Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsarzt mit Doppelzulassung. Abrechnungsbeschränkung im Bereich des Ordinationskomplexes. Verstoß gegen höherrangiges Recht
Orientierungssatz
Die Beschränkung von Ärzten mit Doppelzulassung auf die Abrechnung des Ordinationskomplexes auf nur einem Fachgebiet in Nr 6.1 iVm Nr 6.2 der Allgemeinen Bestimmungen des EBM 2005 (juris: EBM-Ä 2005) ist rechtswidrig, weil sie einen ungerechtfertigten Eingriff in die durch Art 12 Abs 1 S 2 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit darstellt und damit gegen höherrangiges Recht verstößt.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 25. April 2007 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten auch des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung zur Abrechnung des neurologischen Ordinationskomplexes nach Nrn. 16210 bis 16212 EBM 2005 für die Quartale ab I/06 hat.
Die Klägerin ist sowohl als Fachärztin für Augenheilkunde als auch als Fachärztin für Neurologie zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt zugelassen.
Mit Schreiben vom 27. März 2006, bei der Beklagten eingegangen am 3. April 2006, wandte sich die Klägerin gegen die Abrechnung des Quartals II/05. Im Rahmen der Besitzstandswahrung beantrage sie, wieder den neurologischen Ordinationskomplex abrechnen zu können. Sie sei bundesweit die einzige niedergelassene Neuroophthalmologin. Es entspreche nicht dem Grundgesetz, ihr die Möglichkeit der freien Berufswahl in dieser Form zu nehmen und ihre besondere Spezialisierung zu streichen. Ein Patient mit einer neuroophthalmologischen Erkrankung bedürfe einer das Vielfache betragenden Zeit für Diagnostik, Anamneseerhebung und eines wesentlich höheren Zeitaufwands für persönliche Gespräche.
Mit Bescheid vom 10. Juli 2006 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin, den sie als Antrag auf Genehmigung zur Abrechnung des neurologischen Ordinationskomplexes nach den Nrn. 16210 bis 16212 EBM 2005 wertete, ab. Zur Begründung führte sie aus, dass von der Klägerin nur der Ordinationskomplex des Kapitels 6 EBM 2005 berechnet werden könne, da sich nach den Allgemeinen Bestimmungen des EBM 2005 der anzusetzende Ordinationskomplex grundsätzlich nach dem Versorgungsauftrag (Identifikation über die Arztabrechnungsnummer) richte.
Hiergegen erhob die Klägerin am 11. August 2006 Widerspruch. Diesen begründete sie damit, dass sie, wie ihren bisherigen Abrechnungen zu entnehmen sei, zum Beispiel im Fall einer Bindehautentzündung nur die hierfür relevanten Ziffern der Augenheilkunde abrechne. Bei einem Bandscheibenvorfall im Lendenwirbelsäulenbereich rechne sie nur neurologische Ziffern ab. Bei einer länger bestehenden Kopfschmerzsymptomatik oder Amaurosis Fugax Attacken müssten beide Fachbereiche abgeklärt werden. Wenn die Beklagte sie unter Hinweis auf ihre Stempelnummer allein auf die augenärztlichen Ordinationsziffern verweise, werde sie offiziell zur Falschabrechnung aufgefordert. Sie beantrage daher, dass sie die indikationsabhängig tatsächlich erbrachten Leistungen und Beratungen mit den der Diagnose entsprechenden Ziffern zur Abrechnung bringen könne.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15. November 2006 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte hierzu aus, gemäß Nr. 6.1 der Allgemeinen Bestimmungen des EBM 2005 richte sich für einen Vertragsarzt, der seine Tätigkeit unter mehreren Gebietsbezeichnungen ausübe, der Ordinationskomplex nach dem Versorgungsauftrag (Identifikation über die Arztabrechnungsnummer), mit der er zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sei. Danach könne von der Klägerin nur der Ordinationskomplex des Kapitels 6 EBM 2005 berechnet werden. Dies gelte auch dann, wenn es sich um einen Behandlungsfall handele, bei dem neurologische Leistungen erbracht und abgerechnet würden. Im Hinblick auf die eindeutigen Bestimmungen des EBM 2005, die im Übrigen mit Artikel 12 des Grundgesetzes (GG) im Einklang stünden, könne von einer Aufforderung zur Falschabrechnung nicht die Rede sein. Soweit die Klägerin auf den Aspekt der Besitzstandwahrung hinweise, sei anzumerken, dass sie neurologische Leistungen weiterhin abrechnen könne. Soweit sie den neurologischen Ordinationskomplex abgerechnet habe, könne hieraus kein Vertrauen entstehen. Dieses könne nur solange bestehen, bis darauf hingewiesen werde, dass für die Zukunft die Verwaltungspraxis geändert werde, hier also allenfalls bis zur Einführung des EBM 2005 zum 1. April 2005.
Hiergegen hat die Klägerin am 5. Dezember 2006 Klage erhoben. Ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen hat sie geltend gemacht, dass der EBM nicht ihre besondere Facharztkombination berücksichtige und einer verfassungskonformen Auslegung bedürfe.
Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom 25. April 2007 verurteilt, der Klägerin ents...