Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Europarechtswidrigkeit. Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes gem Art 4 EGV 883/2004. Arbeitnehmer. Sozialhilfe

 

Leitsatz (amtlich)

Der Leistungsausschluss eines freizügigkeitsberechtigten griechischen Unionsbürgers, der keinen (nachwirkenden) Arbeitnehmerstatus (nach § 2 Abs 3 S 2 Freizügigkeitsgesetz/EU - juris: FreizügG/EU 2004) besitzt und dessen Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, verstößt gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art 4 iVm Art 70 VO (EG) 883/2004 (juris: EGV 883/2004). Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB 2 stellen keine Sozialhilfe iS des Art 24 Abs 2 der Richtlinie 2004/38 EG (juris: EGRL 38/2004) dar.

 

Normenkette

SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2; FreizügG/EU § 2 Abs. 3 S. 2; VO (EG) 883/2004 Art. 4, 70

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 03.12.2015; Aktenzeichen B 4 AS 59/13 R)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Weitergewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II) über den 31. Januar 2013 hinaus.

Der am 4. November 1955 geborene erwerbsfähige Kläger ist griechischer Staatsangehöriger und freizügigkeitsberechtigt. Seit 17. Oktober 2011 lebt er laut Meldebestätigung der Stadt A-Stadt vom 7. November 2011 ohne weitere Familienangehörige wieder in Deutschland. Vom 20. Dezember 2011 bis 17. Februar 2012 war er bei der Firma Christos Tsilifis in Schwalbach/Taunus als Lagerist/Fahrer sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Umstände und Gründe für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Kläger nicht angegeben. Anschließend war er arbeitslos und beantragte am 16. August 2012 bei dem Beklagten Leistungen nach dem SGB II, die dieser mit Bescheid vom 31. August 2012 (Bl. 38 Verwaltungsakte) vom 1. August 2012 bis 31. Januar 2013 bewilligte.

Den Weiterbewilligungsantrag des einkommens- und vermögenslosen Klägers vom 17. Januar 2013 (Bl. 138 Verwaltungsakten) lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 21. Januar 2013 (Bl. 143 Verwaltungsakten) mit der Begründung ab, der Kläger habe lediglich ein alleiniges Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche und damit liege ein Leistungsausschlussgrund nach § 7 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vor. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2013 mit der Begründung zurück, der Leistungsausschluss des § 7 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II finde vorliegend Anwendung (Bl. 168 Verwaltungsakten).

Hiergegen hat der Kläger am 27. Februar 2013 beim Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben, mit der er sinngemäß die Weiterzahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 1. Februar bis 31. Juli 2013 unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 21. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2013 beantragt hat.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 19. Juni 2013 den Beklagten verurteilt, dem Kläger über den 31. Januar 2013 hinaus weiterhin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe

zu gewähren. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Bescheid des Beklagten vom 21. Januar 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2013 sei rechtswidrig. Der Kläger habe einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II über den 31. Januar 2013 hinaus. Weiter heißt es in dem Gerichtsbescheid:

“Gemäß § 7 Absatz 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Gesetz Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben. Ausgenommen sind nach § 7 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, und ihre Familienangehörigen.

Nach Ansicht des Gerichts ist dieser Leistungsausschluss vorliegend auf den nach § 2 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigten und damit aufenthaltsberechtigten Kläger - er ist im Sinne dieser Vorschrift ein Unionsbürger, der sich - nachdem er arbeitslos geworden ist, zur Arbeitssuche in der Bundesrepublik Deutschland aufhält - nicht anwendbar. Die Nichtanwendbarkeit beruht auf dem Anwendungsvorrang entgegenstehenden europäischen Rechts. Dies gilt im Ergebnis unabhängig von der zwischen den Beteiligten und auch im Übrigen umstrittenen Frage (siehe etwa einerseits LSG Rheinland-Pfalz, B. v. 21.8.2012, L 3 AS 250/12 B ER und andererseits z.B. LSG Berlin-Brandenburg, B. v. 2.8.2012, L 5 AS 1297/12 B ER), ob der in Bezug auf das Europäische Fürsorgeabkommen von der Bundesregierung am 19.12.2011 erklärte Vorbehalt zur Unanwendbarkeit dieses Abkommens führt. Denn die mangelnde Anwendbarkeit des Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II ergib...

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