Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. örtliche Zuständigkeit. Hessen. für den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Leistungsberechtigten zuständiger Sozialhilfeträger. Aufenthalt in einem Frauenhaus. keine stationäre Einrichtung iS des § 46b Abs 3 S 2 SGB 12. Verstoß gegen eine aufenthaltsrechtliche Wohnsitzauflage
Leitsatz (amtlich)
1. Mit dem Einzug in ein Frauenhaus wird an dessen Ort ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet, wenn die äußeren Umstände zeigen, dass dort nicht nur vorübergehend verweilt wird. Das ist der Fall, wenn der Aufenthalt zukunftsoffen gestaltet ist.
2. Der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts steht ein Verstoß gegen eine aufenthaltsrechtliche Wohnsitzauflage nicht entgegen.
3. Ein Frauenhaus stellt keine stationäre Einrichtung im Sinne des Sozialhilferechts dar.
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 10. Februar 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander für beide Rechtszüge keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten (noch) über die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Oktober 2014 bis 29. Februar 2016.
Die 1939 geborene Klägerin ist bosnisch-herzegowinische Staatsangehörige und lebt seit Anfang der Neunzigerjahre in der Bundesrepublik Deutschland. Sie besitzt eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Die Wohnsitznahme ist ihr dabei nur im Landkreis Kassel gestattet, also im Zuständigkeitsbereich des beklagten örtlichen Sozialhilfeträgers. Dort wohnte die Klägerin zuletzt bei ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn. Aufgrund familiärer Spannungen und häuslicher Gewalt kehrte sie jedoch nach einem Krankenhausaufenthalt nicht in diese Wohnung zurück, sondern zog im August 2014 in das im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen liegende B-Stadt Frauenhaus ein.
Einen daraufhin von der Klägerin bei der Beigeladenen gestellten Antrag auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen lehnte diese mit Bescheid vom 16. September 2014 bestandskräftig ab. Zur Begründung wurde auf die örtliche Zuständigkeit des Beklagten verwiesen. Mit Bescheid vom 1. Oktober 2014 lehnte auch der sodann von der Klägerin angegangene Beklagte ihren Leistungsantrag ab. Die Voraussetzungen für eine entsprechende Leistungsgewährung durch den Beklagten seien nicht erfüllt, weil sich der Schwiegersohn der Klägerin verpflichtet habe, während des Aufenthalts der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland die Kosten ihres Lebensunterhalts zu tragen. Hiervon ausgenommen seien lediglich die Kosten der Krankenversorgung. Insofern bewilligte der Beklagte der Klägerin Krankenhilfe, weil sie im Frauenhaus B-Stadt keinen gewöhnlichen Aufenthalt habe und zur Wohnsitznahme im Landkreis Kassel verpflichtet sei.
Gegen den Bescheid des Beklagten vom 1. Oktober 2014 legte die Klägerin Widerspruch ein, wobei sie darauf verwies, dass der von ihr gestellte Antrag nach dem Meistbegünstigungsprinzip zumindest auch als Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zu werten sei. Diese seien zu bewilligen, da die Klägerin Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG sei. Sie habe einen anerkannten Flüchtlingsstatus nach § 23 Abs. 1 AufenthG. Die Verpflichtungserklärung ihres Schwiegersohns könne dem nicht entgegengehalten werden. Nach § 8 Abs. 1 AsylbLG seien Leistungen nur dann ausgeschlossen, wenn der erforderliche Lebensunterhalt gedeckt sei. Die Klägerin sei in einem Frauenhaus untergekommen. In die bisherige Wohnung könne sie nicht mehr zurück. Sie erhalte keine Leistungen mehr von ihrem Schwiegersohn und auch sonst nicht. Daher sei ihr Lebensunterhalt nicht mehr gedeckt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2014 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 1. Oktober 2014 als unbegründet zurück. Zwar könne ihr die Verpflichtungserklärung ihres Schwiegersohns wegen der tatsächlichen Mittellosigkeit nicht entgegengehalten werden, allerdings scheitere die Gewährung von Leistungen an der fehlenden örtlichen Zuständigkeit des Beklagten. Der Klägerin sei eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG erteilt worden. Bis zu ihrem Einzug in das im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen liegende Frauenhaus habe die Klägerin im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten ihren gewöhnlichen Aufenthalt gehabt, so dass der Beklagte grundsätzlich der zuständige Sozialleistungsträger für die Gewährung der beantragten Grundsicherungsleistungen sei. Bei Aufnahme in das Frauenhaus sei auch kein neuer gewöhnlicher Aufenthalt begründet worden. Gleichwohl gewähre der örtliche Sozialhilfeträger, in dessen Zuständigkeitsbereich das Frauenhaus liege, auf Antrag die Leistungen zur Sicherstellung des Lebensunterhalts, wobei anschließend eine gegenseitige Kostenerstattung zwischen den Sozialhilfeträ...