Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermittlung des Pflegegrades eines Pflegebedürftigen
Orientierungssatz
1. Pflegebedürftige Personen wird nach § 15 Abs. 1 SGB 11 entsprechend der Schwere der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit bzw. der Fähigkeiten ein Grad der Pflegebedürftigkeit zuerkannt.
2. Bei ermittelten Gesamtpunktzahlen ab 12,5 bis unter 27 wird der Pflegegrad 1 zuerkannt, bei Gesamtpunktzahlen ab 27 bis unter 47,5 der Pflegegrad 2.
3. Ergeben die durchgeführten ärztlichen Ermittlungen nur geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der fähigkeiten, so ist der Pflegegrad 1 zuzuerkennen.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 22. Juli 2022 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander Kosten auch des Berufungsverfahrens nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) nach einem höheren Pflegegrad als 1 für den Zeitraum ab 4. Januar 2021 bis 31. Juli 2022.
Die 1978 geborene, bei der Beklagten pflegepflichtversicherte Klägerin, war Jurastudentin und wohnt mit ihrer nunmehr 80-jährigen Mutter, die am 20. April 2022 bereits 78 Jahre alt war (vgl. Gerichtsakte [GA] Bl. 165) in einem Haushalt. Diese ist die alleinige Pflegeperson der Klägerin. Bei der Klägerin bestehen eine chronisch+-e Schmerzstörung mit körperlichen und psychischen Faktoren, ein Zustand nach Ski-Unfall 2003 mit Kreuzbandrekonstruktion des linken Knies und Folgeoperationen sowie ein Verschleiß beider Kniegelenke sowie weitere Erkrankungen. Nachdem zuvor ein GdB von 50 anerkannt war (Angabe der Klägerin im Erstantrag bei der Beklagten), wurde mit Wirkung ab 22. September 2022 bei der Klägerin ein GdB von 60 anerkannt wegen einer psychischen Störung mit funktionellen Organbeschwerden (somatoforme Schmerzstörung) sowie Funktionsstörungen der Hände, der Wirbelsäule (ausstrahlende Beschwerden, degenerative Wirbelsäulenveränderungen) und Funktionsstörungen beider Kniegelenke (Bescheid des Versorgungsamtes Darmstadt vom 9. Februar 2023, GA Bl. 450 f.).
Am 4. Januar 2021 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Leistungen der Pflegeversicherung. Der Medizinische Dienst Hessen (nachfolgend: MD Hessen) stellte im Rahmen der Erstbegutachtung nach Aktenlage vom 22. Januar 2021 21,25 gewichtete Punkte fest. Mit Bescheid vom 22. Januar 2021 wurde der Klägerin mitgeteilt, bei ihr lägen die Voraussetzungen für den Pflegegrad 1 vor. Hierbei wurden folgende pflegerelevanten Diagnosen und Einschränkungen berücksichtigt: „chronisches Schmerzsyndrom/Fibromyalgie, Migräne, seit dem Jahre 2012 starkes Lipödem beidseits, - Skoliose mit immer wiederkehrenden Nervenblockaden zwischen HWS 4 bis 6/7, fortgeschrittene Gonarthrose links mit Knorpelschaden Grad 3-4, Fortgeschrittene Gonarthrose rechts mit Knorpelschaden Grad 3, Z.n. Knie ASK [Arthroskopie] links mit VKB [vorderer Kreuzbandersatz]-Plastik und ACT [Knorpelzellenersatz] 2013, Z.n. Knie ASK rechts, Z.n. [gutartigem, vgl. GA Bl. 62] Tumor rechte Hand 2017/ zusätzlich 2009 eine Verletzung des Discus Triangularis, Rhizarthrose linke Hand ED 2020, Nierenzyste links, Verwachsungen im Bereich der Blase, Hypertonie Grad I, Endometriose“; GdB 50 laut Angabe.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und trug vor, der bei ihr bestehende Hilfebedarf sei nur unzureichend durch die Gutachten des MD Hessen berücksichtigt worden. U. a. legte sie eine persönliche Berechnung des Pflegegrads vom 3. März 2021 vor, wonach 73,75 gewichtete Punkte bestünden und damit Pflegegrad 4. Auf den weiteren Vortrag der Klägerin wird verwiesen.
Mit Gutachten des MD Hessen vom 17. März 2021 aufgrund Begutachtung am 16. März 2021 nach Aktenlage wurden erneut 21,25 gewichtete Punkte ermittelt.
|
Modul |
MD Hessen, Pflegefachkraft Herr H., 22. Januar 2021 |
MD Hessen, Pflegefachkraft Frau G., 17. März 2021 |
1 |
3 EP |
2,5 GP |
3 EP |
2,5 GP |
2 |
0 EP |
0 GP |
0 EP |
0 GP |
3 |
0 EP |
0 EP |
4 |
5 EP |
10 GP |
6 EP |
10 GP |
5 |
1 EP |
5 GP |
1 EP |
5 GP |
6 |
1 EP |
3,75 GP |
1 EP |
3,75 GP |
|
|
21,25 GP |
|
21,25 GP |
Auch in einem weiteren Gutachten des MD Hessen vom 23. Juni 2021 nach Aktenlage, in dem auf den Vortrag der Klägerin detailliert eingegangen wurde, wurden 21,25 gewichtete Punkte ermittelt. Hinsichtlich der Angstzustände der Klägerin bestünden keine Ängste im Sinne der Richtlinien. Die Berücksichtigung bestehender Zukunftsängste und Sorgen sei nicht möglich.
|
Modul |
MD Hessen, Pflegefachkraft Frau E., 23. Juni 2021 |
1 |
3 EP |
2,5 GP |
2 |
0 EP |
0 GP |
3 |
0 EP |
4 |
6 EP |
10 GP |
5 |
1 EP |
5 GP |
6 |
1 EP |
3,75 GP |
|
|
21,25 GP |
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 5. August 2021 den Widerspruch der Klägerin unter Verweis auf die Gutachten des MD Hessen vom 22. Januar 2021, 16. März 2021 und 23. Juni 2021 zurück.
Am 25. August 2021 hat die Klägerin beim Sozialgeri...