Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Auslandskrankenbehandlung. Klima-Heilbehandlung am Toten Meer. Ermessensentscheidung der Krankenkasse

 

Orientierungssatz

1. Zum Streit über die Erstattung der Kosten einer in Israel am Toten Meer im Frühjahr 2017 durchgeführten Klima-Heilbehandlung.

2. Zur Ermessensentscheidung der Krankenkasse im Rahmen einer Auslandskrankenbehandlung gemäß § 18 Abs 1 S 1 SGB 5.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 23.08.2022; Aktenzeichen B 1 KR 24/22 B)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 15. September 2021 aufgehoben.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 14. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. August 2017 verurteilt, den Antrag des Klägers vom 16. Januar 2017 auf Erstattung der Kosten für die in der Zeit vom 13. Mai 2017 bis 17. Juni 2017 durchgeführte stationäre Klima-Heilbehandlung am Toten Meer in Israel unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Erstattung der Kosten einer in Israel am Toten Meer im Frühjahr 2017 durchgeführten Klima-Heilbehandlung.

Der 1950 geborene Kläger ist bei der Beklagten im Rahmen der Krankenversicherung der Rentner pflichtversichert. Er leidet seit seiner frühen Kindheit an einer erblich bedingten atopischen Dermatitis in Form einer Neurodermitis mit schwerem chronischem Verlauf. Zur Behandlung erfolgten mehrfach stationäre Krankenhausaufenthalte in der Hautklinik der Universität Mainz (zuletzt vor der hier streitigen Maßnahme im Jahr 2014, Bl. 38 bis 40 der Gerichtsakte), stationäre Rehabilitationsmaßnahmen und Patienten-Schulungen. Eine stationäre Rehabilitation in B-Stadt zu Lasten des Rentenversicherungsträgers im Jahr 2009 (Entlassungsbericht vom 24.11.2009, Bl. 13 ff der Gerichtsakte S 10 KR 42/12) führte zu einer Verschlimmerung der Beschwerden und zog einen anschließenden stationären Aufenthalt in der Hautklinik der Universität Mainz vom 01.12.2009 bis 16.12.2009 nach sich. Zur Therapie wurden verschiedene Kortison-Präparate und Salben zur Hautpflege und Desinfektion sowie Antihistaminika eingesetzt. In Komorbidität besteht ein depressives Syndrom, multiple Kontaktallergien sowie ein hyperreagibles Bronchialsystem mit asthmatischen Beschwerden. Das Hessische Amt für Versorgung und Soziales Darmstadt hat mit Bescheid vom 24. August 2005 einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 bei der Funktionsbeeinträchtigung „Neurodermitis“ festgestellt.

Der Kläger führte seit 1997 Klima-Heilbehandlungen am Toten Meer in Israel zu Lasten der Beklagten durch, zuletzt auch in den Jahren 2010, 2013, 2014, 2015 und 2016 und - nach dem hier streitigen Jahr 2017 - auch in den Jahren 2018 und 2019. Im Jahr 2013 bewilligte die Rechtsvorgängerin der Beklagten die Klima-Heilbehandlung am Toten Meer auf der Grundlage eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Hessen (MDK) vom 8. Oktober 2012 und gab am 19. November 2012 ein entsprechendes Anerkenntnis in einem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt ab (Bl. 58 der Gerichtsakte S 10 KR 42/12). Im Rahmen der Klima-Heilbehandlung am Toten Meer steht neben der gezielten lokalen Behandlung der Haut und des Juckreizes eine Heliotherapie (therapeutische Anwendung der Sonnenstrahlung) mit Luftbädern im Vordergrund. Die Beklagte übernahm in den Jahren 2013 bis 2016 und ab 2018 jeweils die Kosten „aller medizinisch zweckmäßigen und ausreichenden Maßnahmen der Behandlung (ärztliche Beratung, Diagnostik, Therapie, Medikamente, physikalische Therapie) mit Unterkunft (Zweibettzimmer mit Bad/Dusche, WC) und Verpflegung“ für einen Zeitraum von fünf Wochen sowie der An- und Abreise unter Beteiligung des Klägers mit einem Anteil in Höhe von 10,- € täglich (u.a. Bescheid vom 25. Februar 2016, vorgelegt mit Schriftsatz vom 23. November 2021, Bl. 243 der Gerichtsakte/Anlage). Die Übernahme der Zuzahlung für eine Einzelzimmerbelegung sowie eine Selbstbeteiligung in Höhe von 10,- € täglich ist zwischen den Beteiligten in weiteren Verfahren streitig: Zuzahlungen der Jahre 2013 bis 2016 im Verfahren L 1 KR 498/21; Zuzahlungen 2018 im Verfahren L 1 KR 511/21. Eine Klage auf Erstattung der Zuzahlungen für das Jahr 2013 hat das Sozialgericht Darmstadt mit Urteil vom 6. Dezember 2013 (S 10 KR 42/12) abgewiesen; die Berufung des Klägers blieb ebenso erfolglos (Urteil des Senats vom 16. Juli 2015, L 1 KR 32/14) wie die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundessozialgericht (Beschluss vom 30. Oktober 2015, B 1 KR 82/15 B).

Der Kläger beantragte am 16. Januar 2017 erneut die Übernahme der Kosten einer Klima-Heilbehandlung mit Unterkunft und Verpflegung. In der entsprechenden ärztlichen Verordnung vom 14. Januar 2017 bestätigte der Hausarzt C., dass alle kurativen Maßnahmen in Deutschland ausgeschöpft seien und eine e...

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