Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. Kostenersatz bei schuldhaftem Verhalten. Nichtzahlung der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Kausalität für die Hilfebedürftigkeit. Beratungspflichten des Sozialhilfeträgers. Hinweis auf die Möglichkeit einer Weiterversicherung
Leitsatz (amtlich)
Die von § 103 Abs 1 S 1 SGB XII vorausgesetzte Kausalität des Verhaltens für die Bedürftigkeit bzw Leistungspflicht kann aufgrund eines Beratungsfehlers der Behörde entfallen. Sie entfällt, wenn die Behörde beratungsfehlerhaft gehandelt hat und nach wertender Abwägung zwischen dem Verhalten (hier: Unterlassen) des Hilfebedürftigen oder Dritten und dem Beratungsfehler sowie ggf weiteren Ursachen das Verhalten des Hilfebedürftigen oder Dritten nicht als wesentlich ursächlich angesehen werden kann.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. August 2017 vollständig aufgehoben.
Der Bescheid des Beklagten vom 3. Dezember 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2009 wird auch hinsichtlich der Kostenersatzpflicht dem Grunde nach für vom Beklagten erbrachten Leistungen der Hilfe zur Pflege aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens aller Instanzen einschließlich der Kosten der Revision.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Beklagte den Kläger auf der Grundlage von § 103 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe heranziehen darf, die ihm entstanden sind, weil der Kläger als Betreuer nicht verhindert hat, dass die freiwillige Versicherung der von ihm Betreuten in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung auf Grund von Zahlungsrückständen endete, und der Beklagte deswegen Leistungen an die Betreute zu erbringen hat. Nach einer Teilaufhebung des Senatsurteils vom 13. März 2019 und einer Zurückverweisung durch das Bundessozialgericht mit Urteil vom 3. Juli 2020 - B 8 SO 2/19 R - steht nur noch die Kostenersatzpflicht dem Grunde nach für die vom Beklagten erbrachte Leistungen der Hilfe zur Pflege im Streit.
Der Kläger ist Berufsbetreuer und wurde im Jahr 2002 zum Betreuer der chronisch alkoholkranken und an einem hirnorganischen Abbau leidenden Frau C. C., geboren 1952, bestellt; sein Aufgabenkreis erstreckte sich unter anderem auf die Sorge für die Gesundheit und die Vermögenssorge (vgl. den Betreuerausweis vom 11. November 2002, Bl. 25 der zur Betreuten geführten Leistungsakte des Beklagten - im Folgenden: LA -).
Die Betreute erhielt auf Grund eines Vermächtnisses ihres verstorbenen Lebensgefährten monatliche Zahlungen in Höhe von 1.512,65 €; konkret handelte es sich um die hälftigen Pachteinnahmen aus einem Grundstück, das dem Lebensgefährten gehört hatte. Zahlungsverpflichtete war Frau D. H., eine Nichte des Lebensgefährten der Betreuten, auf die das Grundstück übergegangen war. Wegen der Einzelheiten wird auf das notarielle Testament des verstorbenen Lebensgefährten vom 17. März 2000 (LA Bl. 28 ff.) Bezug genommen.
Die Betreute, die bei der AOK Hessen (AOK) freiwillig in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung versichert war, wurde im Februar 2003 in das Alten- und Pflegeheim M. in C-Stadt aufgenommen. Aufgrund eines Abhilfebescheides vom 14. Februar 2005 erhielt die Betreute Hilfe zur Pflege in Form der Übernahme der Heimkosten für die Zeit vom 10. Februar bis 31. August 2003. Ab 1. September 2003 war sie - nach Auflösung der zuvor von ihr bewohnten Wohnung - in der Lage, ihren Lebensunterhalt einschließlich der Unterbringung im Pflegeheim aus eigenen Mitteln zu finanzieren, so dass der Kläger den Antrag auf Sozialhilfe entsprechend beschränkte.
Im Frühjahr 2005 unterbrach Frau D. H. die Weiterleitung der hälftigen Pachtzahlungen, so dass das Konto der Betreuten ab März keine ausreichende Deckung für die per Lastschrift eingezogenen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung mehr aufwies. Die AOK mahnte die rückständigen Beträge für März 2005 mit Schreiben an die Betreute vom 22. April 2005 (vgl. LA Bl. 80 f.) an und teilte mit, dass sie das Lastschriftverfahren vorsorglich einstelle. Dem Kläger übersandte die AOK am gleichen Tag ein Duplikat. Mit Schreiben an den Kläger vom 20. Mai 2005 (vgl. Gerichtsakte - im Folgenden: GA - Bl. 19) und ähnlich nochmals mit Schreiben an die Betreute vom 25. Mai 2005 (vgl. LA Bl. 84 f.) - ebenfalls als Duplikat am gleichen Tage an den Kläger übermittelt - meldete sich die AOK erneut, wies auf die durch die Nichtzahlung der Beiträge für April weiter angewachsenen Rückstände sowie das drohende Ende der freiwilligen Mitgliedschaft bei Nichtzahlung der Beiträge für zwei Monate hin und räumte eine Nachfrist für die Zahlung bis zum 15. Juni 2005 ein. Nachdem auch bis dahin keine Zahlung erfolgt war, endete die Mitgliedschaft der Betreuten in der AOK.
Am 6. September 2005 wandten sich sowohl der Kläger al...