Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Vermögensberücksichtigung. Bausparvertrag. baldige Beschaffung einer angemessenen Eigentumswohnung. Prognoseentscheidung. gerichtliche Überprüfung
Leitsatz (amtlich)
1. Mit Abschluss eines Bausparvertrages (Einmalzahlung 35.000 €), geplanter dreijähriger Sparphase, der vertraglich verpflichtenden Zusage der Eltern hinsichtlich weitergehender Finanzierungsmittel und einem tragfähigen Finanzierungskonzept für die Zeit nach dem Kauf tritt der Schutz dieses Vermögens gem § 90 Abs 2 Nr 3 SGB 12 ein.
2. Bei der Prüfung, ob vorhandenes Kapital nachweislich zur baldigen Beschaffung einer angemessenen Eigentumswohnung des Hilfebedürftigen dient, handelt es sich neben der Frage, ob der Hilfebedürftige subjektiv das streitbefangene Vermögen zum Kauf einer angemessenen und von ihm dann zu nutzenden Eigentumswohnung verwenden will (und nicht nur dem Zugriff des Hilfeträgers entziehen will) um eine vom Gericht in vollem Umfang überprüfbare Prognoseentscheidung.
3. Gestützt wird die Richtigkeit der Prognose durch den drei Jahre später erfolgreich durchgeführten Erwerb einer angemessenen Eigentumswohnung und die dauerhafte Finanzierbarkeit der aufgenommenen Kredite in Aufteilung zwischen dem Kläger und seinen Eltern (vgl BSG vom 11.5.2000 - B 7 AL 18/99 R = SozR 3-4100 § 36 Nr 5).
Normenkette
SGB XII § 90 Abs. 2 Nrn. 3, 8
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 20. Februar 2007 sowie der Bescheid des Beklagten vom 6. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2005 aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Es geht in dem Rechtsstreit um die Aufhebung der Bewilligung von Eingliederungshilfe mit Wirkung ab 1. Juli 2005 bis zum 31. Dezember 2005 und dabei um die Frage, ob vorhandenes Vermögen gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB 12) geschützt ist, weil es nachweislich zur baldigen Beschaffung einer Eigentumswohnung für den Kläger bestimmt war.
Der 1983 geborene Kläger gehört zum Kreis der geistig behinderten Menschen und erhielt u. a. seit Dezember 2003 Eingliederungshilfe gemäß § 39 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zur Ermöglichung des betreuten Wohnens (zunächst innerhalb der Familie). Mit Bescheid vom 11. Februar 2005 bewilligte der Beklagte zunächst für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2005 weiterhin Leistungen für das Betreute Wohnen gemäß § 54 SGB 12 in Verbindung mit § 55 Abs. 2 Nr. 6 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB 9) im Umfang von 198 Fachleistungsstunden pro Jahr. Gleichzeitig wies der Beklagte darauf hin, dass es durch das SGB 12 notwendig geworden sei, Einkommen und Vermögen des Berechtigten zu überprüfen, da dieses zur Minderung der Sozialhilfeaufwendungen vorrangig einzusetzen sei. Insofern ergehe die Kostenzusage gemäß §§ 19, 92 Abs. 1 SGB 12. Eine evtl. Inanspruchnahme werde dann ab 1. Februar 2005 erfolgen. Die beigefügten Formulare seien bis zum 28. Februar 2005 ausgefüllt zurückzusenden. Dagegen hat der Kläger am 24. Februar 2005 Widerspruch eingelegt, den die Beklagte mit Schreiben vom 27. Mai 2005 als erledigt ansah, da der Zeitpunkt zur Heranziehung zum Kostenbeitrag auf den 1. Juli 2005 verlegt worden sei. Mit am 7. Juni 2005 bei der Beklagten zugegangener Erklärung über die Vermögensverhältnisse gab der Kläger an, dass er auf dem laufenden Konto über einen Betrag in Höhe von 1.528,65 € und auf einem Bausparvertrag über einen Betrag in Höhe von 35.000 € verfüge. Sein monatliches Nettoeinkommen betrage 1.174,05 €. Der vorgelegte Bausparvertrag vom 30. Mai 2005 (Bausparsumme 82.000 €) wies eine einmalige Sonderzahlung von 35.000 € im Juni 2005 aus sowie eine Einzugsermächtigung für monatliche Sparleistungen in Höhe von 150 €. Nachdem ein vorheriger Bescheid vom 17. Juni 2005 nicht zugestellt werden konnte, hob die Beklagte mit Bescheid vom 6. Juli 2005 einen Bescheid vom 24. Januar 2005 mit Wirkung vom 1. Juli 2005 unter Hinweis auf § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB 10) mit der Begründung auf, dass der Kläger die Vermögensfreigrenze nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB 12 in Höhe von 2.600 € um 33.928,65 € (nicht geschütztes Vermögen) überschritten habe und diese Mittel vorrangig zur Deckung des Bedarfs einzusetzen seien. Deshalb könne ab 1. Juli 2005 keine Sozialhilfe mehr gewährt werden. Das Vertrauen des Klägers auf den Fortbestand des aufgehobenen Bescheides sei nicht schutzwürdig, da der Kläger keine Vermögensdisposition getroffen habe. Der Kläger habe sich durch die vorhergehende Information auf den Einsatz von Einkommen und Vermögen einstellen können. Nach Ausübung von Ermessen sei nicht von einer Rücknahme abzusehen. Es bestehe ein öffentliches Interesse daran, dass hessenweit die Kostenübernahmen einheitlich im Betreuten Wohnen behandelt würden und den gesetzlichen Vorgaben entsprechend die Einkommens- und Vermögensanrechnung...