vor, soweit der Landkreis diese Vereinbarung oder die Verfahrensrichtlinien nicht beachtet. (…)
§ 3 Leistungen zur Eingliederung in Arbeit sowie Verwaltungskosten
(1) Das BMWA legt nach § 46 Abs. 2 SGB II im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen durch Rechtsverordnung die Maßstäbe für die regionale Verteilung der Mittel für
1. die Verwaltungskosten für die ...