Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer ohne Aufenthaltsrecht bzw bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Aufenthalt aus familiären Gründen. analoge Anwendung des § 28 Abs 1 S 1 Nr 3 AufenthG 2004 auf die Elternteile minderjähriger lediger Unionsbürger. Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. Leistungsausschluss. Überbrückungsleistungen. Härtefallleistungen. Unionsbürger. Zumutbarkeit einer Rückkehr ins Heimatland
Orientierungssatz
1. § 28 Abs 1 S 1 Nr 3 AufenthG 2004 ist auf die Elternteile minderjähriger lediger Unionsbürger nicht analog anzuwenden.
2. Eine besondere Härte im Sinne des § 23 Abs 3 S 6 SGB 12 wird nicht allein durch den Aufenthalt im Bundesgebiet bzw dadurch begründet, dass ein Unionsbürger die Vermutung des Freizügigkeitsrechts für sich in Anspruch nehmen kann und die Ausländerbehörde aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht ergriffen hat, sein Aufenthalt also faktisch geduldet wird.
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 20. September 2022 abgeändert und die Beigeladene verurteilt, der Klägerin Leistungen nach § 23 Abs. 3 Sätze 3, 5 SGB XII für Mai 2019 zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beigeladene hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für Mai 2019.
Die 1989 geborene Klägerin mit rumänischer Staatsangehörigkeit, die im April 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist (Bd. I Bl. 19 der Verwaltungsakte der Beigeladenen), lebte im hier streitgegenständlichen Zeitraum in Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Lebensgefährten D. C. und dem 2016 geborenen gemeinsamen Kind E. C., die ebenfalls rumänische Staatsangehörige sind. Der Lebensgefährte der Klägerin war zunächst ab 16. Februar 2016 als Reinigungskraft beschäftigt und ab 15. November 2018 als Auslieferungsfahrer.
Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 18. April 2019 (Bl. 101 der elektronischen Verwaltungsakte des Beklagten) bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin mit Bescheid vom 25. November 2019 (Bl. 153 der elektronischen Verwaltungsakte des Beklagten) abschließend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 1. Mai 2019 bis zum 31. Oktober 2019, wobei für den Monat Mai 2019 nur dem Lebensgefährten und dem gemeinsamen Kind Leistungen i.H.v. 273 Euro (Regelbedarf i.H.v. 273 Euro unter Berücksichtigung von Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit als Auslieferungsfahrer i.H.v. 300 Euro brutto und Kindergeld i.H.v. 194 Euro) bewilligt wurden, nicht jedoch der Klägerin. Für die Klägerin wurden Leistungen erst ab dem 1. Juni 2019 bis 31. Oktober 2019 bewilligt. Ab dem 17. Juni 2019 war die Klägerin bei der Firma M. Service GmbH als Reinigungskraft beschäftigt (monatlicher Lohn von 630,43 Euro brutto, Bd. II Bl. 15 der Verwaltungsakte der Beigeladenen).
Den am 16. Dezember 2019 eingelegten Widerspruch der Klägerin gegen ihre Leistungsablehnung für Mai 2019 (Bl. 157, 178 der elektronischen Verwaltungsakte des Beklagten) wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 2020 (Bl. 213 der elektronischen Verwaltungsakte) als unbegründet zurück. Die Klägerin sei nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ausgeschlossen, da sie ihr Aufenthaltsrecht nur zur Arbeitssuche herleiten könne. Im Monat Mai 2019 habe die Klägerin weder eine abhängige noch eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgeübt und sei auch nicht daueraufenthaltsberechtigt gewesen. Die Klägerin sei mit ihrem als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigten Lebenspartner D. C. nicht verheiratet, so dass sie auch kein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige von diesem herleiten könne.
Am 26. November 2020 (Bl. 1 der Gerichtsakte) hat die Klägerin beim Sozialgericht Frankfurt am Main dagegen Klage erhoben.
Die Klägerin war der Auffassung, dass ihr ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen zustehen würde, da sie das Sorgerecht für das gemeinsame Kind ausübe. Unter Beachtung der Wertungen des Art. 6 Grundgesetz (GG) und Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sei ihr eine Ausreise aus Deutschland und eine damit verbundene Trennung von ihrer Familie unzumutbar. Die Trennung minderjähriger Kinder von sorgeberechtigten Eltern sei mit Art. 6 GG und Art. 8 EMRK unvereinbar.
Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 25. November 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2020 zu verpflichten, ihr für Mai 2019 Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte war dem entgegengetreten und nahm zur Begründung Bezug auf die Ausführungen des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2020.
Mit Beschluss vom 11. Juli 2022 hat das Sozialgericht Frankfurt am Main die Stadt Frankfurt...