Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung und -berechnung. Bezug von Ausbildungsgeld oder Berufsausbildungsbeihilfe nach dem SGB 3. kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit. kein Abzug des Grundfreibetrags oder des Erwerbstätigenfreibetrags

 

Leitsatz (amtlich)

Ausbildungsgeld ist im Rahmen der Bedarfsberechnung in vollem Umfang als Einkommen im Sinne des § 11 Abs 1 S 1 SGB II zu berücksichtigen. Von dem als Einkommen zu berücksichtigenden Ausbildungsgeld ist weder eine Erwerbstätigenpauschale nach § 11b Abs 2 S 1 SGB II noch ein Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs 3 SGB II in Abzug zu bringen (vgl auch Parallelentscheidung des LSG Darmstadt vom 9.3.2016 - L 6 AS 379/15).

 

Normenkette

SGB II § 7 Abs. 5-6, § 11 Abs. 1 S. 1, § 11b Abs. 2 S. 1, Abs. 3, § 27 Abs. 3; SGB III §§ 56, 106 Abs. 1 Nr. 1, § 122; GG Art. 3 Abs. 3 S. 1

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 27. August 2012 geändert. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander für beide Instanzen keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Kläger für die Zeit vom 1. November 2011 bis zum 31. Januar 2012 zustehenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Umstritten ist dabei insbesondere (noch), ob und gegebenenfalls in welchem Umfang das von der Bundesagentur für Arbeit gewährte Ausbildungsgeld des Klägers als anrechenbares Einkommen zu berücksichtigen ist.

Der 1993 geborene Kläger steht (mit seinen Eltern und seinem Bruder) seit mehreren Jahren im SGB II-Leistungsbezug. Er hat eine Lernbehinderung und besuchte in der Zeit vom 1. August 2007 bis 31. Juli 2011 die C-Förderschule in A-Stadt. Ab 1. September 2011 nahm er an einer Berufsvorbereitungsmaßnahme beim Maßnahmenträger D. e.V. in A-Stadt teil. Die Bundesagentur für Arbeit bewilligte dem Kläger insoweit durch Bescheid vom 5. September 2011 (BI. 23 Gerichtsakten) für die Zeit vom 1. September 2011 bis zum 29. Juni 2012 die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß §§ 97 ff. Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - in der bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung vom 19. Juni 2001 (SGB III a.F.) in Verbindung mit § 33 und §§ 44 ff. Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) in Gestalt eines Ausbildungsgeldes in Höhe von 216,00 € monatlich und Reisekosten für Pendelfahrten in Höhe von 44,70 € monatlich.

Mit dem hier maßgeblichen Änderungsbescheid vom 25. Oktober 2011 (Bl. 9 Gerichtsakten) nahm der Beklagte hinsichtlich des Zeitraums vom 1. November 2011 bis zum 31. Januar 2012 eine Neuberechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung der als "Berufsausbildungsbeihilfe" bezeichneten Sozialleistung als Einkommen des Klägers vor. Dem Berechnungsbogen zum Bescheid kann entnommen werden, dass der Beklagte die Leistung in Höhe von monatlich 216,00 € um die Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 € bereinigte und auf dieser Grundlage unter Berücksichtigung des Kindergeldes in Höhe von monatlich 184,00 € ein zu berücksichtigendes Gesamteinkommen des Klägers in Höhe von 370,00 € ermittelte. Den gegen die Anrechnung des Ausbildungsgeldes erhobenen Widerspruch des Klägers wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 2011 (Bl. 18 Gerichtsakten) mit der Begründung zurück, dass das Ausbildungsgeld mangels eines gesetzlichen Ausnahmetatbestands zu den nach § 11 SGB II als Einkommen zu berücksichtigenden Geldzuflüssen gehöre.

Der Kläger hat daraufhin am 3. Januar 2012 Klage bei dem Sozialgericht Kassel erhoben. Im Verlaufe des Klageverfahrens hat der Beklagte durch Änderungsbescheid vom 1. Februar 2012 (Bl. 29 Gerichtsakten) dem Kläger für die Zeit vom 1. November 2011 bis zum 31. Januar 2012 einen Mehrbedarf für behinderte Menschen in Höhe von 102,00 € bzw. 104,65 € monatlich bewilligt.

Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass es sich bei dem gewährten Ausbildungsgeld um eine zweckgebundene Leistung handele, welche nicht als Einkommen angerechnet werden dürfe.

Der Beklagte hat demgegenüber die Auffassung vertreten, dass es sich beim Ausbildungsgeld nicht um eine zweckbestimmte Einnahme, sondern um eine mit der Berufsausbildungsbeihilfe vergleichbare Leistung handele. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb das Ausbildungsgeld anders zu behandeln sein solle als Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz oder die Berufsausbildungsbeihilfe. Das Ausbildungsgeld diene der Sicherstellung des Lebensunterhalts und damit keinem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II. Auch seien keine Erwerbstätigenfreibeträge vom Ausbildungsgeld in Abzug zu bringen. Die Erwerbstätigenfreibeträge sollten zur Aufnahme von Arbeit motivieren. Die A...

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