Entscheidungsstichwort (Thema)
Minderung des Arbeitslosengeld II. Rechtslage nach dem 1.4.2011. Notwendigkeit eines gesonderten Aufhebungsbescheides. keine Minderung des Auszahlungsanspruchs kraft Gesetzes. keine Umdeutung des Sanktionsbescheides
Leitsatz (amtlich)
1. Auch nach der zum 1.4.2011 vorgenommenen Neuregelung des Sanktionsrechts bedarf es zur Umsetzung der Sanktion in leistungsrechtlicher Hinsicht einer auf § 48 SGB 10 gestützten Aufhebungsentscheidung, wenn und soweit für den betroffenen Zeitraum zuvor durch bestandskräftigen Bescheid Arbeitslosengeld II bewilligt worden ist.
2. § 31b Abs 1 S 1 SGB 2 führt weder zum "Selbstvollzug" der Sanktion in leistungsrechtlicher Hinsicht, noch handelt es sich um eine den § 48 SGB 10 verdrängende Spezialregelung.
3. Auch eine Veränderung des Auszahlungsanspruchs bedarf der Umsetzung nach § 48 SGB 10.
4. Einem Sanktionsbescheid kann weder ipso iure die Bedeutung eines Aufhebungsbescheides nach § 48 SGB 10 beigemessen werden, noch kann er in einen solchen gem § 43 SGB 10 umgedeutet werden.
Tenor
I. |
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Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 5. November 2014 aufgehoben und der Beklagte zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von weiteren 224,40 Euro für den Zeitraum vom 1. März 2012 bis 30. April 2012 verurteilt. |
II. |
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Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. |
III. |
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Die Revision wird zugelassen. |
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die verminderte Auszahlung der ihm für den Zeitraum vom 1. März 2012 bis zum 30. April 2012 bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Der 1959 geborene Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbslos und bezog vom Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Ihm wurden mit Bescheid vom 5. Oktober 2011 Leistungen für die Zeit vom 1. November 2011 bis 30. April 2012 in Höhe von monatlich 614,00 Euro bewilligt. Mit Bescheid vom 26. November 2011 änderte der Beklagte die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis 30. April 2012 wegen einer gesetzlichen Anhebung der Regelbedarfe ab und bewilligte nunmehr Leistungen in Höhe von 624,00 Euro monatlich.
Am 29. November 2011 schlossen die Beteiligten eine Eingliederungsvereinbarung in deren Punkt 2 unter anderem die Pflicht des Klägers festgelegt wurde, sich zeitnah, spätestens am dritten Tage nach Erhalt des Stellenangebotes, auf Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit bzw. der Träger der Grundsicherung zu bewerben. Die Eingliederungsvereinbarung enthielt eine Belehrung über die bei einem Verstoß gegen die vereinbarten Pflichten eintretenden Rechtsfolgen.
Mit Schreiben ebenfalls vom 29. November 2011 unterbreitete der Beklagte dem Kläger einen Vermittlungsvorschlag über eine Tätigkeit als “Helfer - Landwirtschaft, Transport„ bei der D. GmbH in A-Stadt mit 40 Wochenstunden und einer Bezahlung nach Tarif. Der Vermittlungsvorschlag enthielt ebenfalls eine Rechtsfolgenbelehrung, in welcher u. a. darauf hingewiesen wurde, dass das dem Kläger zustehende Arbeitslosengeld II um einen Betrag in Höhe von 30 % des für den Kläger maßgebenden Regelbedarfs gemindert werde, wenn sich der Kläger weigere, die mit dem Vermittlungsvorschlag angebotene Arbeit anzunehmen oder die Annahme der angebotenen Arbeit durch ein negatives Bewerbungsverhalten vereitele.
Der Kläger bewarb sich nicht auf die angebotene Stelle als Helfer im Bereich Landwirtschaft und Transport.
Im Rahmen des Anhörungsverfahrens zu der vom Beklagten beabsichtigten Sanktionierung des wegen der fehlenden Bewerbung auf den Vermittlungsvorschlag vom 29. November 2011 anzunehmenden Pflichtverstoßes teilte der Kläger am 5. Februar 2012 mit, er habe sich auf das ihm unterbreitete Stellenangebot bei der Firma D. GmbH nicht beworben, weil ihm im Rahmen der zuvor absolvierten “F.I.B.-Maßnahme„ (Fortlaufende Integrationsberatung) eine Beschäftigung als Grabungshelfer beim E. in Aussicht gestellt worden sei und die Entscheidung über diese vorrangige Stelle seinerzeit noch ausgestanden habe. Zudem stehe er Leiharbeitsfirmen grundsätzlich kritisch gegenüber. Er sei allerdings zur Abwendung einer Kürzung bereit, sich künftig sofort zu bewerben.
Mit Bescheid vom 16. Februar 2012 stellte der Beklagte eine Minderung des dem Kläger zustehenden Arbeitslosengeldes II um 30 % des für ihn maßgebenden Regelbedarfs für die Zeit vom 1. März 2012 bis 31. Mai 2012 fest und errechnete einen Minderungsbetrag von monatlich 112,20 Euro. Zur Begründung der Absenkungsentscheidung führte der Beklagte aus, der Kläger habe trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen ein ihm unterbreitetes zumutbares Beschäftigungsangebot als Helfer im Bereich Lagerwirtschaft/Transport bei der Firma D. GmbH in A-Stadt nicht angenommen. Die vom Kläger zur Rechtfertigung dieses pflichtwidrigen Verhaltens vorgetragenen Gründe - insbesondere seine kriti...