Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht. Soldatenversorgung. Wehrdienstbeschädigung. Radarstrahlung. Spätfolge. Haarzellleukämie. Katarakt. ursächlicher Zusammenhang. Bericht der Radarkommission. sozialgerichtliches Verfahren. Entscheidung des Berufungsgerichts über irrtümlich von der Vorinstanz ausgeklammerte Teile des Klagebegehrens. Meistbegünstigungsprinzip

 

Orientierungssatz

1. Es ist davon auszugehen, dass bei Erfüllen der von der Radarkommission formulierten Voraussetzungen vom Vorliegen der schädigenden Einwirkung einerseits und von der Kausalität dieser Einwirkung für die dann eingetretene Erkrankung ausgegangen werden muss (vgl insoweit auch für viele: LSG Celle-Bremen vom 24.9.2015 - L 10 VE 36/13; hier bejaht bei einer Haarzellleukämie eines ehemaligen Operators/Bedieners der Flugsicherungs-Radaranlage AN/CPN 4 in den 1960er Jahren).

2. Wurde ein Teil des Klagebegehrens aufgrund eines Rechtsirrtums der Vorinstanz, der auf der unzutreffenden Auslegung des geltend gemachten Klagebegehrens oder der irrtümlichen Annahme einer Beschränkung der Klage beruht, bewusst aus der abschließenden Entscheidung ausgeklammert, hat das Berufungsgericht über dieses Begehren im Berufungsverfahren zu entscheiden (vgl BSG vom 2.4.2014 - B 3 KR 3/14 B = SozR 4-1500 § 140 Nr 2).

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 30. Oktober 2014 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor zu 1 wie folgt neu gefasst wird:

Die beklagte Bundesrepublik Deutschland wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 24. Januar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2012 verurteilt festzustellen, dass die beim Kläger aufgetretene Gesundheitsstörung „Erkrankung des blutbildenden Systems (Haarzellleukämie)“ als Folge einer Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen ist.

Auf die Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 30. Oktober 2014 und der Bescheid des Hessischen Amtes für Versorgung vom 24. Januar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 2012 abgeändert und die beklagte Bundesrepublik Deutschland verurteilt, dem Kläger wegen der Gesundheitsstörung „Erkrankung des blutbildenden Systems (Haarzellleukämie)“ Versorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz i.V.m. Bundesversorgungsgesetz ab 1. März 2006 zu gewähren.

Die Beklagte trägt die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in der Berufungsinstanz.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer Erkrankung des blutbildenden Systems (Haarzellleukämie) als Folge einer Wehrdienstbeschädigung und um die Gewährung von Versorgungsleistungen nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der 1936 geborene Kläger war als Zeitsoldat der Bundeswehr vom 4. Mai 1959 bis zum 30. April 1963 und vom 1. Februar 1965 bis zum 31. Januar 1973 in verschiedenen Funktionen tätig. Vom 19. Februar 1960 bis 7. April 1960 besuchte er einen Lehrgang in C-Stadt und wurde dort an der Radaranlage Typ AN/CPN-4 als Operator für Flugsicherung ausgebildet. Vom 8. April 1960 bis 30. April 1963 und vom 1. Februar 1965 bis zum 31. Juli 1969 war der Kläger in D-Stadt zunächst bis zum 30. April 1963 als Radarflugmelder, bis zum 30. September 1966 als 1. Radarflugmelder und sodann bis zum 31. Juli 1969 als Radarflugmeldemeister an den Radargeräten Typ (T) 80 und T 13 tätig (Bl. 27 ff. der VA der Beklagten).

Im Februar 2006 wurde bei dem Kläger eine Haarzellleukämie diagnostiziert (Arztbrief Dr. E. vom 10. März 2006, Bl. 98 der VA der Beklagten), die nach einer Behandlung mit Cladribin zu einer Vollremission führte (Arztbrief Prof. Dr. F. vom 22. September 2011, Bl. 207 der Gerichtsakte S 7 VE 16/09). 1996 und 2002 erfolgten Kateraktoperationen an den Augen des Klägers nachdem 1995 bei diesem beginnender grauer Star festgestellt wurde (Arztbrief Dres. G. vom 4. Oktober 2011, Bl. 226 der Gerichtsakte S 7 VE 16/09).

Am 20. März 2006 beantragte der Kläger zunächst formlos die Anerkennung der Haarzellleukämie als Folge einer Wehrdienstbeschädigung auf Grundlage der ausgeführten Tätigkeiten mit einhergehender Belastung durch ionisierende Strahlen bei der Unfallkasse des Bundes, die den Antrag an das Hessische Amt für Versorgung und Soziales in Wiesbaden weiterleitete. Im Rahmen seines förmlichen Antrages auf Beschädigtenversorgung vom 18. April 2006 benannte der Kläger als weitere Gesundheitsstörung, die als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen sei, ein Katarakt an beiden Augen. Zur Bestätigung seines Vorbringens legte der Kläger u.a. eine Dienstbescheinigung vom 11. April 1963, eine Mitteilung über die Dauer des Dienstverhältnisses der Luftwaffendivision vom 31. Januar 1973, eine Kopie seines Wehrpasses und einen Arztbrief von Dr. E., Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und internistische Onkologie, vom 10. März 2006 vor. Mit Verfügung vom 25. April 2006 ...

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