Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenversicherung. Antragspflichtversicherung. unabhängig durchgeführte und durch ein Stipendium finanzierte Forschungsprojekte. selbständige Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
Auch unabhängig durchgeführte und durch ein Stipendium finanzierte Forschungsprojekte eines Privatdozenten stellen eine selbständige Tätigkeit im Sinne des § 28a SGB 3 dar.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 22. März 2016 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Antragspflichtversicherung des Klägers in der Arbeitslosenversicherung ab dem 1. Juni 2014.
Der 1976 geborene Kläger war zuletzt vom 15. Mai 2007 bis 14. Mai 2014 bei der D.-Universität A-Stadt abhängig beschäftigt. In dieser Zeit wurde er habilitiert. Für seine weitere Forschungstätigkeit als Privatdozent wurde ihm von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ein Heisenbergstipendium für die Dauer von (zunächst) 36 Monaten bewilligt. Dieses diene dazu, Wissenschaftlern, die bereits die Voraussetzungen für die Berufung auf eine Dauer-Professur erfüllen, zu ermöglichen, sich auf eine wissenschaftliche Leitungsposition vorzubereiten und in dieser Zeit weiterführende Forschungsthemen zu bearbeiten. Der Kläger erhalte monatlich einen Zuschuss von 4.553,00 € (einschließlich eines Zuschlags von 500,00 € monatlich für die Versteuerung der Einnahmen als Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit). Für die Publikation der wissenschaftlichen Ergebnisse des Stipendiums erhalte er zusätzlich 2.250,00 €. Der Förderungszeitraum beginne am 1. Juni 2014.
Daraufhin nahm der Kläger am 1. Juni 2014 die Arbeit an zwei Forschungsprojekten auf. Diese bestehen insbesondere aus Recherchetätigkeiten zu den Projekten "Frühe Monumente des Mittelelbe-Saale-Gebietes in ihrem kulturellen und landschaftlichen Kontext - Studien zur Baalberger Kultur" und "Der Vulkanausbruch von Santorin in der ägäischen Spätbronzezeit - Methodische Überlegungen zur Datierung von Ereignisgeschichte in der Ur- und Frühgeschichte". Die damit im Zusammenhang stehenden Ausgaben, insbesondere für Reisekosten, trug der Kläger selbst. Seinen Lebensunterhalt bestritt er seitdem in erster Linie aus dem Stipendium. Daneben erzielte er Einkünfte aus seiner Tätigkeit als Autor wissenschaftlicher Veröffentlichungen. Die Überschüsse wurden vom Finanzamt Marburg-Biedenkopf als Gewinne aus selbstständiger Tätigkeit zur Einkommensteuer herangezogen.
Im Juni 2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses bei selbstständiger Tätigkeit. Er habe die Tätigkeit am 1. Juni 2014 aufgenommen; sie werde voraussichtlich am 31. Mai 2017 enden. Zugleich legte der Kläger der Beklagten nähere Unterlagen zu seinem Stipendium vor. Mit Bescheid vom 25. Juni 2014 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf freiwillige Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung ab. Es fehle an den gesetzlichen Voraussetzungen für die Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag. Der Kläger habe "ein Forschungsstipendium aufgenommen". Es liege weder eine selbstständige Tätigkeit noch eine Auslandsbeschäftigung vor. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger fristgerecht Widerspruch, der später anwaltlich begründet wurde. Er stellte sich auf den Standpunkt, er habe im Rahmen des Heisenbergstipendiums eine selbstständige Tätigkeit aufgenommen. Er arbeite weisungsunabhängig und könne frei über die eigene Arbeitskraft, den Arbeitsort und die Arbeitszeit verfügen. Nur er trage auch das unternehmerische Risiko seiner Tätigkeit. Dem entspreche auch die steuerrechtliche Berücksichtigung der Zahlungen aus dem Stipendium der DFG.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 2014 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Das Stipendium stelle keine selbstständige Tätigkeit im Sinne der Arbeitslosenversicherung dar. Weder ein Existenzgründungsstipendium noch (erst Recht) ein Forschungsstipendium erfüllten die dafür in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannten Voraussetzungen. Der Widerspruchsbescheid wurde an die vom Kläger bevollmächtigte Anwaltskanzlei adressiert. Auf dem Entwurf in den Verwaltungsvorgängen wurde vermerkt, er sei am 11. August 2014 abgesandt worden. Später erzeugte die Beklagte aus ihrem Computersystem einen Vermerk, wonach der Widerspruchsbescheid am 12. August 2014 an den Kläger persönlich versandt worden sei.
Am 17. Oktober 2014 hat der Kläger, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigten, Untätigkeitsklage zum Sozialgericht Marburg erhoben. Er hat geltend gemacht, die Beklagte habe seinen Widerspruch gegen den Bescheid vom 25. Juni 2014 nicht innerhalb der Drei-Monats-Frist beschieden. Dem ist die Beklagte unter Hinweis auf ihren Widerspruchsbescheid vom 12. August 2014 entgegenget...