Entscheidungsstichwort (Thema)
Wegfall des Arbeitslosengeld II. wiederholte Pflichtverletzung. Sanktion wegen Nichterfüllung von Pflichten aus dem Eingliederungsvertrag. Nachweis von Bewerbungsbemühung. Unwirksamkeit der Klausel mangels Regelung einer Übernahme der Bewerbungskosten. keine Nichtigkeit der Eingliederungsvereinbarung. Anwendung der Inhaltskontrolle gem § 307 BGB. unwirksame bzw rechtswidrige Klausel als wichtiger Grund iS § 31 Abs 1 S 2 SGB 2
Orientierungssatz
1. Die Wirksamkeit einer Eingliederungsvereinbarung gem § 15 SGB 2 als sog hinkender Austauschvertrag ist ausschließlich nach den §§ 53 ff SGB 10 zu bestimmen. Nicht jede rechtswidrige Regelung einer Eingliederungsvereinbarung führt zur Unwirksamkeit. Eine fehlende Bewerbungskostenregelung führt aufgrund einer Gesamtbetrachtung der Eingliederungsvereinbarung allein nicht dazu, dass die auferlegten Pflichten zu Eigen- bzw Bewerbungsbemühungen insgesamt als "unzulässige Gegenleistung" iS des § 55 Abs 1 S 2 SGB 10 zu betrachten sind.
2. Die Klausel der Eingliederungsvereinbarung über nachzuweisende Bewerbungsbemühungen unterliegt jedoch der Inhaltskontrolle am Maßstab von § 61 S 2 SGB 10 iVm § 307 BGB. Nach diesem Maßstab ist die Klausel unwirksam, da es dem gesetzlichen Leitbild des § 15 SGB 2 widerspricht, Pflichten des Leistungsberechtigten zur Eingliederung in Arbeit ohne gleichzeitig korrespondierende Unterstützungsleistungen des Grundsicherungsträgers zu regeln.
3. Die Unwirksamkeit bzw Rechtswidrigkeit der auferlegten Pflicht zu Bewerbungsbemühungen aus der Eingliederungsvereinbarung stellt einen wichtigen Grund iS des § 31 Abs 1 S 2 SGB 2 dar.
Normenkette
SGB II § 15 Abs. 1 S. 2 Nrn. 1-2, §§ 16, 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2, §§ 31a, 31b, 55 Abs. 1 S. 2, § 151 Abs. 1 S. 6; SGB X § 61 S. 2, §§ 40, 48 Abs. 1 S. 1, § 53 Abs. 1 S. 2, §§ 55, 58 Abs. 1, 2 Nrn. 1, 4, Abs. 3; BGB § 307 Abs. 1, § 305 Abs. 1 S. 1, § 306 Abs. 1; SGB III § 45
Nachgehend
BSG (Vergleich vom 23.06.2016; Aktenzeichen B 14 AS 26/15 R) |
Tenor
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. Januar 2014 wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger auch seine notwendigen außergerichtlichen Kosten der Berufung zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit des Absenkungsbescheides vom 25. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. September 2012 mit dem für den Zeitraum 1. September 2012 bis 30. November 2012 ein vollständiger Wegfall des Arbeitslosengelds II festgestellt wurde.
Der 1977 geborene Kläger, unterzeichnete unter dem Datum vom 20. Februar 2012 die nachfolgend wiedergegebene Eingliederungsvereinbarung. Bereits zuvor stand er im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch 2 Grundsicherung für Arbeitsuchende 2 (SGB II) und hatte auch zuvor schon Eingliederungsvereinbarungen abgeschlossen.
“1. Ihr Träger für Grundsicherung Jobcenter Stadt Kassel unterstützt Sie mit folgenden Leistungen zur Eingliederung
Er unterbreitet Ihnen Vermittlungsvorschläge, soweit geeignete Stellenangebote vorliegen. Er nimmt Ihr Bewerberprofil in www.arbeitsagentur.de auf.
Er bietet Ihnen folgende Leistung/en zur Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung an, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind und zuvor eine gesonderte Antragstellung erfolgt: Mobilitätshilfen, weitere Leistungen, ESG.
Er fördert eine Arbeitsaufnahme durch die Gewährung eines Eingliederungszuschusses (§ 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. §§ 217ff. SGB III; § 421 f, o, p SGB III) an den Arbeitgeber, bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen und vorheriger Antragstellung durch den Arbeitgeber.
Kommt der zuständige Träger seinen in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten nicht nach, ist ihm innerhalb einer Frist von 4 Wochen das Recht der Nacherfüllung einzuräumen. Ist eine Nachbesserung tatsächlich nicht möglich, muss er folgende Ersatzmaßnahme anbieten:
Einleitung bundesweiter Vermittlungsbemühungen
2. Bemühungen von Herrn A. zur Eingliederung in Arbeit
Sie unternehmen von 20.02.12 bis 19.08.12 mindestens 10 Bewerbungsbemühungen pro Monat um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Die Eigenbemühungen bei der Arbeitsplatzsuche sind bis zum 19ten eines jeden Monats, durch Kopien der schriftlichen Bewerbungen und/oder durch Antwortschreiben der Arbeitgeber, unaufgefordert vorzulegen. Bei der Stellensuche sind auch befristete Stellenangebote und Stellenangebote von Zeitarbeitsfirmen einzubeziehen.
Sie bewerben sich zeitnah, d.h. spätestens am dritten Tage nach Erhalt des Stellenangebotes, auf Vermittlungsvorschläge, die Sie von der Agentur für Arbeit erhalten haben.„
Auf Seite 2 und 3 der Eingliederungsvereinbarungen finden sich Hinweise und Pflichten bei Ortsabwesenheit sowie eine ausführliche Rechtsfolgenbelehrung. Dort wurde u.a. unter konkreter Bezugnahme auf die vorherige Leistungsabsenkung darauf hingewiesen, dass ein weiterer wiederholter Pflichtenverstoß...