Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf. unabweisbarer laufender besonderer Bedarf. Fahrkosten zu ärztlichen und psychotherapeutischen Behandlungen. Ansparmöglichkeit aus dem Regelbedarf. keine Überschreitung des Regelbedarfsanteils für Verkehr. Heranziehung der Kilometerpauschale nach § 5 Abs 1 BRKG 2005
Orientierungssatz
1. Ein Mehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB 2 für Fahrkosten zur ärztlichen und psychotherapeutischen Behandlung kann nicht bewilligt werden, wenn die berücksichtigungsfähigen Aufwendungen durchgängig den im Regelbedarf berücksichtigten Anteil für Verkehr (§ 5 Abs 1 RBEG Abteilung 7) unterschreiten.
2. Für die Berechnung der Höhe der berücksichtigungsfähigen Fahrkosten ist die Kilometerpauschale in Höhe von 20 Cent gemäß § 5 Abs 1 BRKG 2005 heranzuziehen (vgl BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 30/13 R = BSGE 116, 86 = SozR 4-4200 § 21 Nr 18).
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 8. August 2017 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren Kosten nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II), konkret über die Berücksichtigung von Fahrtkosten im Zusammenhang mit ärztlichen und psychotherapeutischen Behandlungen im Zeitraum von April bis Juli 2015 als Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II.
Der im Jahre 1998 geborene Kläger bezieht seit längerem Arbeitslosengeld II von dem Beklagten. Konkret bewilligte ihm dieser, soweit für den hiesigen Rechtsstreit von Bedeutung, auf einen im Januar 2015 gestellten Fortzahlungsantrag mit Bescheid vom 28. Januar 2015 zunächst vorläufig und sodann mit Bescheid vom 9. Februar 2015 endgültig entsprechende Leistungen für den Zeitraum vom 1. Februar 2015 bis 31. Juli 2015 in Höhe von 776,88 Euro monatlich. Dabei berücksichtigte er den Regelbedarf in Höhe von 399,00 Euro sowie Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von 377,88 Euro. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bescheid vom 9. Februar 2015 (Leistungsakte des Beklagten - im Folgenden: LA - Bl. 541 ff.) verwiesen.
Während dieses Bewilligungszeitraums stellte der Kläger, der schon damals in A-Stadt wohnte, mit Eingang beim Beklagten am 11. Juni 2015 einen Antrag auf Übernahme von Fahrtkosten zu ärztlichen und psychotherapeutischen Behandlungen. Dazu legte er eine Aufstellung über Fahrten zu Hr. Dr. C., C-Stadt, Fr. Dipl.-Psych. D., C-Stadt, Hr. Dr. E., E-Stadt, und zum Universitätsklinikum Marburg im Zeitraum vom 1. April 2015 bis zum 12. Juni 2015 vor. Wegen der Einzelheiten wird auf LA Bl. 571 ff. verwiesen.
In der Folgezeit bewilligte der Beklagte zunächst auf Weiterbewilligungsantrag vom 1. Juli 2015 durch Bescheid vom 24. Juli 2015 Leistungen für die Zeit vom 1. August 2015 bis 31. Juli 2016 in unveränderter Höhe. Gegen diesen Bescheid wurde Widerspruch nicht eingelegt.
Sodann lehnte der Beklagte den wegen der Fahrtkosten gestellten Antrag mit Bescheid vom 29. Juli 2015 ab. Die beantragte Sonderleistung sei durch den gewährten Regelbedarf abgedeckt und stelle keinen unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts dar. Für zusätzlich entstehende Fahrtkosten solle sich der Kläger an seine Krankenkasse wenden.
Den Widerspruch des Klägers gegen diesen Bescheid wies der Beklagte mit am gleichen Tag abgesandten Widerspruchsbescheid vom 20. August 2015 zurück.
Der Kläger hat daraufhin am 21. September 2015 Klage zum Sozialgericht Kassel erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, er sei seit Februar 2015 arbeitsunfähig erkrankt und es seien deswegen regelmäßig Fahrten nach Marburg und C-Stadt erforderlich gewesen. Seine Krankenkasse habe mit Bescheid vom 8. August 2015 die Kostenübernahme für Fahrten zur ambulanten Behandlung abgelehnt. Dagegen sei kein Widerspruch eingelegt worden. Er müsse seinen behandelnden Arzt Dr. C. einmal monatlich in C-Stadt aufsuchen. Frau D. müsse er auch regelmäßig aufsuchen, was im Zusammenhang mit der Klinik in Marburg stattfinde, wo ebenfalls mehrfach monatlich Termine anfielen. Hierzu hat er eine zeitlich ergänzte Übersicht der seit April 2015 durchgeführten Fahrten zu Ärzten sowie zum Universitätsklinikum Marburg vorgelegt; insoweit wird auf Bl. 30 ff. der Gerichtsakte - im Folgenden: GA - verwiesen.
Die hiermit verbundenen Aufwendungen führten zu einer übermäßigen Belastung, die nicht vom Regelbedarf gedeckt sei. Die Krankenkasse habe diese Kosten nach den Regelungen des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) nicht zu übernehmen. Hierfür seien vielmehr die Grundsicherungsträger zuständig (Hinweis auf: BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 - B 4 AS 6/13 R -, BSGE 115, 77). Aus dem Regelbedarf könnten die Aufwendungen nicht gedeckt werden: Hier seien nur 22,78 Euro monatlich für Verk...