Entscheidungsstichwort (Thema)

Honorarverteilungsvertrag. Arztgruppenspezifisches Regelleistungsvolumen. Atypischer Fall. Allgemeine Härtefallregelung. Sicherstellung der Versorgung. Beurteilungsspielraum. Punktwert. Spezialisierung. Fachgruppentypische Leistungen. Honorarverteilungsgerechtigkeit. Beiladung

 

Leitsatz (redaktionell)

Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG erfordert eine Ausnahme vom Regelleistungsvolumen, wenn sich innerhalb einer Arztgruppe bereits vor Inkrafttreten der Regelungen über die Regelleistungsvolumina Ärzte mit Leistungen in zulässiger Weise spezialisiert hatten und dieses spezifische Leistungsangebot durch das Regelleistungsvolumen der Fachgruppe, der sie zugeordnet sind, nicht leistungsangemessen abgedeckt wird.

 

Orientierungssatz

Parallelentscheidung zum Urteil des LSG Darmstadt vom 17.3.2010 - L 4 KA 25/08, das vollständig dokumentiert ist.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1; SGB V § 85 Abs. 4, §§ 87b, 89 Abs. 1 S. 1, Abs. 1a S. 1

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 29.06.2011; Aktenzeichen B 6 KA 20/10 R)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 10. Dezember 2008 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Zuerkennung einer Sonderregelung im Rahmen des Regelleistungsvolumens (RLV) für die Quartale IV/06 und I/07.

Der Kläger ist seit dem 9. Februar 1998 als Facharzt für Anästhesiologie zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in F zugelassen. Er beantragte am 4. Juni 2007 eine Sonderregelung für das Regelleistungsvolumen und trug vor, er arbeite im Wesentlichen für den Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Herrn Dr. Dr. S der im weit überwiegenden Maße umfangreiche und lang andauernde Operationen durchführe. Es verstoße gegen den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit, dass bei der Bildung des Regelleistungsvolumens nur auf eine fachgruppenspezifische Fallpunktzahl abgestellt werde und nicht auf eine arztindividuelle. Das Regelleistungsvolumen liege bei 1.586 und 1.616 Punkten pro Fall. Demgegenüber habe er bei gleichbleibenden 110 Patienten pro Quartal einen Bedarf von 9.900 Punkten pro Fall. Dies führe dazu, dass er bei einer durchschnittlichen Fallzahl der Fachgruppe von 240 bei 91 behandelten Patienten nur ein Regelleistungsvolumen von 144.653,6 Punkten im Quartal I/06 erhalten habe.

Die Honorarfestsetzungen der Beklagten für die Quartale IV/06 bis I/07, gegen die der Kläger jeweils Widerspruch einlegte, ergaben folgende Werte:

Im Quartal IV/06 betrug das abgerechnete Honorarvolumen 1.172.985,0 Punkte. Die Beklagte berücksichtigte für die Berechnung des Regeleistungsvolumens 112 Fälle mit einem Fallwert von 1.617,5 Punkten, woraus sich ein praxisbezogenes RLV von 181.160,0 Punkten ergab. Die Überschreitung des RLV lag damit bei 991.825,0 Punkten. Das Bruttohonorar setzte die Beklagte auf 19.009,89 Euro fest (Bescheid vom 17. April 2007), wovon 5.468,79 Euro als Auffüllbetrag nach Ziffer 7.5 HVV gezahlt wurden.

Im Quartal I/07 betrug das abgerechnete Honorarvolumen 1.118.815,0 Punkte. Die Beklagte berücksichtigte für die Berechnung des Regeleistungsvolumens 106 Fälle (durchschnittliche Fallzahl der Fachgruppe: 337) mit einem Fallwert von 1.615,3 Punkten, woraus sich ein praxisbezogenes RLV von 171.221,8 Punkten ergab. Die Überschreitung des RLV lag damit bei 947.593,2 Punkten. Das Bruttohonorar setzte die Beklagte auf 14.237,51 Euro fest (Bescheid vom 8. März 2008), wovon 5.524,57 Euro als Auffüllbetrag nach Ziffer 7.5 HVV gezahlt wurden.

Die Beklagte lehnte den Antrag auf Zuerkennung einer Sonderregelung durch Bescheid vom 17. August 2007 ab. Für die Quartale I bis III/06 sei der Antrag unzulässig, da dem Kläger für diese Quartale der Honorarbescheid bereits zugegangen sei und Anträge nur Wirkung für die Zukunft entfalten könnten. Für die Quartale IV/06 und I/07 könne dem Antrag nicht entsprochen werden. Nach dem Honorarverteilungsvertrag sehe das Regelleistungsvolumen für die Facharztgruppe der Anästhesisten folgende Fallpunktzahlen vor:

Primärkassen

Ersatzkassen

Altersgruppe

 0 - 5

 6 - 59

 -≫60

 0 - 5

 6 - 59

 -≫60

RLV-Fallpunktzahlen

 1.616

 1.586

 1.548

 2.412

 1.600

 1.770

Bei Überschreitung des Regelleistungsvolumens erfolge eine Vergütung noch zum unteren Punktwert. Eine Sonderregelung könne nur aus Gründen einer Sicherstellungsproblematik gewährt werden. Maßgeblich hierfür sei, ob im Umkreis von 50 km zur Praxis des Klägers ausreichend Ärzte zur Verfügung stünden, die die streitgegenständlichen Leistungen erbrächten und abrechneten. Allein in F gäbe es aus der Fachgruppe des Klägers genügend Ärzte, die die von ihm erbrachten anästhesiologischen Leistungen erbrächten und abrechneten. Eine Analyse der Honorardaten habe zwar ergeben, dass bei dem Kläger in einigen Leistungsbereichen zum Teil hohe Überschreitungen auftreten. Es handele sich h...

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