Nachgehend

BSG (Beschluss vom 21.08.2023; Aktenzeichen B 4 AS 169/23 BH)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 13. Juli 2022 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Aufforderung, einen neuen Personalausweis zu beantragen und vorzulegen.

Der Kläger ist ohne festen Wohnsitz und erhält von dem Beklagten laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Mit Schreiben vom 23. Mai 2022 forderte der Beklagte den Kläger auf, einen neuen Personalausweis zu beantragen und vorzulegen sowie mitzuteilen, warum er die Anlage KDU (Kosten der Unterkunft) abgegeben habe. Außerdem wies der Beklagte darauf hin, dass der aktuelle Bewilligungszeitraum zum 31. Mai 2022 ende, sodass für den Zeitraum ab 1. Juni 2022 ein Weiterbewilligungsantrag einzureichen sei. Abschließend wies der Beklagte auf die §§ 60, 66, 67 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hin. Hiergegen legte der Kläger unter dem 25. Mai 2022 Widerspruch ein. Diesen verwarf der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 2022 als unzulässig, weil das Schreiben vom 23. Mai 2022 kein Verwaltungsakt sei.

Am 20. Juni 2022 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Wiesbaden erhoben.

Das Sozialgericht hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 13. Juli 2022 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Klageschrift sei so auszulegen, dass er die Aufhebung des Schreibens vom 23. Mai 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 2022 begehre. Im Übrigen sei der Klageschrift des Klägers kein hinreichend klares Begehren zu entnehmen. Die Klage habe keinen Erfolg, weil das Schreiben vom 23. Mai 2022 kein Verwaltungsakt sei.

Am 10. August 2022 hat der Kläger Berufung beim Sozialgericht Wiesbaden eingelegt.

Zur Begründung trägt er vor, der im Februar 2022 abgelaufene Reisepass sei seine einzige Identität in einem Alptraum. Einen Personalausweis könne er ohne Klärung zum Wohnsitzes nicht beantragen. Er habe auch keinen Vermögensvorteil, weil der „Reisepass“ im Eigentum der BRD bleibe. Jener sei ein elektronisches Gerät, das dem Beklagten dazu diene, ihn zu überwachen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 13. Juli 2022 abzuändern und das Schreiben vom 23. Mai 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juni 2022 insoweit aufzuheben, als er dort zur Beantragung und Vorlage eines neuen Personalausweises aufgefordert wird.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Beschluss vom 23. Dezember 2022 hat der Senat nach Anhörung der Beteiligten die Berufung dem Berichterstatter übertragen.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung einen Ablehnungsantrag gegen „alle Richter“ gestellt und zur Begründung ein Schreiben von ihm an die Techniker Krankenkasse vom 6. März 2014 und eine ärztliche Bescheinigung vom 17. März 2023 überreicht. Während der mündlichen Verhandlung hat er den Sitzungssaal verlassen. Der Senat hat in der geschäftsplanmäßigen Besetzung den Ablehnungsantrag als unzulässig verworfen und anschließend über die Berufung entschieden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Beklagtenakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

1. Der Senat konnte in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung unter Mitwirkung der abgelehnten Richter entscheiden, obwohl der Kläger in der mündlichen Verhandlung einen Ablehnungsantrag (§ 60 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -, § 42 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO -) gestellt hat. Denn dieser Ablehnungsantrag war offensichtlich unzulässig. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt und mit Art. 101 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vereinbar, dass über offensichtlich unzulässige oder rechtsmissbräuchliche Ablehnungsanträge, bei denen sich jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens, jede Auseinandersetzung mit der Begründung des Ablehnungsgesuches und jede Bewertung oder Erklärung des Verhaltens des abgelehnten Richters erübrigt, unter Mitwirkung des Abgelehnten entschieden werden kann (siehe z. B. BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2021, 1 BvR 526/19, juris, Rn. 24).

So liegen die Dinge hier. Zum einen lehnt der Kläger „alle Richter“ ab, ohne darüberhinausgehende Befangenheitsgründe zu nennen, worin bereits eine offensichtlich unzulässige Pauschablehnung liegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2021, 1 BvR 526/19, juris, Rn. 24). Zum anderen ist das Gesuch bereits deshalb offensichtlich unzulässig, weil das zur Begründung vorgelegte Schreiben des Klägers vom 6. März 2014 an die Techniker Krankenkasse keinen Bezug zum vorliegenden Verfahren und erst Recht nicht zum Verhalten der abgelehnten Richter hat und auch die ärztliche Bescheinigung von Dr. H. vom 17. März 2023 keinen Bezug zu dem Ablehnungsantrag erkennen läss...

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